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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

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Heft 12
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Chronik
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sophisch-spekulativer Tätigkeit und literarischer Bildung dürfte
das Spezifische dieser von Goethe, Schiller und Kant heran-
gezogenen Generation sein, wie es sich etwa sinnfällig in
der Firma von Runges Bruder Daniel ausgeprägt hat.

Unter solcher Voraussetzung, die der deutsche Humanis-
mus geschaffen, vermögen Runge, C. D. Friedrich und Over-
beck im Norden, Cornelius im Süden ihre Gaben als einen
in der Gesinnung verwurzelten Auftrag zu empfinden und
damit das Bild des Künstlers gleichweit von dem des Fürsten-
dieners wie von dem des genieträchtigen Armenhäuslers ab-
zurücken. Der Maler als ein gleichberechtigtes Glied der
bürgerlichen Gesellschaft offenbart sich zuerst und am sinn-
fälligsten in den Hamburger Meistern der ersten Hälfte des
verflossenen Jahrhunderts. Ihre Werke sind im allgemeinen
ein Bürgerspiegel, der uns das schöne Gesicht eines ernst-
haften Menschentums entgegenhält. Die Grenze nach unten
verläuft in einer Selbstbeschränkung auf die Welt von Sofa,
Uhrkette und Sofabild, die Grenze nach oben in den weniger
christlichen als pantheistischen Naturspekulationen eines Runge
und Friedrich. Zwischen Selbstgenuß und Allgenuß, immer
aber in einer Sphäre optimistischer Lebensstimmung, be-
wegt sich die Malerei norddeutscher Romantik und Bieder-
meiertums.

Diese obere und untere Grenze kann auch deutlich in
dem neuen Jahrhundertthema der Landschaftsmalerei fest-
gestellt werden. Das Unendlichkeitsbewußtsein, das in den
Landschaftsschilderungen Rembrandts und Shakespeares webt,
ist in der Parklandschaft und im heroischen Staffeleibild des
Rokoko verklungen und in der Gartendichtung der Franzosen
und Deutschen und der Naturlehrpoesie der Engländer ver-
ebbt. Der Wiederaufbau des konventionsfreien Naturgefühls,
dem Rousseau und die englische Empfindsamkeit die Tore
aufgebrochen, erfolgt auf zwei Wegen, die sich deutlich in
der norddeutschen und auch in der Hamburger Malerei ver-
folgen lassen. Einmal auf dem Wege eines vorerst noch all-
zuwenig an die einzelnen Naturobjekte gebundenen Univer-
sumgefühls, wie es aus Ossians und Klopstocks Saiten rauscht
und in C. D. Friedrich sein rassegleiches malerisches Gegen-
bild empfängt, andererseits aus einer Nahbetrachtung des
Einzelobjektes, dem eine Widerspieglung des sinnvoll ge-
ordneten Kosmos im kleinen vindiziert wird.

Aus solchen zusammengesetzten, harmonisierten Nah-
bildern bauen sich Goethes Landschaftsschilderungen, in den
„Wahlverwandtschaften" gleichermaßen zusammen wie Runges
„Tageszeiten". Damit wäre die obere Grenze abgesteckt.

Andererseits wandert die salonfähige Landschaft aus dem
achtzehnten Jahrhundert ins neunzehnte hinüber (wie sie
übrigens durch alle Zeiten wandern wird), nur mit dem
Unterschiede, daß nicht mehr die Menschen sich auf der
Erde ein Fest bereiten oder eine Aktion vollführen, sondern
daß die Erde selber sich zur Freude der grauen Stubenvvände
durch merkwürdige Formationen, pittoreske Blicke, effekt-
reiche Beleuchtungen verherrlicht.

Dazwischen aber treibt sich das neue Volk der treu-
dienenden „Landschäftler" herum wie sie Cornelius im Voll-
besitz seiner anthropozentrischen Weltanschauung verächt-
lich bezeichnete.

