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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

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Heft 12
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Benesch, Otto: Zur österreichischen Malerei der Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.7392#0487

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FRANZ WIEGELE, AKTE IM WALDE

WIEN, ÖSTERREICHISCHE STAATSGALERIE

jedes Gefäß seinen unverrückbaren Platz hat. Jedes
einzelne Ding aber wahrt seine berückende Lebens-
nähe: die Trauben schimmern milchig in durch-
scheinendem Licht, über Apfel und Birnen legt sich
feuchter Glanz, der Wein glüht still in seinem Glase
wie ein ewiges Licht. Eine fast feierliche Stimmung
vermag Wiegele in einem solchen Stück meister-
haft belauschter Wirklichkeit heraufzubeschwören.

Die Grundlage dieses Gestaltens — es scheint
für die Ewigkeit zu sein und man möchte es sich
in Stein denken — ist die Zeichnung. In Graphit-
zeichnungen, die eine unendlich reiche Skala von
tiefsten Schattenschichten zu zartesten Wischtönen
dtirchläuft, läßt er wundervolle Frauenleiber er-
stehen, die in unsagbarem Linienwohlklang sich
lagern, wie antike Götterbilder zum Lichte sich
bauen. Aus den Zeichnungen spricht der Klassiker
Wiegele am stärksten. Denn sein Naturalismus ist
Kunst von der Intensität der klassischen eines Ingres.

Sein umfangreichstes
und bedeutendstes Werk
zeigt eine Gruppe von Ak-
ten im Walde. Aus dem
Schatten steigen die maje-
stätischen Körper gegen
das Licht, das durch
Tannendickicht fließt. In
schweigender Andacht
vollzieht sich das Schick-
sal des menschlichen Da-
seins. Die gestellte Szene
wird zum Mythos, der
Waldgrund zumUrgrund
aller Dinge. — Wiegeies
Bildnisse sind Spiegel, aus
denen Körper und Seele
derDargestellten in unlös-
licher Einheit und unge-
trübter Klarheit schauen.

Herbert Böckl scheint
auf den ersten Blick in
allem Wiegeies Gegenpol
zu sein. Dort Klarheit und
Stille — hier eine wilde
Großartigkeit. Dort ein
Malen in dünnen Schich-
ten, dessen Sorgsamkeit
an den Aufbau gotischer
Tafelbilder erinnert —
hier ein elementares Häufen von Farbe. In den
Zeichnungen dort behutsam glättendes Aufbauen —
hier fragmentarisch breites Hinwerfen und Im-
provisieren. Dort Ruhe und Abklärung — hier
Kampf und ewige Problematik. Damit sind die
äußeren Gegensätze angedeutet — sie besagen nichts
über die tiefe innere Gemeinsamkeit. Böckl ist kein
Romantiker. Auch in seiner Kunst ersteht als an-
gestrebtes Endziel monumentale Größe und Ruhe,
aber nicht die Ruhe des gemeißelten Standbilds,
sondern der in sich schwebenden und vibrierenden
farbigen Vision. Diese so materiell aufgetragene
Farbe ist ein Netz von höchster Feinheit, das die
malerische Wirklichkeit der Dinge aus seinem
Schweben und Vibrieren in ahnungsvoller, vielleicht
noch näherer Lebensintensität als der Wiegeies er-
stehen läßt. Sind Wiegeies Werke eine zweite Wirk-
lichkeit, so sind die Böckls ein Stück dieser Wirk-
lichkeit selbst, durch das noch ihre Pulse gehen,

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