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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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Das Steindenkmal in Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.5789#0092

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Das Steindenkmal in Berlin.

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nichts mit einander gemein haben. Jn Frankreich thut
wenigstens noch der Ciseleur — namentlich bei Figuren
von kleinerem Umfang -— sein Bestes; in Deutschland
kann man von einer eigentlichen Ciselirkunst bis zur
Stnnde noch nicht reden.

Der Kops ist das Beste an der ganzen Statue; er
ist ausdrucksvoll und charakteristisch. In der scharfen
Charakterisirung hat ja stets das Hauptverdienst der
Schadow-Rauch'schen Schule gelegen, zu deren letzten
Ausläusern Schievelbein gehört hat. Aber diesem Kopfe
haftet zugleich anch die Schattenseite jener realistischen
Richtung in der Bildhauerkunst an, eine unsägliche
Nnchternheit. Der Mann ist redend gedacht, wie er
durch seine Beredtsamkeit eine Versammlung entslammt,
aber das Feuer seiner Beredtsamkeit hat nicht den ge-
ringsten Abglanz in seinem Gesichte zurückgelassen. Jch
hatte noch kürzlich Gelegenheit das Denkmal Cavonr's
in Mailand zu sehen, ein Werk von Tantardini und
Tabacchi, von zwei mäßig begabten Bildhauern, welche
an Schievelbein keineswegs heranreichen. Aber diese
wenig originellen Nachtreter Canova's haben in der
einen Figur des italienischen Staatsmannes viel mehr
Phantasie und Schönheitsgesühl bekundet, als die beiden
deutschen Bildhauer in ihrem sigurenreichen Werke. Die
italienischen Denkmäler sind meist alle über einen Leisten
geschlagen. So sitzt auch am Sockel des Cavonrdenk-
mals die trauernde Muse der Geschichte, welche den
Namen des Geseierten in ihr Buch schreibt. Diese
Jdee ist abgedroschen und durch ihre ewigen Wieder-
holungen langweilig geworden. Aber sind die vier Tu-
genden oder die vier Vertreterinnen von Knnst nnv
Wissenschast, die seit Jahrzehnten an keinem neuen
Denkmal unserer Staatsmänner nnd Geisteshelden sehlen,
interessanter nnd origineller? Auch diese Jdee ist nach-
gerade abgenutzt, und ihre immerwährende Verwerthung
legt nur ein Zeugniß von der Erfindungsarmuth unserer
Künstler ab. Alles steuert in der Kunst ans den Rea-
lismus oder wenigstens auf den Naturalismus hinaus,
und nicht in letzter Linie die Bildhauer: aber der alle-
gorische Zops hängt ihnen nach wie vor im Rücken.

Der Unterbau des quadratischen Sockels —- letzterer
ist in seiner reichen Gliederung nach oben und unten
genau einem Rauch'schen Muster nachgebildet — läßt
an jeder seiner vier Ecken einen Bogen von drei Vier-
theilen eines Kreises ausspringen. Aus diese Weise
werden vier runde Postamente gebildet, auf denen vier
faft lebensgroße, weibliche Gestalten stehen: auf der
Vorderseite die Vaterlandsliebe mit der Kaiserkrone auf
dem Haupt und den von Stein begründeten Nonninbntn
Cernrnnins in der Hand — eine allegorische Figur,
die durch nichts als Vaterlandsliebe charakterisirt ist
und ebenso gnt eine Germania darstellen kann — und
die Frömmigkeit mit verschleiertem Haupt und einem

Kreuze in der Nechten, wie man sonst den Glauben
darzustellen pflegt, auf der Rückseite die Wahrheit, welche
in einen Spiegel blickt, und die Kraft, in ein Löwenfell
gehüllt und die Hand auf ein Schwert stützend. Diesen
Figuren läßt sich absolut nichts nachsagen, weder etwas
Gutes, noch etwas Schlechtes. Sie sind korrekt und
langweilig, Allegorien, wie man sie aller Orten zu
Dutzenden findet. Bläser war meines Wissens der Ein-
zige in der ganzen Rauch'schen Schule, der nach dem
Meister weibliche Jdealgestalten von wirklicher Schön-
heit und von mehr als gewöhnlichem Reiz zu schaffen
vermochte. Schievelbein's Verdienste liegen anderswo:
er hat in dem Hofe des Neuen Museums ein Relief
mit der Zerstörung von Pompeji hinterlassen, welches
uns zeigt, was wir an diesem Meister besessen haben.

Der Meister dieses Reliefs verläugnet sich auch
nicht in den vier Sockelreliefs, welche die Geschichte
der Freiheitskriege symbolisiren. Auf der vorderen Seite
enthüllt die „Hoffnung der zu ihrer Rechten trauernden
Borussia eine ruhmvolle Zukunst", während zu ihrer
Linken ein nackter Mann als Repräsentant des Volkes
seine Fesseln bricht. Aus der Seite rechts vom Be-
schauer ist die „Opferwilligkeit des preußischen Volkes"
durch eine thronende Borussia und gabenbringende Fi-
guren, ans der hinteren Seite ist die Erhebung darge-
stellt. Borussia sührt ihre Kinder — römisch bewafs-
nete und gepanzerte Krieger — in den Kamps, ein Re-
lies, welches sich ganz getreu an ein Rauch'sches Vorbild
anschließt- Das vierte Relies endlich stellt den Sieg
in den drei mit Kränzen geschmückten Personifikationen
von England, Deutschland und Rußland dar.

Um den Unterbau und die vier kreisrunden Posta-
mente zieht stch ein schmaler, zusammenhängender Re-
liefstreifen, welcher gleichwohl wiederum vier verschiedene,
figurenreiche Scenen enthält. Es sind vier Hauptmo-
mente aus Stein's Leben, welche geschickt in die Ge-
schichte der Freiheitskriege verslochten sind. Aber trotz-
dem, daß diese Scenen aus dem Leben gegriffen sind, fehlt
ihnen doch der slotte, realiftische Zug, den wir in solchen
Darstellungen ungern vermissen. Andrerseits eignen sich
diese Scenen auch nicht sonderlich zur plastischen Dar-
stellung. „Der neben der Königin thronende König
Friedrich Wilhelm III. übergiebt Stein in Gegenwart
der königlichen Prinzen nnd der Minister das Gesetz
vom 24. Nov. 1808 über die neue Verwaltungsord-
nung" — das ist sicherlich kein Thema, das einen Künstler
begeistern kann. Mehr geeignet ist der Einzug der ver-
bündeten Heere in Leipzig; aber auch hier wird das
genrehafte Motiv dnrch eine Staatsaktion gestört: die
drei Monarchen übergeben Stein die Verwaltung Dentsch-
lands! Bei der Kleinheit der Figuren und ihrer großen
Menge sehlt natürlich die Klarheit und Einfachheit, die
wir von einem Relief fordern, uud da der Reliesstreifen,
 
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