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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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Kraus, Franz Xaver: Meister Erwin von Straßburg und seine Familie, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5789#0025

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37

Meister Erwin von Straßburg und seine Fmnilie.

38

Baumeister, wie solches die Inskription über der Schappel
oder Mittelmünsterthüren ausweist, die also lautet:
I.MO V0NM 1277.IX I)IL LLVTIHIILLVXI

H00 000LI08VN 0?V8 IXOH0VVIT
NV0I8ILL LLV7IXV8 I)L 8rLMI.OL ^).
Aehnlich sagt Schilter in seinen Noten zu Königshoven
S. 558: .. . 'wie die noch besindliche eingehauene Schrift
bezeuget.'

So positiv diese Zeugnisse sind, erlaube ich mir
gleichwohl zu bezweifeln, daß diese Jnschrift je existirt
habe, und ich freue mich, in dieser Hinsicht mit zwei
Sachverständigen, dem Dombaumeister Hrn. Klotz und
mit meinem verehrten Kollegen Herrn Pros. tllsol. I)r.
K. Schmid zusammenzutreffen. Herr Klotz hat durch
eiugehende Prüsung des Portals die Ueberzeugung ge-
wonnen, daß die Jnschrift nie an demselben gestandew
hat, daß gar kein Platz für dieselbe zu finden ist.
Die Mittheilung Hrn. Adler's (a. a. O. S. 367), der-
gemäß die „wiederaufgefundenen Bruchstücke dieser in
schönen gerundeten Majuskeln eingemeißelten Inschrift
sich 1862 im Frauenhause befanden", beruht auf einem
Jrrthume. Die im Museum des Frauenhauses erhal-
tenen Fragmente gehören der gleich zu besprechenden
Jnschrift an den Chorschranken an. Was Schilter und
Schadaeus anlangt, so ist aus vielen Stellen ihrer
Werke ihre Unzuverlässigkeit hinlänglich erwiesen, um
trotz ihrer bestimmten Melduug uns den Zweifel an
der Existenz jener Jnschrist zu gestatten. Bei seiner
eigenen Armulh solgt Schadaeus (dem Schilter jeden-
falls nur nachgeschrieben hat) sast immer seinem Führer
D. Specklin, dessen Autorität lange Zeit viel zu hoch
gehalten wurde. Daß der berühmte Straßburger Archi-
tekt in historischen Dingen seiner Phantasie freien Lauf
gelassen, ist nun auch von K. Schmid und Andern an-
erkannt. Aus Specklin's Kollektaneen, die 1870 zu
Grunde gingen, geht diese Jnschrift zurück, wie die be-
kannte Deutung jener andern, die man als Hauptbeweis
für Sabina's Thätigkeit anzusühren pstegt (auf einer
der nun, seit der Revolution, bestimmter seit 15 trsm.
un II der Republik zerstörten Apostelstatuen des Süd-
portals):

0IIV HV1VI z> HVL. t'I O I'.VI'I8 II I.008. T0.8V
VINWl

VL vHVLVix.OVVnKV RVIIOTV.RIII

0VLV s)

und die Schilter also verdeutscht: „Die Gnade göttlicher

1) Lolmäuorw, 8umm. Vr§. Nemxlnm oto. Straßb. 1617,
x. 14.

2) Sie könnte also, was ebenfalls unwahrscheinlich ist,
nur aufgemalt gewesen sein.

3) Schilter a. a. O. S. 559. Nach ihm gebe ich die
Zeileneintheilung, die mit der Abbildung des Spruchbands
bei Schadaeus, Tas. 6 im Ganzen stimmt.

Barmherzigkeit stehe bey der Savine von Steinbach, durch
welche ich, diese Figur, gemacht worden Lin." Niemand
nimmt diese Uebersetzung jetzt noch im Ernste an, sie zeigt
aber die Quelle, aus welcher die Sage über Sabina als
Tochter Erwin's zwar nicht entstand — denn sie muß Llter
sein —wohl aber sich nährte; sie verräth noch mehr: in
ihr mag auch Specklin für den Familiennamen „chon
Steinbach" einen Beleg gesunden haben (wenn auch
„Hartenstein" dem xotru ckuru besser entsprach).
Seit drei Jahrhunderten geht nun dies Gespenst um,
von dem keine ältere Quelle, von dem die Grabschristen
der Erwin'schen Familie, von dem die zahlreichen ur-
kundlichen Notizen im Frauenhaus-Archiv (s. unten) keine
Silbe wissen. Man suchte dies Steinbach als Geburts-
ort des Erwin bei Thann im Ober-Elsaß, man suchte
es in Baden, wo'man Erwin in vorschneller Begeisterung
das weithin sichtbare Denkmal setzte. Andere haben den
Baumeister zum Mitglied der elsäßischen Adelsfamilie
von Steinbach gemacht, ^) bis schließlich Hr. Gorard
mit seinem köstlichen 8srv6 cko UiorroIonäZ gekommen
ist. ^) Alle diese Dinge hängen in der Luft. Man wird
serner von Erwin von Straßburg, nicht mehr von Erwin
von Steinbach zu sprechen haben.

4) Inschrift an der Marienkapelle. „Wenn man
von dannen neben der Cantzel zum Chor gehen will, ist
zur rechten Hand unser Frawen Capell, vber welcher
geborne Fürsten, Graffen vnd Herren pslegen der Predig
zuzuhören, an deren stehet im GelLnder mit vber auß
großen aneinander gehenckten alt Fränckischen Versal
Buchstaben das Nuriu. Vber dem Gelänber das
Orocko in Douni oto. Vnd under demselben folgende
Schrist:

N.OOO.XVI.^VIRIOVVIT H00 0?V8
HIV0I8ILII OIGVIX.

Dooo nnoillu Dornini. Oiut inilli soonnänrn voi'llunr
tuurn. Xrnon. ^)

So Schadaeus. Jn dieser Inschrist hat Adler
(S. 369) eine urkundliche Beglaubigung dasür gesehen,
daß Erwin auch den Lettner (richtiger die Chorschranke)
gebaut; auch Woltmann läßt sich von dem Satze „eigen
berühren", er „klingt ihm wie der schmerzliche Ausruf
eines Vielgeprüsten" (S. 372). Jch muß auch dieser
Poesie ihren Reiz abstreifen. Einmal sagt Schade mtt
keinem Worte, die Inschrift habe sich an dem Lettner
befunden; seiner Beschreibung nach stand sie an dem
Geländer der unstreitig von Erwin gebauten Marien-
kapelle, die ja, wie Herr Adler selbst zugiebt, auch ihre
Brüstung hatte. An der Marienkapelle war der eng-
lische Gruß angeschrieben, wie er beim Mittag- und

1) Seeberg, die Junker v. Prag. Naumann's Archiv f.
zeichn. Künste XV, 193.

2) Görard, a. a. O. x. 212.

3) Schadaeus, a. a. O. p 68.
 
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