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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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Berggruen, Oscar: Aus dem Wiener Künstlerhause
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https://doi.org/10.11588/diglit.5789#0174

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Aus dem Wiener Künstlerhause.

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geist des Wassers nicht zu fassen und noch weniger dar-
zustellen vermag. Wie er das Wasser malt, ist es nicht
das seuchte, wellenbildende Element, das so willig dem
malerischen Effekle sich bietet, sondern ein trockenes, starres
Medium, welches sich mit dem Lichte kalt amalgamirt
und, gleich einer Theater-Courtine, steife Falten wirst.
Vor wenigen Wochen, und vielleicht noch jetzt, ist in
Petersburg eine große Anzahl seiner Bilder in einer
Art Gesammtausstellung zu sehen gewesen und ein dort
weilender sachverständiger Freund, der uns daruber be-
richtete, beurtheilt die Hauptbilder Aivasowsky's nicht
viel günstiger, bemerkt jedoch, daß seine früheren Arbeiten
besser waren als die neuesten, die er im Vertrauen auf
seinen in der Heimat feststehenden Rus, wenn nicht als
Fapresto, so doch als Famolto in die Welt setzt. Sein
Landsmann I. Baikosf, ebenfalls in Petersburg, hat
einige Landschaftsbilder aus den Steppen Südrußlands
mit genreartiger Staffage, dann ein Genrebild aus dem
Kaukasus ausgestellt. Trotz der ziemlich schwachen tech-
nischen Durchführung interessiren die anspruchslosen
Bilder wegen der feinsinnigen Wiedergabe des Lokal-
Charakters und der Lokalfarbe der dargestellten Objekte
sowie wegen der glücklichen Wahl derselben. Nebenbei
erösfnen sie die Aussicht auf ein unabsehbares Feld neuer
Motive für Landschaft und Genre, dessen Ausbeutung
den russischen Künstlern schon jetzt möglich wäre, wäh-
rend noch ein harles Slück Kulturarbeit aus dem unge-
heuren Gebiete zwischen den Karpathen, dem Kaukasus
und dem Ural zu vollbringen ist, ehe es den westeuro-
päischen Malern in gleichem Maße zugänglich wird.

Unter den österreichisch-polnischen Malern interes-
siren diesmal am lebhaftesten die Aquarelle von Franz
Tepa in Lemberg, theils Studienköpfe aus den ruthe-
nischen Karpathen, theils Porträts. Mit einer meister-
haften Technik und einer echt aquarellmäßigen Darstel-
lungsweise verbindet der Künstler einen Adel der Auf-
fassung und eine Schärfe der Jndividualisirung, die
wenigen Porträtmalern der Gegenwart eigen ist. Ein
Porträt namentlich, das offenbar einen stark französirten
polnischen Emigranten darstellt, sieht sich an wie ein in
Wasserfarben übertragener Velazquez. Jsidor Jablonski
in Krakau, Jan Gniewosz-Alexow und A. Gra-
bowski in Lemberg haben tüchtige Porträts in Oel
ausgestellt; letzterer überdies einen mit breitem, markigem
Pinsel in gesunder, niederländischer Derbheit gemalten
Studienkopf, „Ein altpolnischer Bürger". Daß zu dessen
Attributen der gute Schluck gehört, den der wackere
Bürger sich auf dem Bilde eben gönnt, weiß der Künstler
sicherlich besser; wir wollen daher über dieses Motiv mit
ihm nicht rechten. Auch sonst war das Porträtfach stark
vertreten. Angeli, der noch junge Wiener Künstler,
welcher in kurzer Zeit sich zum Maler der europäischen
Höfe emporgeschwungen hat, ohne deshalb in jene be-

denkliche Art von höfischer Malweise zu verfallen, durch
die sein unmittelbarer Vorgänger in dieser Stellung,
Winterhalter, einen ephemeren Ruf erlangte, — Angeli
lieferte ein trefflich modellirtes, krästig und pastos ge-
maltes Porträt eines greisen Charakterkopfes, dessen be-
deutende Züge ebenso sehr Jnteresse wie Achtung ein-
flößten. Von den bekannten Wiener Porträtmalern
August George-Mayer, Ernst Lafite und Daniel
Penther waren mehrere gute Porträts ausgestellt; der
letztgenannte Künstler war auch mit offenbar nach photogra-
phischer Ausnahme gemalten, für die Weltausstellung in
Philadelphia bestimmtenBildnissenDarwin's und Schopen-
hauer's vertreten. Daß solche Bilder mehr als Mode-
artikel denn als Kunstwerke anzusehen sind, und daß sie
des wesentlichsten Vorzuges sich entäußern, welchen das
Porträt des Künstlers vor dem der Maschine voraus
hat, des geistigen und künstlerischen Mediums zwischen
dem Objekte der Darstellung und dieser selbst, braucht
nicht erst gesagt zu werden; wie Penther übrigens nach
dem scharfgeistigen, charakteristischen Porträt des großen
deutschen Pessimisten und Kathederverächters von Lenbach,
das sich hier im Besitze der Gräsin Dönhosf befindet,
einen so äußerlich aufgefaßten „biederen Greis" von
unbestreitbarer Professorenphysiognomie bringen konnte,
ist uns unbegreiflich. Ferd. Schauß in Weimar hatte
ein gut aufgefaßtes, nur in der Farbe fchwach gerathenes
Bild von Liszt eingesendet, dann ein Damenporträt.
Das letztere fordert, gleichwie eine Reihe von Porträts
der Wiener Malers Hausleithner, Leop. Müller,
Julins Schmid und August Cesar, zu einer allge-
meinen Bemerkung heraus. Jmmermehr reißt unter den
Porträtmalern, namentlich in Wien, die Manier, um
nicht zu fagen Manie, ein, ihre Porträts mit alter-
thümelnder „interessanter" Gewandung und ebensolchem
Beiwerk auszustatten, was zum Theil auf eutspre-
chende Zumuthungen der zu porträtirenden Personen zu-
rückzuführen sein mag. Wie verfehlt und nnkünstlerisch
ein solches Treiben ist, liegt auf der Hand. Es mag
hingehen, wenn Männlein oder Weiblein nach einem
„Kostümabend" finden, daß sich ihr Kostüm und ihre
entsprechend „stilisirte" Physiognomie „gut gemacht"
haben und sich als lebende Van Dyck's oder Watteau's
durch den Photographen dutzendweise verewigen lasseni
aus das Schärfste aber muß getadelt werden, daß Künstler
sich zu einem solchen Mummenschanz hergeben, der dem
seinsollenden Kunstwerke von vornherein eine seiner
wichtigsten Eigenschasten raubt: die innere Wahrheit.
Oder glaubt etwa einer dieser Künstler allen Ernstes,
daß ein kokettes Modedämchen, wenn's die Tracht einer
altdeutschen Bürgerssrau anzieht, sich sofort in eine gut
deutsche „Hausehre" verwandle, daß ein Sportsman
aus den Kreisen unserer jsnnssss äorss durch ein Wamms
aus Sammet und einen Degen zu einem altitalienischen
 
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