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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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Berggruen, Oscar: Die Selleny-Ausstellung im Wiener Künstlerhause, [1]
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Die Selleny-Ausstellung im Wiener Künstlerhause.

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selbst die sehr interessante Ausstellung von Aquarellen
Eduard Hildebrandt's, deren wir uns 1870 im
Künstlerhanse zu ersreuen hatten, konnte, bei aller Mannig-
saltigkeit, nicht die universelle Bedeutung der gegenwär-
tigen Sannnlung Selleny'scher Arbeiten beanspruchen.

Unwillkürlich sühlt man, nachdem der Name Hilde-
brandt's zufällig gesallen, sich versucht, eine Parallele
zwischen dem aus Danzig stammenden großen Aqua-
rellisten und unserem im Weichbilve Wiens geborenen
Künstler zu ziehen. Die beiden, in ganz gleichem Alter
früh dahingeschiedenen Meister haben, dieser vom Donau-
strome, jener von der Weichselmündung aus, bloß mit
dem Ballaste ihrer Kunst sich kühn auf's Weltmeer ge-
wagt und den Erdball umsegelt; beide haben, was sie
erschaut und erlebt, in schier unerschöpflicher Fülle zur
Darstellung gebracht und so einen kompendiösen ordis
piolrm geschafsen, ver als ein immerhin ganz annehm-
barer Ersatz mangelnder Antopsie angesehen werden kann.
So trefflich aber auch die Leistungen der beiden Künstler
in ihrer Ark sind, so kann es doch kaum einen ausgeprägte-
ren Gegensatz künstlerischer Grundanschauungen geben, als
den Unterschied in der Darstellungsmethode der genannten
Meister, und eben wegen dieser Polarität ergänzen sie
einander in der wirksamsten, für die Wissenschaft und
Kunst ersprießlichsten Weise. Selleny arbeitet vor-
nehmlich mit dem kontourirenden Stifte; ihm ist die
Zeichnung, die möglichst genaue Treue und scharfe Auf-
nahme des vorliegenden Naturbildes Hauptsache, und
dann erst kommt das Kolorit in Betracht. Hilde-
brandt's Darstellungsmittel hingegen ist zunächst der
kolorirende Pinsel; er sieht der ihm erscheinenden Natur
vor Allem den koloristischen Effekt ab, der ihn um so
mehr reizt, je seltener er auftritt, und erst dann denkt
er an Umriß und Begrenzung des Bildes. Aus diesem
Grunde ist es erklärlich, weshalb so viele der primären
Studien Hildebrandt's sosort als eigentliche Bilder, als
abgeschlossene Kunstwerke gelten können, während so
wenige Stubien Selleny's bis zu diesem Grade ausge-
führt und vollendet sind. Denn, wenn die Farbenwir-
kung eines konkreten Naturbildes, insbesondere eine außer-
gewöhnliche, treu wiedergegeben werden soll, so müssen
hiezu alle Mittel der Darstellung sogleich aufgeboten
werden, und es geht nicht an, den flüchtigen, mit Lust
und Licht wechselnden Farbenton blos zu notiren, die
Ausführung aber für spätere Zeit sich vorzubehalten.
Jn einer ganz anderen Lage dagegen ist der Künstler,
welcher die Dinge der Außenwelt zunächst in jener Ge-
stalt darstellen will, in welcher sie sich gewöhnlich dem
Beschauer darbieten und der auf Kontour und Form
als das Beharrende, Wesentliche der Erscheinung das
Hauptgewicht legt. Da genügt es allerdings, die Um-
risse des Naturbildes treu wiederzugeben und blos jene
Details auszusühren, welche das Charakteristische der

Erscheinung ausmachen und ohne sosortige Aufnahme
leicht dem Gedächtnisse enlschwinden können, die anderen
Details aber blos anzudeuten oder, wo sie selbstver-
ständlich sind, auch ganz wegzulassen. Diese Methode
der Naturaufnahme hal denn auch, wie wir des Näheren
erörtern werden, Selleny mit Recht besolgt, und so sehen
sich seine meisten, seine besten und unmittelbarstelt Auf-
nahmen an wie malerische Stenogramme der Nalur.
Nach der Jntention des Küustlers sollen diese primären
Naturstudien eben keine selbständigen Zwecke verfolgen,
sondern erst später in die künstlerische Darstellung über-
tragen werden, gleichwie literarische Stenogramme in
die gewöhnliche Zeichenschrift. Um das VerhLltniß
zwischen beiden Meistern sich anschaulich zu machen,
denke man an das allbekannte Oelbild Hildebrandt's
„Unter dem Aequator", an seine wundersame „Bai von
Rio de Ianeiro bei Monvschein" in der Villa Raveno
zu Berlin, oder an das berühmte Aquarell aus Siam
„Elephant, bei Sonnenuntergang einen Bauinstamm
ziehend", und besehe Selleny's großes Oelbild „Die
Jnsel Sanct Paul", seine große Aufnahme des Busens
von Rio de Janeiro von ver Landseite aus und etwa
die in der Ausfassung geradezu großartige, im Detail
wunderbar scharfe Bleistiftzeichnung des Tempels von
Mahamalaipnr, und der oben hervorgehobene Gegensatz
zwischen den beiden Künstlern wird sosort in's klarste
Bewußtsein treten. Früher pflegte man nicht selten in
einer sür Selleny verletzenden Weise aus die koloristische
Ueberlegenheit und das künstlerisch Fertige der Hilde-
branvt'schen Ausnahmen hinzuweisen; allein dadurch ist
der bei Künstlern ersten Ranges stets müssige Streit,
wer der „größere^ von beiden sei, nicht entschieden. Jn
dem Sinne, in welchem Goethe dieselbe Streitfrage in
Bezug aus sich und Schiller löste, kann vielmehr vie
deutsche Kunst ohne weitere Messung der „Größe" stolz
daraus sein, „zwei solche Kerle" zu besitzen, die zu-
sammen das plastische wie das malerische Prinzip ver
künstlerischen Darstellung der Natur in so mustergiltiger
Weise vertreten.

Verweilen wir, ehe wir zur Besprechung der ein-
zelnen Selleny'schen Werke schreiten, noch einen Augen-
blick bei der aus ihnen hervorgehenden Aussassungs-
und Darstellungs-Methode des Künstlers, um den aus
einer verartig umfassenden Ansstellnng für die Kunst-
geschichte zunächst fließenden Gewinn eines solchen Ein-
blickes festzuhalten. So schön komponirt und mit nicht
geringer Begabung gemalt auch mehrere der ausgestellten
Oelbilder unseres Meisters sind, können wir den
Schwerpunkt seiner Leistungen doch nicht in die von
ihm nachträglich nach seinen Skizzen ausgesührten Ar-
beiten legen. Bekanntlich ist es dem'unglücklichen Künstler,
trotz der bescheidensten Ansorderungen, selten gegönnt
gewesen, seine Aufnahmen zu Bildern zu gestalten;
 
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