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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

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Heft 11
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Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.7392#0470

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soll sich aber vor Verallgemeinerungen hüten. Es geht nicht
an, grundsätzlich jedes Stück, das einmal von einer öffent-
lichen Sammlung erworben worden ist, für ewig unveräußer-
lichen Besitz zu erklären. Wenn öffentliche Mittel für den
Ankauf eines bedeutenden Kunstwerkes nicht verfügbar
sind, so wird unter Umständen ein Tausch nicht zu um-
gehen sein.

So hat das Berliner Schloßmuseum kürzlich eine kostbare
byzantinische Gold-Email-Tafel gegen zwei französische Holz-
vertäfelungen des achtzehnten Jahrhunderts eingetauscht.
Von gewisser Seite ist die Presse gegen dieses Tauschgeschäft
mobil gemacht worden, und so ist der Erwerb des hervor-
ragenden Kleinods mittelalterlicher Kunst noch in letzter
Stunde in Frage gestellt. Die beiden Holzvertäfelungen waren
beim Umzug der Sammlungen im ehemaligen Kunstgewerbe-
museum verblieben, wo sie in der Abfolge der Räume der
ostasiatischen Kunstabteilung nur noch als störende Enklaven
wirken. Sie im Schloßmuseum einzubauen, das selbst über
weit bedeutendere historische Räume verfügt, wäre sinnlos.
Ihr eigener künstlerischer Wert ist überdies nicht hervor-
ragend. Es ist also ein Fall gegeben, in dem man der Ver-
äußerung in jeder Hinsicht nur zustimmen kann, und
man möchte hoffen, daß der Tausch doch noch zustande
kommt.

Eine unglaubliche Diebstahlsaffäre hat sich in Paris
zugetragen. Einer der vorzüglichsten Kenner mittelalterlicher
Miniaturen und Bibliothekar der alten Klosterbibliothek Ste.
Genevieve hat eine der seiner Obhut anvertrauten kostbaren
Bilderhandschriften einem englischen Antiquar verkauft.
Natürlich konnte der Diebstahl nicht lange unentdeckt bleiben,
um so mehr als Herr Boinet sich nicht einmal die Mühe ge-
nommen hatte, den Stempel seiner Bibliothek zu entfernen.
Er ist zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden.

In der Frankfurter Zeitung (Nr. 457) ist ein Briefwechsel
zwischen Th. Th. Heine und dem Direktor der Staatlichen
Graphischen Sammlung in München abgedruckt, der in man-
cher Hinsicht lehrreich ist. Heine hatte auf Weigmanns Bitte
der Sammlung eine Anzahl von Blättern so wohlfeil über-
lassen, daß man fast von einem Geschenk sprechen kann.
Da dennoch die Zahlungsbedingungen (erste Rate 500 Mark)
nicht eingehalten wurden, zog Heine seine Arbeiten zurück.
Darauf erhielt er einen Brief, der alles Vorstellbare eigent-
lich übertrifft. Es steht darin der folgende Satz: „Inzwischen
haben Sie Ihre Zeichnungen zurückverlangt; wir können sie
nicht halten und werden eben in späteren Jahren versuchen
müssen, die vorhandene Lücke in unsern Beständen zu
schließen, vorausgesetzt, daß sie dann noch als Lücke emp-
funden wird." Was tut ein Kunstdirektor eigentlich auf
seinem Posten, wenn er nicht weiß, ob Heines Zeich-
nungen später noch Wert haben werden, wenn er trotz
dieses Nicht-Wissens eine Ausstellung machen und Blätter
ankaufen will, wenn er also das. was er tut, ohne Über-
zeugung und gegebenenfalls — er weiß es nicht — zum
Schaden des Staates tut? Heine hat dann sehr wirkungs-
voll geantwortet: „Sie betonen, daß die Künstler Ihnen zu
Dank verpflichtet seien. Ob die Künstler Ihnen oder Sie

den Künstlern Dank schulden, ist Sache der persönlichen
Auffassung, es hängt davon ab, was man für wesent-
licher hält, Kunstwerke zu schaffen oder Kunstwerke zu
registrieren."

