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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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Berggruen, Oscar: Die Selleny-Ausstellung im Wiener Künstlerhause, [4]
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Die Selleny-Ausstellung im Wiener Künstlerhause.

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geleimt, sondern in Wahrheit ein intuitiv entstandenes,
auf tiefer Kenntniß der Natur unter allen Hinunels-
strichen beruhendes Naturgemälde zur Erscheinung ge-
bracht hat. Das eine dieser Bilder, das „Todtenmahl
aus der Steinzeit", ist übrigens unserer Anschauung
nicht gar so sehr entrückt; bei seiner Reise um die Welt
ist der Künstler aus gar manche gleich niedrige, ja noch
tiesere Kulturstufen und aus ungleich weniger entwickelte
Menschenrassen gestoßen. Die aus ein Motiv von Euböa
gebaute „präadamitische Landschaft" dagegen versetzt
uns in die Zeit, von welcher gläubige Menschenkinder
nicht gerne sprechen hören, da sie ihre Ahnen aus jener
Periode, allen Darwin's und Häckel's zu Trotz, nicht
anerkennen möchten. Und dennoch war damals die Natur
weit jugendlicher, reicher und kraftvoller, als zur Zeit,
wo die „Krone der Schöpsung" entstand; Mammuth und
Ichthyosaurus kamen in der wunderbaren Flora, in den
warmen Wasserflnthen ohne alle Bekanntschast mit
Menschen entschieden besser fort, als heute Elephant und
Wallfisch, ihre degenerirten Enkel, in Gesellschaft dieser
Alles ausbeutenden Emporkömmlinge. Wie ein verlorenes
Paradies erscheint die reiche, vielgestaltige Natur,
welche der Künstler uns vor die Augen gezaubert; wir
fühlen ihren vollen Pnlsschlag, ihr heißer Mhem weht
uns an, und der dräuende Gewitterhimmel, aus dem
eben ein mächtig gezackter Blitz blendend aus hochragende
Baumkronen niederprasselt, schreckt uns nicht, sondern
erfreut uns als Wahrzeichen zeugender Urkrast. Das
Bild ist ein erhebender Dithyrambus auf die schöpferische
Natur; um so erhebender, als die Phantasie ves Künst-
lers nirgends in's Phantastische gerathen ist.

Nun sollten wir, unserm gedruckten Führer folgend,
mit Selleny die Weltreise antreten; allein es steht uns
heute höchstens noch so viel Raum zu Gebote, daß wir
über die „Varia" des Meisters reden können. Wir
sinden da eine sehr bunte, ja „gemischte" Gesellschaft.
Zunächst einige italienische und mittelalterliche Figuren
nnd Kostüme in Wasserfarben, darunter einen prächtig
gemalten Modellsteher in einem rothblanen Demipart-
Gewande, das wir allen Hoftheater-Requisiteuren bestens
empsehlen können. Die lavirte Zeichnung eines simplen
Ochsengespanns interessirt wegen der tresilichen anato-
mischen Durchbildung der Thiere; ein artiges „Still-
leben" vertritt auch dieses Genre. Aus dem Jahre 1855
finvet sich ein mit farbigen Stiften knapp, doch wirksam
behandeltes Bleistift-Porträt des Erzherzogs KarlLudwig,
von sprechender Aehnlichkeit und anmuthender Natürlich-
keit des Bortrages. Jn gleicher Technik und mit über-
raschendem koloristischem Esfekt ist ein „Pußtasturm"
zur Anschauung gebracht; die kleine Zeichnung läßt an
Natürlichkeit und Mirknng manches große prätentiöse
Oelbild weit hinter sich zurück. Eigenthümlich berühren
zwei in Wassersarben sehr sorgfältig ausgeführte Illu-

strationen zu Schubert'schen Liedern, die Selleny wohl
auf Bestellung des Eigenthümers, eines bekannten
Schubert-Enthusiasten, gemalt haben mag, da ein solches
Anempfinden sonst seine Sache nicht ist. Das Grund-
motiv des Liedes „Ausenthalt": „Brausender Wald —
rauschender Strom" lag ihm übrigens sehr bequem, und
so jhat er dem menschenfeinblichen Sänger eine charak-
teristisch wilde Alpennatur passend zum Aufenthalte an-
gewiesen; allein auch mit den lieblichen „Müllerliedern"
hat sich der ungewohnte Jllustrator glücklich abgefunden,
indem er durch eine raffinirte Komposition alle Elemente
des reizenden Liedercyklus: Mühle und Räder, Bächlein
und Blümelein, Jäger und Jagdhorn, Müllerbursch
und „schöne Müllerin", das Grün als „liebe" und als
„böse" Farbe, ja selbst die der Rohrpfeife lauschenden
Kinder sinnig zu einem ziemlich einheitlichen Ganzen
verwob.

Auch in vieser Abtheilung überwiegen die Natur-
studien und landschaftlichen Aufnahmen. Wir finden
Kartons zur „Jnsel Sanct Paul" und zum „Wald auf
Neu-Seeland", dann meisterhafte Kohlenzeichnungen als
Studien in einem brasilianischen Urwalde. Aus Ceylon
stammen mehrere mit Kohle gezeichnete Studien und
Kompositionsskizzen, die in der früher erwähnten „Kaffee-
plantage" verwerthet wurden, dann in einem gleich-
namigen, bedeutender angelegten Oelbilde in dieser Ab-
theilung, welches leider über das Stadium der Unter-
malung nicht hinausgek'ommen ist. Die Felsentempel
von Mahamalaipur sind nicht nur in dem bereits an-
gesührten großen Aquarelle wiederholt, sondern auch in
einem kleineren; auch ist ein Karton zu denselben vor-
handen mit der Stafsage einer Leichenverbrennung. Der
ersten Reise des Künstlers nach Dalmatien und Italien
entstammte eine Reihe von Zeichnungen, Oelstudien und
Aquarellen, die von seinen späteren Arbeiten kaum über-
troffen werden. Eine Oelskizze „Aus dem Hafen von
Spalatro" weitet sich im kleinen Raume zu einer be-
deutenden Marine aus; das Amphitheater von Taor-
mina, ein in Farbe und Stimmung gleich gelungenes
Aquarell, giebt eine prachtvolle Ansicht des Aetna und
bringt uns diesen an Formschönheit und Vegetations-
fülle einzig dastehenden Vulkan in freudige Erinnerung;
meisterhafte Aquarelle rusen uns Amalsi, Sorrent unv
Capri in's Gedächtniß. Mehrere Studien aus dem
heimatlichen Prater zeigen uns den Jüngling als Meister
in der Darstellung von Baumschlägen; eine aus dem
Iahre 1849 stammende Tuschzeichnung, gleichsalls ein
Pratermoriv, erregt unser Jnteresse durch die scharfe
Wiedergabe des Terrains. Die Oelstudie „Aus einem
böhmischen Sumpfwalde" ist ein kleines koloristisches
Meisterwerk; unmöglich kann man ein fast zu einem
Knäuel zusammengeballtes Gewirr verschiedener Baum^
und Blattpflanzen in Form nnd Farbe klarer zur An-
 
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