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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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Berggruen, Oscar: Die Selleny-Ausstellung im Wiener Künstlerhause, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5789#0085

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Die Selleny-Ausstellung im Wiener Künstlerhause.

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Schärfe und Sicherheit, mit welcher Selleuy alles Wesent-
liche und Charakteristische eines Objektes erfaßt, gewiu-
nen seine Aufnahmen eine außerordentliche Unmittelbar-
keit; dem Beschauer drängt sich die Ueberzeugung von
der Wahrheit der Darstellung auf, und es gewährt
ihm einen besonderen Reiz, das vorliegende Stück
Natur selbstthätig zu ergänzen und in seiner Phantasie
zum vollen Bilde auszuweiten, was bei der Prägnanz
der Sellenh'schen Darstellung nicht gar schwer ist. Gleich
die Aufnahme von Triest bildet einen Beleg für das
eben Bemerkte, einen noch gewichtigeren aber die von
Rio de Janeiro. In dem ersteren Städtebild ist ihm
Farbe, Licht und Luft vertraut, er kolorirt fast nichts
und markirt nur die Grundfarbe des einen oder andern
aus dem Gesammten hervortretenden Gebäudes; in dem
letzteren dagegen ist das Kolorit schon sorgsältig beachtet,
Wasser und Luft werden in der Farbe ersichtlich gemacht,
und sogar der Ton des Höhenzuges an der Küste. Ja,
der Künstler-sügt der Skizze von Rio die Bemerkung
bei: „Das Gebirge sehr weit auseinander tretend, nach
unlen neblig, trübe", um Charakter und Stimmung des
Landschaftsbildes für die Folge noch schärfer festzu-
halten. Ein Waldweg in Südamerika zeigt alle Stadien
der Aussührung, je nachdem die betreffenden Pflanzen,
Farrenkraut, Cacteen und tropische Bäume ihm mehr
oder weniger bekannt waren. Wie sorgsältig und scharf
der Künstler jedes Objekt, das er aufnimmt indivi-
dualisirt, beweisen unter anderen auch die zwei „tro-
pischen Vegetationsgruppen" und das Stück „brasiliani-
scher Urwald" aus der Sammlung des Herzogs von
Coburg; nicht minder die Aufnahmen aus heimischen
Gegenden, zum Beispiel seine „Praterstudien" unv die
„Bleististzeichnung aus Neuwaldegg bei Wien". Schon
die ersten Arbeiten Selleny's, die in der Akademie
der bildenden Künste in Wien aus der Schulzeit des
Meisters aufbewahrten Zeichnungen nach der Natur,
weisen — ex nnAus leonenr! — die volle individuali-
sirende Kraft, den scharfen Blick, den großen Wurf und
die immer mit den geeignetsten technischen Behelfen
operirende Darstellungsgabe aus, welche dem Künstler
später zu Gebote standen. Schon die ersten Bäume,
die er im heimischen Prater zeichnete, sind nach Rinde,
Verästung und Belaubung so individuell, schars und
klar behandelt, wie später die Palmen und Orchideen
und die anderen Pslanzen alle, die Selleny im tropischen
Wendekreise abkonterfeite.

Kein Objekt ist ihm zu gering, in Alles was ihm
der Ausnahme werth erscheint, versenkt er sich mit gleicher
Sorgfalt und Liebe; ein Felsen, ein Baumschlag, ein
Stück Zeug oder ein Hausgeräth wird, wo es noth
thut, mit größter Genauigkeit dargestellt. Aus diesem
Grunde haben seine Studien den unermeßlichen Werth
voller Wahrheit und Verläßlichkeit; aus diesem Grunde

bieten sie, gleichwie die Natur selbst, vom verschieden-
artigsten Gesichtspunkte aus Einsicht und Belehrung.
Er stellt beispielsweise einen Felsen der Jnsel Amster-
dam im indischen Ocean so genau dar, daß seine
Stratisikation in einer für den Geologen sehr interessan-
ten Weise anschaulich wird; sie erinnert auffallend an
die des Matterhorns bei Zermatt in der Schweiz und
der Felsen läßt sich, von den Dimensionen abgesehen,
mit diesem nach Form und Struktur merkwürdigen
Riesen unter den alpinen Gletschern vergleichen. Die
Ausbeute für den Botaniker ist selbstverständlich; den
Ethnographen muß die Treue und das Verständniß,
mit welcher Schädelbildung, Gesichtswinkel, Gesichts-
schnitt und Hautfarbe der Menschen nichtkaukasischer
Rasse dargestellt wurden, auf's Höchste befriedigen.
Die Bildnisse der Königin Pomaro auf Tahiti und
der Familie des Königs von Pomatograu sind bei aller
Skizzenhaftigkeit des Unwesentlichen wahre Kabinet-
stücke an porträtmäßiger Auffassung und Ausführung.
Mit welcher Prägnanz Selleny Architekturbilder aus-
zunehmen verstand, beweist, unter vielen anderen
Skizzen, seine Darstellung einer Straße in Madras,
welche die Verquickung europäischer und indischer
Architektur so geistreich zur Anschauung bringt, oder der
„Theegarten in Shanghai", welches Bild uns in eini-
gen Kiosken den Geist der chinesischen Architektur ebenso
ergötzlich wie charakteristisch vergegenwärtigt. Diese Auf-
nahme mag übrigens auch als Beispiel der trefflichen
koloriftischen Behandlung dienen, welche Selleny überall
anwendet, wo er die Farbenwirkung seines Objektes
aus dem Gedächtnisse nicht reproduziren könnte. Dieses
Aquarell steht, wie etwa auch die großartige Marine
aus dem stillen Ozean, dann der früher erwähnte
Sonnenuntergang auf dem südlichen Weltmeer, das
merkwürdige Felsenbilv aus Gibraltar und alle seine
Ausnahmen von Charakterfiguren und menschlichenTypen,
durchaus aus der Höhe der Farbengebung und künst-
lerischen Vollendung selbst der besten Hildebrandt'schen
! Aquarelle. Wie liebevoll Selleny das Detail behan-
delte wo es nöthig war, zeigt am Schlagendsten das
Konterfei eines an der Küste von Ceylon gefangenen
Haifisches, welches mit erstaunlichem Fleiße in Wasser-
farben ausgeführt ist. Dieses Prachtepemplar bildet
eine der wenigen zoologischen Ausnahmen, die von dem
Künstler vorliegen; denn sonderbarer Weise ist, außer
der Skizze eines Elefanten, dann einigen Pinguinen,
Pelikanen und Känguruh's die exotische Fauna sonst in
der Ausstellung nicht vertreten.

Noch einer Eigenschast müssen wir sckließlich ge-
denken, die uns Selleny's Arbeiten und seine künst-
lerische Persönlichkeit so sympathisch macht: die unstill-
bare Wißbegier, das rastlose Sammeln alles Wissens-
und Bemerkenswerthen und der glückliche Jnstinkt, dies
 
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