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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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Berggruen, Oscar: Aus dem Wiener Künstlerhause, [1]
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Aus dem Wiener Künstlerhause.

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Mangel wird jedoch wett gemacht durch das meisterhafte
Ablösen der Figuren vom Hintergrunde, welches die
Anordnung des Bildes besonders klar hervortreten läßt.
Die koloristische Zusammenstimmung des Ganzen ver-
dient das höchste Lob; namentlich trägt ein dunkel-
grüner Kachelosen als unmittelbarer Hintergrund der
Hauptfigur zu ihrer Wirkung so glücklick bei, wie
der bekannte grüne-Hintergrund aus den Bildnissen des
jüngeren Holbein zu ihrer klaren und doch weichen
Prosilirung.

Einen gleichen Fortschritt konnten wir leider bei
Gabl's „Brautbett-Einsegnung" nicht wahrnehmen;
ja, das Bild bezeichnet einen entschiedenen Rückschritt
gegen seinen vielversprechenden „Haspinger". Das Braut-
paar steht ziemlich empfindungslos da und weiß nicht,
was es mit sich ansangen soll, nur der die Einsegnung
vollziehende, wohlgenährte Kaplan hat einen leisen hu-
moristischen Zug. Die Disposition des Bildes ist ebenso
mißrathen wie das Kolorit, in welchem vas harte, kalte
Weiß des Brautbettes grell und unangenehm austritt.
Weit anspruchsloser nach Format und Vortrag, aber
ungleich erfreulicher ist ein gegenüber hängendes Genre-
bildchen von Ro tta in Venedig: „Der kranke Freund".
Nichts weiter, als ein alter Iäger, der seinen krank aus
der Streu liegenden Hund pflegt: ein kleines Meister-
werk indeß an Zeichnung, Farbe und Empfindung. Mit
überquellender Krast hat Alexander Wagner in Mün-
chen ein „Csikos-Nennen zu Debreczin" dargestellt; die
Wirkung des Bildes ist unbestreitbar, trotzdem es von
Verzeichnungen wimmelt und die Farbe in ihren krassen
Effekten hart an vie Schönheitsgrenze streist. Mit auf-
sallender Naturtreue hat der Künstler aus dem Bayer-
lande die heiße, stauberfüllte Luft, das sengende Sonnen-
licht und den trockenen, zerklüsteten Steppenboden des
magyarischesten Gebietes der Magyarei wiedergegeben;
auch die rossehütenden und rossesrohen Pußtensöhne sind
dem Typus nach gut getroffen, wenngleich zu wenig in-
dividualisirt. Schwach gerathen sind dagegen die eigent-
lichen Träger des Bildes: die wettlausenden Pserde; so
dickleibig und kurzbeinig ist das ungarische Steppenpserd
denn doch nicht. Suchodolski in Düsseldorf hat ein
älteres Bild, den „Trauerzug" znr Ausstellung gebracht,
ein schön gedachtes und stimmungsvoll ausgesührtes Effekt-
stück, dessen Wirkung jedoch durch die allzu großen Di-
mensionen entschieden beeinträchtigt wird. Um die un-
geheure Leinwand zu füllen, mußte der Künstler die ihren
Abt zu Grabe tragenden Mönche bis zum Essektivbestande
einer Kompagnie Soldaten auf dem Kriegssuße ver-
mehren und schier einen ganzen Pinienwald mit einem
Stück der Appeninen zur Darstellung bringen. Aller-
dings lassen Mönche, Pinien und Steine so wenig zu
wünschen übrig wie die Äbenddämmerung von echt he-
sperischer Klarheit und der Gegensatz der Fackelbeleuch-

tung im Thale zu dem letzten Lichte der Abendsonne,
die über den Bergesgipfeln mälig verglüht.

Reizvoll und von ungesuchter, unmittelbarer Wir-
kung sind Jaroslav Czermak's „Hussiten vor Naum-
burg". Dieser treffliche Schüler Gallait's hatte in
früherer Zeit eine eigenthümliche Vorliebe für die Dar-
stellung der gewaltsam werbenden Liebe; eines seiner
bestkomponirten Bilder hat den Kampf südslavischer
Jungfrauen gegen nachsetzende Türken zum Vorwurfe,
und eines seiner stimmungsvollsten betitelt sich schlecht-
weg —- gleich einem Kapitel aus dem Ooäs ponul —
„To viol". Um so erfreulicher ist das Thema des gegen-
wärtigen Bildes. Da illustrirt uns ver Künstler die
naiv liebenswürdige Ballade, welche einen der wenigen
mxnschlichen Züge aus dem deutschen Religionskrieg ver-
ewigt hat, und wir sehen leibhaftig, was der Volksmund
in den besfer gemeinten als gewählten Reimen erzählt:
„Doch ber Meister von der Schul' — Sann auf Ret-
tung und verful — Endlich auf die Kinder". Diese
Kinder nehmen denn auch auf Czermak's Bilde das
Hauptinteresse vorweg; von dem zartesten Alter bis zur
beginnenden Jungfräulichkeit aufsteigend, repräsentiren
sie in mannigfachen, auf das feinste ausgearbeiteten Fi-
guren nnd in trefflich motivirter Gruppirung und Be-
wegung eine erstaunliche Fülle von Individualitäten.
Das Büblein hier, welches nach dem Busche eines am
Boden liegenden Helmes greift, wie der junge Achill
im weiblichen Gewande nach den Waffen, wird sicher-
lich dereinst als Lanzknecht Dienst nehmen, und der
Knabe dort, der mit predigerhast erhobenen Händen um
Schonung bittet, mag vereinst die neue Lehre eifrig ver-
künden. Das blonde Mävchen mit dem madonnenhaften
Augenauffchlage wird wohl vor dem sündhaften Treiben
der Erdenkinder in ein Kloster sich flüchten; das braune
Kind aber mit den vollen Lippen und dem herzhaften,
begehrlichen Blicke dürfte manchen liebebedürstigen edlen
Herrn dereinst um seine güldenen Dukaten erleichtern
unv, weit m der Welt herumwandernv, vielleicht einem
welschen Maler als Vorbild zu einer Imm Oorintlliuou,
einer Danaö, Leda oder sonstigen profanen Schönheit
dienen. Minder ausdrucksvoll ist die Gruppe der Hus-
sitenführer, in welcher blos ein verbissener Geselle von
echt tschechischem Aussehen interessirt, der, von so viel
Unschuld ungerührt, die Störung zu verwünschen scheint.
Auch die Kriegergruppen im rechten Vorvergrunde und
links im Hintergrunde sind mehr als Stasfage behan-
delt. Das Kolorit läßt, wie sich bei Czermak von selbst
versteht, nichts zu wünschen übrig; wenigen Künstlern
steht ein Jncarnat zu Gebote, wie wir es hier auf den
nackten Körperchen der kleinsten Kinder bewundern. Künst-
lerisch nicht minder vornehm, doch einer ganz anderen
Region von malerischer Begabung angehörend, ist der
„Herbstreigen" von Gabriel Max. Das Motiv, wel-
 
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