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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

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Heft 11
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Beenken, Hermann: Gustaf Britsch und seine Theorie der Bildenden Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7392#0458

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der künstlerischen Gestaltung war. Ebenso sinnlos ist es
aber auch, zu sagen, das Kind oder der primitive Künstler
gäben nur das wieder, was sie wüßten, nicht das, was sie
sähen. Entscheidend ist, daß es eben das Sehen selber ist,
das sich entwickelt, und daß es als geistiger Vorgang keines-
wegs jenes fixierte, kameramäßige und die „Ansichten" der
Dinge gebende Sehen zu sein braucht, das der heutige Mensch
als das allein „richtige" zu bezeichnen gewöhnt ist. So ist
das Kunstwerk auch ausschließlich aus seiner eigenen Ge-
setzlichkeit heraus, d. h. von seiner Stufe her, sich mit Sicht-
barkeit auseinanderzusetzen, verständlich, und jedes Messen
des Erreichten an einer vermeinten objektiven „Naturwahr-
heit", die es im künstlerischen Sinne überhaupt nicht gibt,
ist ungerecht und verhängnisvoll, indem es außerkünstlerische
Gesichtspunkte an die Leistung heranträgt.

So ergibt sich die Aufgabe, Aussagemöglichkeiten für
eine Beurteilung des Kunstwerks zu formulieren, die seinem
eigensten Wesen gemäß sind und die die Grundlagen für
ein Verständnis des betreffenden „Stiles" zu schaffen haben.
Britsch hat hier für die Beurteilung der primitiven Kunst-
stufen einiges Wesentliche und zweifellos Bleibende ge-
leistet. Sowie es sich um hochentwickelte künstlerische Be-
stände handelt, versagt er. Seine Ablehnung der zentral-
perspektivischen Bildkonstruktion als außerkünstlerisch (weil
sie sich mechanischer Mittel bedienen könne), ist zwar für
eine zeitgemäße Bevorzugung alles Primitiveren und das Be-
vorzugen der Sache selbst gegenüber der Ansicht der Sache

symptomatisch; wissenschaftlich aber ist sie unhaltbar, und
eine weitergeführte Differenzierung seiner Theorie hätte auch
Britsch gerade die im eminenten Sinne künstlerische Lei-
stung jener von der Renaissance geschaffenen Konstruktion
verstehen lassen müssen, eine Leistung, die freilich auch
nur zeitstilbedingt, also entwicklungsgescbichtlich gesehen,
vergänglich gewesen ist.

Das Verdienst der Britschschen Theorie ist es, neue Mög-
lichkeiten, und zwar an einer ganzen Reihe von Punkten,
eröffnet zu haben. Aber bei dem Eröffnenden ist sie stehen
geblieben, und über bloße Anfänge geht es kaum hinaus.
Diese Anfänge jedoch sind so bedeutsam, daß die Arbeit
von Generationen hier den Ausgang zu nehmen vermag.
In erster Linie die Arbeit der stilanalysierenden Kunst-
wissenschaft, in zweiter — Britsch selber hätte gewiß ge-
sagt: in erster — die des praktischen Kunstunterrichtes, zu-
mal in den Volks- und Mittelschulen. Britsch hat wohl auch
an eine Befruchtung des schaffenden Künstlers durch seine
Ideen gedacht. An eine solche vermögen wir nicht zu glau-
ben. Denn — darüber sollte kein Zweifel sein — diese
Theorie ist nur einseitig. Bildende Kunst ist zwar ihrem
Wesen nach eine rationale Auseinandersetzung des Men-
schen mit dem Problem der sichtbaren Form; aber sie ist
es nicht nur. Und von all dem Anderen, was sie auch
ist oder wenigstens sein kann, ist in dieser Theorie nur
sehr wenig die Rede. Der Leser wird sie an allen Enden
selber weiterbilden und sich ergänzen müssen.

KARL BLECHEN, ZWEI FRAUEN IM PARK

SAMMLUNG GROSELL

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