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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

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Heft 6
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Chronik des Monats
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https://doi.org/10.11588/diglit.7392#0248

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HONORE DAUMIER, SCHACHSPIELER

AUSGESTELLT IN DER GALERIE THANNHAUSER. BERLIN

CHRONIK DES MONATS

CAFE SCHOTTENHAML
T3urrmann erzählt von einem Besuch Henri Matisses in Berlin
-*- und wie der französische Kollege beim Durchwandern der
Stadt seinem Entsetzen Ausdruck gegeben habe: nicht nur in
der Siegesallee und am Großen Stern, sondern auch vor den
die Tierkadaver barbarisch zur Schau stellenden Fleischer-
läden und vor den Schaufenstern, hinter denen Särge, wohl-
feile und teure, aufgestapelt sind. Am schlimmsten hat der
Pariser aber jene Restaurants der Vorkriegszeit gefunden,
wo man für wenige Groschen Würste verspeist, wo die Wände
aber mit vergoldetem Stuck und Spiegelglasscheiben bedeckt
und die Retiraden mit Marmorplatten verkleidet sind.

Heute hätte er noch mehr Grund zur Verwunderung als
damals. Die Prunkformen haben sich gewandelt, nicht der
Geist. Eben jetzt ist am Tiergarten ein neues Cafe eröffnet
worden. Das Cafe Bauer mit seinem Kunstgewerbeschulen-
stil der siebziger Jahre will einem in der Erinnerung dagegen
ganz vornehm erscheinen. Denn was im Cafe Schottenhaml
an expressionistischen Stilkünsten, an Materialprotzerei ge-
leistet worden ist, stellt alles frühere in den Schatten. Sogar
das „Rheingoldrestaurant", das doch ein Gipfel schien. An

die stillen, unendlich vornehmen Cafes, wie man sie in Ita-
lien oder Frankreich findet, selbst an den ehrlichen alten
„Kranzler," darf man garnicht denken. In dem neuen Cafe
ist, zum Beispiel, ein Treppenhaus. Räumlich ganz originell.
Die Ausstattung jedoch ist unerträglich. Die Wände sind mit
rechteckigen schillernden Spiegelglasscheiben belegt, die
wie buntes Stanniolpapier wirken, jede in einer andern Farbe.
An der Stuckwand hüpfen Metallpapageien auf kleinen vor-
gebauten Becken, und diese sind untereinander durch Glas-
rohre verbunden, in denen Wasser fließt. Der größte Raum
wird beherrscht durch aufdringliche Beleuchtungskörper aus
grell weißem Glas, die den Augen weh tun. Ein anderer
Raum ist von der allzu eifrig sich umstellenden Staatlichen
Porzellan-Manufaktur eingerichtet. An den Wänden hängen
Porzellanteller mit Berliner Ansichten, die wie Abziehbilder
aussehen und geeignet sind, die Porzellanmalerei um den
Rest ihres Ansehens zu bringen. Sowohl Idee wie Aus-
führung sind grotesk. Überall an Decke und Wand ge-
schweifte, eckig gebrochene Stuckformen, aufdringliche Or-
namente, Metall- und Glaskronleuchter, durchsichtige, von
hinten beleuchtete Marmorwände und Farbenzusammen-

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