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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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Lübke, W.: Literatur zur Baukunde
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https://doi.org/10.11588/diglit.5789#0188

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Literatur zur Baukunde.

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lichsten Bauformen und Bauwerke jener beiden klassischen
Epochen bieten, an welche sich anch mustergiltige mo-
derne Leistungen anreihen. Aus der großen Masse des
Vorhandenen und Publicirten greift er das Beste heraus,
um sowohl dem Anfänger als auch dem praktischen
Meister eine wohlgeordnete Auswahl des Vorzüglichsten
zu bieten. Er stützt sich dabei nicht blos aus die vor-
handenen Publikationen, sondern bringt auch Manches
an eigenen Aufnahmen hinzu, wodurch er nicht selten
Mängel und Unrichtigkeiten älterer Veröffentlichungen
beseitigt. Die erste Abtheilung enthält auf 27 Stahl-
stichtaseln mit erläuterndem Text die Darstellung der
Säulenordnungen, v. h. also des Architravbaues in seiner
ganzen künstlerischen Ausbildung. Die Tafeln sind mit
der größten Sorgfalt vom Herausgeber selbst gezeichnet
und gestochen, das Konstruktive und das künstlerisch
Formale aussührlich und eingehend dargelegt, die Maß-
angaben überall reichlich hinzugefügt. Es ist ofsenbar
das Werk großer Sorgfalt und Mühe, und erfreut
namentlich durch das feinste Verständniß in der Wieder-
gabe der Einzelsormen. Durch möglichst ökonomische
Ausnutzung der Tafeln ist es möglich geworden, eine
überaus reiche Auswahl des Trefflichsten zu bieten, so
daß bei der Schwierigkeit, die ausführlicheren und unge-
mein kostspieligen Publikationen sich immer zugänglich
zu machen, hier für jeden Architekten eine Fülle des
schönsten, lehrreichsten und brauchbarsten Stoffes in
musterhaster Darstellung sich als willkommenes Material
für das Studium und für die praktische Verwendung
darbietet. Wir hätten gern außer dem gut gearbeiteten
Text und dem Jnhaltsverzeichniß der Taseln auf diesen
selbst den Namen der betreffenden Denkmale hinzugefügt
gesehen, nicht weil etwa die Brauchbarkeit dadurch er-
höht würde, sondern weil dadurch dem Anfänger sich
mit dem Bilde sogleich der Name des Gegenstandes so-
fort eingeprägt hätte.

Die zweite Abtheilung beschäftigt sich mit den
Bogenstellungen, sowie mit den Thüren und Fenstern,
und bringt in den bis jetzt vorliegenden beiden Heften
aus l4 Tafeln ein ebenfalls wohlgeordnetes Material,
welches von den ältesten italienischen Bogenformen bis
in die neueste Zeit, bis zu den Schöpfungen eines
Schinkel und Klenze reicht. Der Verfasser geht in dem
Text wie in den Darstellungen von dem einzig richtigen
Gesichtspunkt aus, daß jede Einzelform nicht für sich
allein, sondern im Zusammenhange mit den zugehörigen
Theilen der ganzen Komposition zu betrachten sei. Der
Schluß dieser Abtheilung wird die Fayadenentwickelung,
die dritte Abtheilung endlich die Dekoration der Jnnen-
räume enthalten. Wird das Werk, woran wir nicht
zweifeln, in demselben gediegenen und tüchtigen Sinne
zu Ende geführt, so dürfte es der architektonischen Welt
eine durch keine andere Sammlung zu ersetzende, durch

Sorgfalt der Auswahl und verständnißvolle Darstellung
sich auszeichnende Fundgrube für das Studium und die
praktische Verwendung bieten. Aber auch außerhalb der
Fachkreise kann man es nicht warm genug allen den-
jenigen Kunstfreunden empfehlen, welche ein tieferes Ver-
ständniß der künstlerischen Schöpfungen anstreben. Wir
können uns der Zeit noch sehr gut erinnern, da in den
Kreisen der Gebildeten der ganze Kunstsinn sich bei
einem leichten Genuß der Werke der Malerei und allen-
falls noch der Plastik begnügte. Wer fragte damals
nach den Schöpsungen der Architektur? Wie aber die
Entwickelung der Künste selbst dadurch zu empsindlicher
Einseitigkeit sich verstacht hatte, daß der Zusammenhang
mit der Architektur völlig verloren gegangen war, und
wie eine naturgemäßere und bedeutsamere Entwickelung
erst dann eintrat, als das lange zerrissene Band wieder
angeknüpft wnrde, so ist auch der Sinn für die Schöpfungen
der Baukunst und dadurch eine tiefere Auffassung der
gesammten Kunst erst allmälig in weitere Kreise ver-
breitet worden. Was aber diesen Kreisen bisher an
Material für die Anschauung entgegengebracht wurde,
war in der Regel zu einseitig malerisch aufgefaßt, um
ein tieferes Verständniß zu ermöglichen. Nun bietet
sich in Bühlmann's Werk auch sür die weitesten Kreise
der Kunstsreunde ein vortreffliches Hilfsmittel zum tie-
feren Eindringen in das Wesen der Architektur, und
gewiß wird jeder bei ernstem Studium desselben eine
Belehrung davon tragen, die mit dem edelsten Genusse
innig verknüpst ist.

Zum Schluß sei hier ein drittes Werk angeschlossen,
welches sich in engem Rahmen mit der Darstellung einer
architektonischen Specialität befaßt, aber einer solchen,
die überaus reich an Belehrung und anregendem Genuß
ist. Die Holzarchiteklur der Schweiz von E. G. Glad-
bach (Zürich bei Orell, Füßli L Comp. 1876) ist ein
in nuo6 gegebener Auszug aus dem bekannten Pracht-
werk des Versassers über denselben Gegenstand. Statt
der großen Tafeln des Originalwerkes hat der Verfasser
es verstanden, in 68 dem Text eingedruckten vorzüglich
ausgeführten Holzschnitten das reiche Thema, sowohl
nach der konstruktiven als nach der ornamentalen Seite,
anziehend und lehrreich zu behandeln, und den Umfang
desselben auf 58 Großoktavseiten zusammen zu drängen.
Es ist ein herzerfreuendes Büchlein, denn gerade in
diesen Bauten, die übrigens leider immer mehr ver-
schwinden, lebt noch. ein starker Hauch von dem volks-
thümlich Einfachen und Tüchtigen, das seither im ge-
sammten Volksthum der Schweiz sich so schön in ur-
sprünglicher Frische erhalten hatte, neuerdings aber
immer mehr von der nivellirenden Mode des Tages
verdrängt wird. Gerade in der Schweiz hat man mehr
als anderswo Veranlassung, über den Untergang der
alten Sitten in Bau, Tracht und Volksleben sich zu
 
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