Unter ihnen vollzieht sich allmählich die Zersetzung der
gegenständlichen Welt durch die neuentdeckten Werte der

Luft- und Lichtmalerei, die dem ästhetischen Subjektivismus
des späten neunzehnten Jahrhunderts ein vollwertiges Gegen-
bild in der Malerei entgegensetzt.

In solchem weiteren Zusammenhange scheint mir Paulis
Buch zu stehen, das Lichtwarks liebevolle Mühe mit war-
men und sorglich wägenden Worten in unsere Zeit trägt.
Dem Verleger, der das Werk glücklich ausgestattet hat, wäre
eine sorgfältigere Bearbeitung der Tafelhinweise im Text
zu empfehlen. Neumeyer.

Ein Jahrhundert Hamburg. 1800—1900. Gesam-
melt und herausgegeben von Victor Dirksen. Franz Hanf-
stängl Verlag. München, 1926.

Den Städtebüchern „Dresden" und „München" hat der
Verlag Franz Hanfstängl in schwierigster Zeit einen weiteren,
wie man vorausschicken darf, wohlgelungenen Band „Ham-
burg" folgen lassen. Der Aufgabe, das ungeheure Material zu
sammeln und zu sichten, hat sich der Verfasser mit wahrer
Liebe zu seinem Stoffe unterzogen. So ist ein über 300 Seiten
starker Band entstanden, der das Stadtschicksal durch Auszüge
aus Zeitungsberichten, Büchern und Familienchroniken veran-
schaulicht und den von Seite zu Seite treffliche Reproduk-
tionen zeitgenössischer Graphik begleiten. Sorgfältige Register
und ein zusammenfassendes Nachwort runden die Publikation
mustergültig ab.

Die Perspektive, aus der das Leben und die Entwicklung
der Stadt Hamburg gesehen wird, ist vorwiegend die des
oberen Bürgertums. Das so erstehende Bild ist zwar einheit-
lich, aber auch einseitig. Denn zum Schicksal einer werdenden
Weltstadt gehört gewiß ebensosehr das Entstehen eines
amorphen Proletariats, eines organisierten Arbeitertums, einer
langsam den ständischen Fesseln sich befreienden Hand-
werkerschaft, und eines immer weiter zurückgedrängten
Bauernstandes. Daß der Blick hierauf nicht gerichtet wird,
d. h. daß hierauf bezügliche Quellen fehlen, ist ein grund-
sätzliches Bedenken, das gegen alle bisher erschienenen
Bände zu richten ist.

Alle Stationen des besonderen städtischen Schicksals, wie
der Brand von 1842, die Cholerazeit von 1892, alle Höhen
und Tiefen der deutschen Geschichte im Spiegel eines Stadt-
lebens werden aufgeführt und durch das überaus geschickt
gesammelte Abbildungsmaterial verweilender Betrachtung
empfohlen. Neumeyer.

Dehio: Handbuch der deutschen Kunstdenk-
mäler. Band IV: Südwestdeutschland. Ernst Wasmuth,
Berlin, 1926.

Seit vielen Jahren vermißte man schmerzlich diesen un-
entbehrlichen Band. Es ist erfreulich, daß er wieder mit
wesentlichen Verbesserungen und Zutaten erschienen ist.

Die äußere Aufteilung hat entsprechend der Abtrennung
von Elsaß-Lothringen vom Deutschen Reich einen beson-
deren Anhang für diese Gebiete gefordert. Daß es inner-
halb der alten Reichsgrenzen ungeschmälert berücksichtigt
wurde, ist sowohl kunsthistorisch wie auch sachlich gerecht-
fertigt. Durch die Inventarisation der Kunstdenkmäler des
Deutschen Reiches sind diese zu einem wissenschaftlichen
Ganzen verbunden. Überdies steht die ganze Kunstentwick-
lung am Oberrhein in lebhafter Wechselwirkung und strahlt

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