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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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237

Kunstliteratur.

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in Eerbindung stehenden Unternehmungen. Diese be-
zwecken die Popularisirung des Kunstverständnisses dnrch
Bücher von ebenso hoher literarischer wie kritischer Be-
deutung, deren Herstellungskosten jedoch zu groß sind,
als daß sie ohne eine Subvention von Seiten des
Staats zu Markt gebracht werden könnten.

Wie hinlänglich bekannt, bilden die Teppiche von
Bayeux eine historische Merkwürdigkeit von besonderem
Werthe, insosern sie eine der tiefgreifendsten Begeben-
heiten der europäischen Geschichte, die Eroberung des
sächsischen England durch die Normannen unter Herzog
Wilhelm von der Normandie im Jahre 1060 illustriren.
Noch roh und ungelenk in den Formen und von Natur-
wahrheit weit entsernt, bilden die Kompositionen, im
Ganzen 72 an der Zahl, einen Streifen von 214 engl.
Fuß Länge. Die dargestellten Scenen werden durch
lateinische, gestickte Jnschristen erklärt, von denen die
folgende Auswahl in aller Kürze die handelnden Per-
sonen in dieser dramatischen Eroberung Englands, sowie
die Handlung selbst andeuten möge: Ho: ^VilloIin vvx.
iussil NUV68: eäitieui'S. — Hio trullvnk: NUV68: uä
innn6. — Hio: ^Villolin: Ovx in Nu^no: nuvi^io:
rnuro trun8ivit — Ou^tra. — Hio ^illolin: Dvx
^lloc^vitvr: 8vm: Nilitidv^: vt ikropururont 86:
virilitor ot 8Up>i6nt6r: aä p-rolivin: oontru: I.n§1o-
rvin oxoroitv: — Hio Harolä: Itox.: intorkeotv^:
68t — iOt sv^u: v^rtorvnt ^n^li. Die Erzählung
endet aus der 72. Scene mit der Niederlage und dem
Tode des Sachsenkönigs Harold und der Schlacht bei
Hastings und mit der daraus hervorgehendeu Herrschaft
der normännischen, mit Wilhelm dem Eroberer begin-
nenden Dynastie.

Es ist über die Zeit der Entstehung und die Ur-
heberschaft dieser Teppiche viel hin und her gestritten
worden, und es bleibt zweifelhast, ob dieselben von Zeit-
genossen der dargestellten Begebenheiten oder aus einer
spätern Epoche herrühren. Die landläusige Tradition
besagt, daß die Königin Mathilde das mühselige Werk
ausgeführt habe, und unter dem Beistande ihrer Frauen
eisrigst bemüht gewesen sei, die Heldenthaten des Er-
oberers, ihres Gemahls, mit Hülse der Sticknadel zu
verherrlichen, welche Arbeit sie einzig nur unterbrochen
habe, um in den Kirchen inbrünstige Gebete für ihn
und den glücklichen Ausgang seines Beginnens zum
Himmel zu senden. Die Teppiche selbst haben ein wechsel-
volles Schicksal gehabt. Im verwichenen Jahrhundert
bemerkt Ducarel, daß die Teppiche alljährlich am Jo-
hannistage in der Kathedrale von Bayeux ausgestellt
würden, daß sie in ihrer Länge genau um das Schiff
der Kirche Paßteu, und daß die Ausstellung jedes Mal
acht Tage gewährt habe. Während der ersten sran-
zösischen Revolution entgingen sie mit knapper Noth
der Vernichlung. Jm Jahre 1803 wurden sie nach

Paris gebracht und im Museum Napoleon ausgestellt.
Im Jahre 1816 schickte die antiquarische Gesellschaft
in London einen sehr gewissenhasten Künstler, Charles
Stothard, mit dem Austrage nach Bayeux, die Teppiche
abzuzeichnen, und im Verlauf von zwei Jahren kam als-
dann die beste Kopie zu Stande, die seitdem gemacht
worden. Sie ist im fünften Bande der „Votimtu
monumontu" zu finden. Leider hatte der Künstler
seine Frau mit nach Bayeux genommen, die im Ueber-
maß ihrer Begeisterung ein Stückchen des Teppichs ab-
schnitt, das sie mit nach Haus brachte. Das South-
Kensington-Museum jedoch, besorgt um die Erhaltung
des guten Rufs der englischen Nation bezüglich deren
Rechtschaffenheit, erstand in einer öffentlichen Verstei-
gerung im Jahre 1864 diese kostbare Reliquie, um sie
an die rechtmäßigen Kustoden der Bayeuxer Teppiche
wieder zurückzugeben. Eine GefLhrdung jüngern Da-
tums wird solgendermaßen erzählt: Jm Jahre 1871
kamen die Preußeu der Stadt Bayeux so nahe, daß die
betresfenden Behörden ernstliche Beunruhigung wegen
der Sicherheit ihres kostbaren Schatzes verspürten. Die
Teppiche wurden nun in so großer Eile aus ihren Be-
hältern entfernt, daß viele der Glasscheiben, unter denen
sie sich befanden, zerbrochen wurden. Sie wurden als-
dann sest aufgerollt und in einen Zink-Cylinder, dessen
Deckel man nachher verlöthete, gepackt. Was daraus
erfolgte, ist einstweilen ein Geheimniß, das die Behörden
noch zur Zeit bewahrt wissen wollen. Denn obschon
sie die seste Zuversicht hegeu, daß sie niemals wieder
in eine Lage gerathen werden, die ein ähnliches Aus-
kunstsmittel erheischen könnte, sind sie doch weise genug
zu bedenken, daß man nicht wissen kann, welche Gefahr
die Zukunft noch den Teppichen aufbehalten habe, wes-
wegen sie den gegenwärtigen Moment für noch nicht
geeignet erachten, das Versteck derselben kund zu geben.

Der jetzt herausgekommene kostbare Band hat den
seltenen Vorzug durch „autotype Kupfer" illustrirt zu sein,
die mittels Pigmentdrucks von eigens zu diesem Zweck
aufgenommenen Photographien reproducirt worden sind.
Jn Folgendem geben wir über den Hergang bei dieser
Angelegenheit Bericht. Die Lords von der Kommission
für das Erziehungswesen ermächtigten im Iahre 1871 den
Herrn Josef Cundall, nach Bayeux zu reisen, um daselbst
mit den zuständigeu Behörden sich zu benehmen und
die Erlaubniß einer photographischen Reproduktion der
Teppiche in Naturgröße zu erwirken. Er hatte Glück
mit seiner Sendung. Die Lokalbehörden gewährten in
zuvorkommender Weise jede Unterstützung. Das Werk
kam gleichwohl nicht ohne Schwierigkeiten zu Stande.
Denn wenn auch schließlich die Kustoden die Wegnahme
der zum Zwecke des Schutzes vor den Teppichen besind-
lichen Glasscheiben gestatteten, wodurch eine Entstellung
der Photographie verhütet wurde, so wollten sie doch
 
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