Am 26. Mai starb in Leningrad Boris Koustodief nach
langer Krankheit. Mit ihm verliert Rußland einen Maler,
der russische Kunst im weitesten Ausland bekannt gemacht
hat. In den Uffizien hängt sein Selbstbildnis.

1878 in Astrachan als Sohn eines Literaturprofessors ge-
boren und für einen geistlichen Beruf bestimmt, hat der
Knabe bald sein zeichnerisches Talent erkannt und gepflegt.
1896 kam er auf die Akademie nach Petersburg, wo er Repin
näher trat. Auf einem bekannten Monumentalgemälde des
Genannten, „Sitzung des Reichsrates", malte er Zwanzig
Porträtköpfe. 1904 stellte er zum ersten Male in der „Neuen
Gesellschaft der Kunst" aus. Damit beginnt seine glänzende
Laufbahn als Porträtist der wohlhabenden bürgerlichen Ge-
sellschaft, aber auch als spezieller Darsteller des Russentums.
Durch ihn sind Typen verbreitet worden wie der reiche Groß-
händler mit gewichsten hohen Stiefeln, weißer Weste und
breitem Bart, der Kellner, der ganz in Weiß gekleidet alle
Köstlichkeiten der Feinschmeckerei auf einem blitzenden
Tablett balanciert, der Kutscher, riesenhaft eingehüllt in
Pelze, mit strahlendem Gesicht, der verhungerte Schilder-
maler vor einer Leinwand, darauf Schinken und Würste in
farbenreicher Pyramide zu sehen sind, die russische Bäuerin
in ihrem karierten Kopftuch, der tartarische Teppichhändler
mit seiner Ware, der Bettler vor der Kirchentür mit wallen-
dem Patriarchenbarr. Sie alle hat Koustodief in einer Bunt-
farbigkeit gemalt, deren Herkunft in dem bäuerlichen Kunst-
gewerbe lag. Mit dieser bewußten Bodenständigkeit jedoch
war eine ausgesprochen westliche künstlerische Erziehung
verbunden. Moderner Pariser Impressionismus mischt sich
mit den Formprinzipien der italienischen Frührenaissance.
Dieser unverkennbare Eklektizismus hat zweifellos die weite
Berühmtheit des talentierten Künstlers ermöglicht.

Das neue Regime hat Koustodief als eine Tatsache hin-
genommen. Die Machthaber der Sowjet haben seiner nicht
entraten wollen. Viel Aufsehen hat sein Gemälde erregt
„Der Bolschewist", ein riesenhafter Mann mit wehender,
roter Fahne, der über verschneite Paläste und Kirchenkup-
peln hinwegschreitet, die glühenden Augen entschlossen in
die Ferne gerichtet. Von unzweifelhafter Großartigkeit war
auch ein Gemälde „Der 27. Januar 1924" (das Begräbnis
Lenins): rot leuchtender Winterhimmel, davor in Schnee und
Dunst die ragenden Türme einer Kathedrale; im Vorder-
grunde ein Torbogen, drapiert mit gewaltigen, roten Vor-
hängen, Fahnen und Standarten; dazwischen gleichsam als
Vision der rot überdeckte Sarg Lenins in einer unendlichen
schwarzen Menge von Trauernden.

Auch für das Theater ist Koustodief von Bedeutung ge-
wesen. Schon 1914 hatte er am Moskauer Künstlerischen
Theater mitgewirkt und den „Tod des Pasouchin" insze-
niert. In den Jahren nach der Revolution ist seine Tätig-
keit für die staatlichen Theater fruchtbar geworden. Auch
zahlreiche, mit Geschmack illustrierte Bücher sind noch
in der letzten Zeit von ihm erschienen, als sein Unterkörper
schon völlig gelähmt war. Kuhn.

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