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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

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Heft 12
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Börger, Hans: Ein Ausflug nach Knossos
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https://doi.org/10.11588/diglit.7392#0483

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KNOSSOS, DIE ÖSTLICHEN ANLAGEN. OBERGESCHOSS UND TREPPEN

Blütezeit der sogenannten mykenischen Kultur habe
ich oft genug daheim studiert, angesichts der Wirk-
lichkeit aber komme ich gar nicht heraus aus dem
Staunen über die Kompliziertheit und das Raffine-
ment der Anlage. Man streift stundenlang umher
durch geräumige Korridore und einst säulenge-
schmückte Vestibüle, durch eine Unzahl von größe-
ren und kleineren Gemächern verschiedenster Be-
stimmung — vom Thronsaal bis zum Bad und zur
Toilette —, man steigt, ein richtiges Treppenhaus
passierend, mehrere Stockwerke in die Höhe, wo
die geschickt benutzte Ungleichheit des Bauterrains
es erfordert, man blickt von hohen Estraden auf
Lichthöfe und tiefergelegene Palastteile hinab —
ein wahrer Irr- und Wundergarten hochkultivierter
Wohnarchitektur, der immer wieder die schöne
Sage vom Labyrinth des Minos, des mythischen
Gründers von Knossos, vor die Sinne zaubert! Wie
überwältigend muß das alles erst gewirkt haben,
als die prächtigen Fresken, deren Reste nun das
Museum von Heraklion als größte Kostbarkeit
hütet, noch von den Wänden grüßten, als das
zugrunde gegangene Holzwerk der Säulen, Fenster-

rahmen, Türstürze und Gesimse noch, mit kühnen
Mustern geschmückt, farbenprächtig vor Augen
stand, als der kostbare Alabaster, der überall ver-
schwenderisch verwandt ist, noch unversehrt in
milder Reinheit erstrahlte, nicht zu reden von den
köstlichen Geräten des täglichen Gebrauchs, mit
denen sich diese Menschen einer längst vergan-
genen Kultur umgeben durften! Unmöglich, diese
sinnenfrohe Schöpfung des Reichtums und der
Pracht auch nur annähernd vor dem inneren Auge
erstehen zu lassen!

Bei der Besichtigung der Ruinen stoße ich auf
eine ganze Anzahl von Arbeitern, die unter der
Leitung eines Oberaufsehers offensichtlich bemüht
sind, die Schäden des letzten Winters zu reparieren.
Der greise Evans, der sich von den zärtlich ge-
liebten Ruinen nicht trennen kann, hat sich in
nächster Nähe eine Villa gebaut, um, wenigstens
in der guten Jahreszeit, immer bei der Hand sein
und seine Schützlinge betreuen zu können. Soweit
ist alles in bester Ordnung und in höchstem Maße
dankenswert. Eine gewiße Skepsis aber stellt sich
ein, wenn man das Ausmaß der vorgenommenen

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