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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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Holländische Kunstzustände, [3]
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Holländische Kunstzustände,

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Kind, das einen Stuhl in Stücke schlägt, weil es sich
daran gestoßen hat. Da müßte in Niederland manches
geschleift werden, was tranrige Erinnerungen erweckt,
jeder Bau, der Gefängnisse enthält, der Binnenhof im
Haag rc. Und wenn man alles zerstören wollte, was
den öfsentlichen Verkehr hindert? Die Tuilerien sind
wahrhaftig ein Verkehrshinderniß für die Pariser, der
9 Uhr Abends geschlossene Park zu Brüssel sür die
dortigen Einwohner, die St. Janskerk zu Herzogenbusch
und ebenso eine Menge anderer Bauten. Sollen die alle
geschleift werden? Und was den Knnstwerth und das
häßliche Aussehen dieser Poort anbelangt, kann man
von ihr, die bestimmt war, den Feind von der Bestür-
mung des Schlosses der holländischen Grafen abzuhalten,
verlangen, daß sie lieblich erscheine, soll sie nicht viel
mehr Ehrerbietung oder Furcht erwecken? „Baut man
denn unsere Zuchthäuser so, daß sie zu Jdhllen passen?"
Wenn schon der Kunstwerth dieser Poort gering ist, so
liegt eben ihre Bedeutung darin, daß sie in Holland das
einzig gut erhaltene Beispiel der Einrichtung alter Kerker
darbietet; sie hat einen wissenschastlichen Werth und ist
deshalb erhaltenswerth, „und unser Land ist reich genug,
um auch einmal für Zwecke der Wissenschaft von Zeit
zu Zeit eine Summe auszugeben." Herr de Stuers ver-
gleicht ein prächtiges Stadtthor des Mittelalters oder der
Renaissance mil dem schönem Titelblatt eines alten Buches,
im Gegeusatz zu uuserer Zeit, welche oft genug sich be-
gnügt, den simplen Namen eines Ortes aus ein Bahn-
hofgebäude zu malen als einziges Charakteristikon und
Kennzeichen desselben. Das Thema wird in Herrn de
Stuers' Schriften noch lange sortgesponnen, und schla-
gende Beispiele von der Verwahrlosung und Zerstörung
von Monumenten angesührt.

Gehen wir nun zu den Museen über! Zuerst spricht
unser Gewährsmann über ihre schwere Zugänglichkeit,
dann über die mangelhaften Direktionen derselben. Man
stellte Direktoren und Jnspektoren an mit einem Jammer-
gehalt, wie er etwa einem Portier entspricht, man gab
ihnen solche Jnstruktionen, daß ihre Thätigkeit schließlich
auf das Abstauben der Bilder reducirt wurde. Was
Wunder, wenn auch der Zustand unserer Museen dem
entsprechend ist? „Jeder, der nicht blind ist, muß ein-
gestehen, daß das Trippenhuis in elendem Zu-
stande sich befindet, und wer nicht taub ist, muß das
Maaß von Schmähworten darüber seitens der Fremven
für voll erachten, aber — wir bleiben ruhig und ge-
duldig, wir sehen ohne Scham diese Zustände fortdauern."
Die Direktion bestand aus vier Personen, zwei Vor-
ständen von 72 und 83 Jahren, die nicht mehr im
Stande waren, eine Treppe zu besteigen, dann zwei Jn-
spektoren mit 900 und 1000 Gulden Gehalt, wovon
sie noch ein gut Theil für den Wittwen- und Waisen-
sonds abliesern mußten! Und nicht anders ist's mit der i

Galerie im Haag. Und gar erst die Lokalitäten!
Da stnd die Gemälde bald der Sommersonne, bald
dem Dunst und der Gluth der Oefen ausgesetzt, bald
nächtlichen Frösten und den Feuchtigkeitsniederschlägen,
und das Publikum begreift es nicht, „daß ohne anhal-
tende Sorgfalt und Aufmerksamkeit ein Bild Rem-
brandt's ebensogut zerstört wird, wie eine frisch ange-
strichene Thür oder eine fein lackirte Droschke."

Als Beispiele verdorbener Bilder finden wir die
folgenden citirt: „Ein Bild von van Cuyp, von welchem
die Farbe stellenweise abspringt, No. 66, ein ebensolches
von van de Velde, welches schändlich gefirnißt ist, die
Nachtwache endlich, welche kürzlick mit einem viel zu
dicken Firniß überzogen wurde. Manche Oelgemälde
sind so verwahrlost, daß sie halb geborsten aus ihrem
Rahmen heraushängen. Um nicht der Uebertreibung
beschuldigt zu werden, nenne ich unter anderen eines:
No. 104, eine Ansicht von Nymvegen von van Goijen.
Mit Hilfe einer Laterne und einer Leiter kann der neu-
gierige Leser dies Bild im Werth von einigen Tau-
senden im zweiten Stock, hinter einem Gängchen rechts
in der Ecke oben am Plafond finden."

„Etwa 40 Gemälde liegen auf dem Speicher des
Magazins und sind dem Publikum natürlich unzugänglich.
Daselbst werden wohl auch die 40 geschenkten Bilder
von Liotard placirt werden. Welche Ermuthigung für
edle Geber!" „O, wenn es gälte, 10,000 Pakete Java-
kasfee von dem Verderben auf einem Speicher zu retten,
wie würden die Amsterdamer sich sputen, um eine Kassee-
bohnenversorgungsagitation in's Werk zu setzen!"

Besser sieht es mit der Galerie im Haag aus, doch
auch hier fehlt Raum und Licht. „Allererbärmlichst ist
die Kunstkammer, welche im unteren Stock dem Ver-
derben anheimgegeben ist. Nicht ein Fremder, der uns
nicht darüber verhöhnt. Nur der Eingeborene bleibt
da seit 50 Jahren gelassen. Hätte Gott dem Noah,
als er ihm befahl, von jedem Geschöpf zwei Stück aus-
zuwählen, die Zeit nicht gelassen, diese Auserwählten
zu ordnen und zu rangiren, so wäre meines Erachtens
ein solches Durcheinander zu Stande gekommen, mit dem
allein diese Sammlung sich einigermaßen vergleichen
läßt." Und erst der Katalog, der ganz diesem Wirr-
warr entspricht. Da steht ein Unsinn beisammen, wie
er für die Fliegenden Blätter paßt. „Noäele äu oou-
tOUU UVSOISHUOI ^nllsrstrÖlU U Ä88U881U6 (äu8ta.vs III,
roi äs 8usäs." Er starb ja an einer Kugelwunde!
Und so geht es fort, unzählige Beispiele werden noch
angeführt, um an alle Schäden zu erinnern, „und",
ruft Herr de Stuers aus, „wenn wir die Zustände
unserer Museen erwägen, schreien uns denn nicht die
Geister eines Rembrandt, Frans Hals und der gesammten
ruhmreichen Niederländer Schule in die Ohren, daß wir
 
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