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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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Mosler contra Lessing, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5789#0228

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Mosler contra Lessmg.

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sondern gegen Mosler zengen, der eben einen Denkfehler,
und zwar einen ziemlich groben, macht. Er verwechselt
nämlich die Darstellung sprechender oder im Gespräch
befindlicher Personen, welche Darstellung man abkürzend
wohl ein „Gespräch" nennen kann, mit dem wirklich
stattfindenden, eine Gedankenentwickelung gebenden und
in der Sprache, somit auch in zeitlicher Auseinanderfolge
der das Ganze bildenden Theile, sich vollziehenden Ge-
spräch. Tiziau z. B. stellt noch nicht einmal die Per-
sonen im Momente des Sprechens, d. h. der Laut-
äußerung, dar. Der Pharisäer hat eben seine Frage
gethan, und Christus, auf dessen Lippen die uns aus
der Erzählung bekaunte Antwort schon schwebt, aus dessen
Antlitz deren Charakter uns entgegenstrahlt, hat den
Munv zur Antwort noch uicht geöfsnet -— ist also ein
Gespräch, eine Gedankenentwickelung dargestellt, oder hat
es nicht vielmehr der Maler nur verstanden, uns durch
seine Darstellung die uns bekannte Erzählung wachzu-
rufen, aus welcher wir die vor vem dargestellten Augen-
blicke und die nach ihm eintretenden Momente zu einer sich
in der Zeit entwickelnden, zusammenhängenden Gesammt-
handlung ergänzen? Und welches ist denn in Worten
das Gespräch der beiden Philosopheu in der „Schule
von Athen?" Welches ist das Resultat ihres „Disputs"
(S. 188)? „Ueberall das aufstrebende, ethische, speku-
lative Element im Gegensatz zu der Gesichertheit realer
Grundlage." — Mag sein, aber ist das ein Gespräch?
Und muß es denn eines sein? Hat deun der Maler
nicht unendlich Vieles, das nie in einem Gespräch sich
darstellen läßt, und wenn es noch so gedankentief wäre?
„Das, was die Maler durch Linien und Farben am
besten ausdrücken können, läßt sich durch Worte gerade
ani schlechtesteu ausdrücken," steht im XX. Abschnitt
des Laokoou, und Mosler, der selbst Maler ist, hätte
mit beiden Händen nach diesem Satze greisen müssen,
der seiner Kunst die ihr eigenthümliche Bedeutung sichert,
wenn er nnr leider nicht gerade den anderen Satz durch-
führen möchte: „Alles ist in jeder Kunst darstellbar",
freilich —> wie er wohlweislich hinzufügt: — „je nach
den Umständen". Er übersieht dabei nur, daß ebeu
diese Umstände es sind, welche es unmöglich machen,
daß „Alles in jeder Kunst darstellbar" ist, und welche
uns gerade zur Erkenntniß der Grenzeu der Künste
sühren. Uud diese Grenzen sind es, für welche Lessing
den Fundameutalsatz aufgestellt hat, den ein Denker wie
Mosler nicht umstürzen wird. So wird denn wohl
Cornelius Recht behalten, daß ein Gespräch, d. h. eine
Gedankenentwickelung, durch ein Bild nicht darstellbar ist.

Ein anderes Beispiel von Mosler's Unklarheit im
Denken ist seine Bezeichnung des Laokoon, auf die er
sich sogar ofsenbar etwas zu Gute thut. Er nennt ihn
wiederholt: „Ein Muster einer gründlich behandelten
Kunsifragestellung." Es soll das wohl so viel heißen,

wie: eine gründliche Antwort auf eine richtig gestellte,
die Kunst betreffende Frage.

Mosler behauptet nun sreilich, er sage „im Grunde
nichts wesentlich Verschiedenes von dem, was auch Les-
sing in seinem Laokoon uns zu beweisen sucht." Da
wäre denn der ganze „Lärm" am besten unterblieben.
Aber — der Verfasser „fand (sia!) sast immer vieselbe
Erfahrung" bei „manchen Gebildeten, uamentlich unter
Studenten und Geistlichen": „daß man das so überaus
klare Buch nicht recht zu lesen und anzuwenden ver-
stand." (S. 28 fs.) Dieses große Mißverständniß besteht
nun darin, daß man glauben könne, vaß, während Les-
sing zwar den Kunstgrisf ausführlich erläutere, durch
welchen der Dichter das Nebeneinander der Dinge in
ein Nacheinander umsetzt, um es sür seine Kunst dar-
stellbar zu machen, er den umgekehrten Kunstgriff, den
der Maler anwenden müsse, um das Nacheinander der
Dinge sür das Nebeneinander seiner Kunst nutzbar zu
machen, nichr genügend dargelegt habe: er hätte ein
„mustergiltiges Beispiel vorführen müssen", wie das
„Abendmahl", „die Schule von Athen," um zu.zeigen,
wie ein klassischer Maler sich half, „wenn er das seiner
Knnst scheinbar Widerstrebendste darstellen will: ein ge-
sprochenes Wort oder selbst ein verwickelteres Gespräch."
(S. 31.) Dasür hätte ein Lessing ein Beispiel geben
scllen, und dies Beispiel hätten die angeführten Bilver
sein sollen? Und wer einem Lessing zumuthet, ein Bei-
spiel für ein „verwickelteres Gespräch" in der Malerei
zu geben, will neue Grundsätze in der Aesthetik auf-
stellen? Sonderbarer Schwärmer! — Das was Lessing
zu sagen hatte, das hat er klar und deutlich gesagt:
Malerei und Poesie müssen wechselseitige Nachsicht
herrschen lassen. „Jch will in dieser Absicht nicht an-
führen, daß in großeu historischen Gemälden der einzige
Augenblick sast immer um etwas erweitert ist, und daß
sich vielleicht kein einziges an Figuren sehr reiches Stück
findet, in welchem jede Figur vollkommen die Bewegung
und Stellung hat, die sie in dem Augenblicke der Haupt-
handlung haben sollte; die eine hat eine etwas srühere,
die andere eine etwas spätere. Es ist dieses eine Frei-
heit u. s. w." (Stück XVIII.) — eine Stelle, die
Mosler um so mehr hätte beachten sollen, als er sie
späterhin, allerdings blos als Einleitung zu dem von
Lessing weiterhin Gesagten, selbst anführt. Eine genauere
Ausführung über das der Malerei und der Poesie ge-
meinschastliche Gebiet enthält aber der XIV. Abschnitt
der Fragmente zum zweiten Theil des Laokoou, die an
Deutlichkeit selbst für „Studenten und Geistliche", welche,
nach Mosler, bei ihrem Bestreben nach Ergänzung ihres
mangelhaften Kunstverständnisses den Laokoon nicht ver-
stehen, nichts zu wünschen übrig läßt.

Da nun Mosler, und sicherlich nicht mit Unrecht,
vermuthet, sein Leser habe ihm in seinen Deductionen
 
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