Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

DOI Artikel:
Abrest, Paul d': "1807" von Meissonier
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5789#0100

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
187

1807" von Meissonier.

der neuen Schöpfung Meissonier's von der besten Seite
zu zeigen. Man mußte die Wirkung auf der Lein-
wand suchen und mit ziemlich scharsem Auge nach den
Eigenschasten fahnden, die man sicher ist, auf einer von
diesem Meister kontrasignirten Arbeit zu finden. Bei
einer volleren Beleuchtung an einem heiteren Sommer-
tage in einem der Säle des Buluis ä6 l'InllustriS oder
eines Museums würden diese Eigenschaften gewiß rascher
in's Auge springen.

So wie ich das Bild bei Herrn Petit gesehen, ist
der Eindruck vollständig — Null, wenigstens der erste.
Erst nach und nach enthüllen sich die Vorzüge, die nur
noch besser zu Tage treten, wenn man ein Vergrößerungs-
glas zu Hilfe nimmt.

Die Komposition des Bildes ist ungefähr folgende.
Napoleon, in der Uniform des Leibjägerregiments, weiße
Kasimirhose, weißes Gilet und grüner, über der Brust
zugeknöpster Frack, hält zu Pferde auf einem Hügel.
Hinter ihm, in trefflich angedeuteter angemessener Di-
stanz, ist sein Generalstab aufgestellt, darunter einige
Porträts: der Marschall Bessiöres, der Obersthosmeister
Duroc und der Chef des Generalstabs Berthier, der
Moltke des Napoleonischen Epos. Napoleon lüftet den
kleinen klassischen dreispitzigen Hut, während die Herren
vom Gefolge unbeweglich dastehen. Am Fuße des Hü-
gels stürmt bunt durcheinander, aber doch nicht ohne Ord-
nung der Reiterschwarm dahin, lauter schwer ausgerüstete
Kürassiere, deren Kostüm aus ein Haar den sagenhaften
Kürassieren von Reichshoffen ähnlich ist, so daß man
unwillkürlich die Frage zu stellen verleitet wird, ob denn
wirklich die heutigen Militärschneider jeden Faden der
Montur des ersten Kaiserreiches so servil in der Aus-
stassirung der Kavallerie nachgemacht haben. Bei einem
anderen Maler als Meissonier würde man versucht
sein, einen kleinen historischen Schnitzer zu wittern —
was aber hier ganz ausgeschlossen bleiben muß, denn
eher hätten sich die Schneider geirrt als der Maler des
„1807", der bekanntlich weder Mühe noch Kosten scheut,
um einen Kapuzkragen oder eine Hutfeder der histori-
schen Wahrheit entsprechend darzustellen.

Die Mannschaft rückt im scharfen Trabe vor, die
Hände, welche nicht damit beschäftigt sind, die Zügel zu
halten, schwingen mit enthusiastischer Geberde die langen
Säbel, alle wenden ste das bewegte Gesicht dem Cäsar
zu und aus ihrem weitgeöffneten Munde dringen schallende
Vivatrufe. Am meisten Enthusiasmus bezeugt ein Nicht-
Kombattant, der Trompeter links in der gelben Jacke
mit den rothen Aufschlägen, er schwingt sein Jnstrument
mit einer an Raserei grenzenden Furia. Einen leb-
haften und mit vielem Verständniß durchgeführten Kon-
trast zu diesem tobenden Eifer der jungen Kürassiere
bildet die phlegmatisch stramme Haltung zweier recken-
haften „Guides" von der Leibwache des Kaisers, alte

erprobte Schnauzbärte, ihrer Würde sich vollkommen be-
wußt, die mit sicherer Hand ihre durch das Vorüberziehen
so vieler Stammesgenossen animirten Hengste zurück-
halten. Einer dieser Guides in seiner reich verbrämten
Uniform, dem rothen Dolman, mit den ernsten aber doch
weichherzigen Zügen ist ein Prachtstück von Soldaten-
typus, der richtige Grognard, wie ihn uns die Legende
übermittelt hat, wie ihn Charlet und Gericault auf der
Leinwand verewigt haben. Diese Physiognomie ist um
so werthvoller, da sie die einzige ist, die auf den ersten
Blick anzieht und nicht gesucht zu werden braucht, um den
Zuschauer zu packen. Bei sämmtlichen übrigen Figuren
findet man die hauptsächliche Lebensbedingung der Meis-
sonier'schen Kunst: die Gewissenhastigkeit, die manch-
mal krankhaft übertriebene Pünktlichkeit in der Wieder-
gabe der einzelnen Details. Diese Vorzüge sind nicht
nur bei den Menschen, sondern auch bei den Thieren
zu suchen, welche in dem Herrn Stewart gehörenden
Bilde eine sehr große Rolle spielen. Herr Meissonier
rühmt sich ein sehr schwieriges Problem gelöst zu habcn,
die Veranschaulichung des Pferdes, wenn es im gestreckten
Trab geht, und wirklich zeigen die Hauptmassen des Bil-
des sehr viel von ber Stimmung eines Kampf und Tod
witternden Schlachtrosses; die Jllusion ist allerdings
keine vollständige, aber sie ist so groß, wie sie sein kann.
Auf einem Bilde, worans Napoleon erscheint, durfte man
wohl voraussetzen, daß der Kaiser die Hauptfigur bilden
und daß der Meister auf die Charakteristik dieser histo-
rischen Gestalt eine ganz eigenthümliche Sorgfalt ver-
wenden würde. Die Reiter, die Pallasche und der Trab
der Pferde rieben die Kräste Meissonier's so sehr auf, daß
es ihm an Zeit und vielleicht auch an Lust fehlte, zn
seinem berühmten „1814" ein Gegenstück zu liesern. Alle
Weltkennt dieses tausend und tausendfach reproduzirte Bitd
des unter der Last des Schicksals sich beugenden Kaisers
mit dem sorgenvollen Gesicht und düster dreinblickenden
Auge. Jn „1807" wäre es am Platze gewesen, den
Napoleon in den Strahlen seines Siegesglanzes zu zeigen.
Das ist jedoch nicht der Fall. Der neueste Napoleon
Meissonier's erinnert offen gesagt zu sehr daran, daß
der Maler der Ches der Schule der „dorm 1roinru68"
ist. Die Figur ist nett, klein, zierlich, aber den gewal-
tigen, den rauhen, den despotischen Krieger erkennt kein
Mensch darin; dieser Napoleon hätte die Signatur
des Gemäldes werden sollen und die politische Gesin-
nung des Herrn Meissonier hätte ihn nicht gehindert,
eine Apotheose des kleinen Korporals zu malen. Das
ist jedoch nicht der Fall, das Hauptmerkmal des „1807"
ist der Napoleon nicht — sondern der Preis, der enorme
Preis, der sür das Bild gezahlt wurde.

Paul d'Abrest.
 
Annotationen