Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

DOI Artikel:
C. T. Newton über die olympischen Funde
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5789#0252

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
491

C. T. Newton über die olympischen Funde.

492

sich em wenig über die linke Schulter, als ob der Kör-
per auf dem linken Ellbogen geruht hätte. Die untere
Körperhälfte war mit einem Mantel bedeckt, von dem
nur der obere Theil übrig ist; die unteren Falten sind
abgehauen. Der Kopf ist kahl über der Stirn, und
das Haar fällt' in kleinen welligen Ringeln herab. Der
Bart ist in krausen Löckchen gearbeitet, der Schnurrbart
blos im Umriß eingeritzt, osfenbar auf eine farbige Aus-
führung berechnet. Die Gesichtszüge, namentlich die
Nase, sind nur derb aus dem Stein gehauen, aber die
Art der Gesichtsbildung ist originell und durchaus nicht
ohne Charakter. Jm Ausdrucke liegt eine gewisfe in-
nere Anspannung, wie von Einem, der die Zukunst vor-
herzusehen sucht; das würde wohl mit dem Charakter
eines Flußgottes übereinstimmen, wenn wir sicher sein
könnten, daß dies wirklich, wie man allgemein ange-
nommen hat, der Kladeos ist. Das wellige Gekräusel
und die krausen Locken von Haar und Bart, sowie die
wellensörmigen Falten des Gewandes legen sicherlich den
Gedanken an einen Flnßgott nahe; andererseits ist der
Oberkörper so stark gehoben, daß ich im Zweifel bin,
ob in der äußersten Ecke des Giebelfeldes, wohin Pau-
sanias den Kladeos versetzt, Platz sür den Kopf dieser
Statue sein würde. Ihre Stellung scheint besser zu
einer Figur zu passen, welche der Eckfigur zunächst stände.

8) Untere Hälfte einer liegenden männlichen Figur,
das Gewand von hinten über das rechte Knie und Bein
gezogen. Der Obertheil der Schenkel ist nackt. Die
Falten des Gewandes haben einen sließenden Charakter,
wie er für einen Flußgott angemessen ist. Der Körper
lehnt sich, ebenso wie der des sog. Kladeos, nach der
Rechten des Beschauers. Diese Figur würde daher in
die Ecke passen, wohin Pansanias den Kladeos versetzt,
nämlich die Ecke rechts vom Zeus. *)

*) Diese auch sonst befolgte Erklärung der Worte des
Pausanias (V) 10, 6): roü rechnet von dem

Bilde des Zeus aus, so daß also „rechts" gegen Süden
sein mürde, da jene Statue ostmärts blickte. Dabei entsteht
der Uebelstand, daß der Beschauer den wirklichen Fluß Al-
pheios völlig zu seiner Linken, den Kladeos zunächst gerade-
aus hinter dem Tempel, aber seinem größeren Lause nach
zur Rechten hatte, während die Statue des Alpheios im
Giebel für den Beschauer am rechten, die des Kladeos am
linken Ende gelagert sein würde. Dies wäre gegen die
Natur der Dinge und gegen die Analogie des Westgiebels
vom Parthenon, wo der Kephissos und der Jlissos diejenigen
Ecken einnahmen, welche ihrergeographischenLage entsprachen.
Die Worte „Zur Rechten des Zeus" sind also vielmehr auf
den Standpunkt des Beschauers zu beziehen (genau wie es
Kap. 13, 1 heißt: „rechts vom Eingang in den Zeustempel,
gegen Norden"), und in der letzten Statue der linken,
südlichen Giebelecke ist nicht der Kladeos, sondern der Al-
pheios zu suchen. Sollte Newton's Zweifel sich nicht bestä-
tigen (Pausanias' Beschreibung scheint mit der Annahme, daß
Nr. 7 den zweiten Platz zu erhalten habe, unvereinbar) und

9) Bekleideter männlicher Torso, hakbgelagert. Die
einzigen erhaltenen Theile des Körpers sind die linke
Seite und der linke Schenkel. Das Gewand reicht bis
zu den Rippen hinaus und fällt an der Seite und dem
Schenkel in senkrechten Falten herab. Das linke Bein
ist gar nicht sichtbar, da hier die Grundlinie des Gie-
Lels die unteren Glieder abschneidet. Diese Figur war,
wie es scheint, nach der Rechten des Beschauers ge-
wandt."

Zum Schluß dieser Aufzählung der^ Fragmente
fährt dann Newton fort: „Wenn die Archäologen mit
Hilfe von Abgüssen Gelegenheit haben werden, diese
Fragmente in aller Mnße zu stndiren und in ihrer

wahrscheinlichen Reihenfolge im Giebelfelde wieder zu-
sammenzustellen, so dürfen wir hoffen, zu etwas be-

stimmteren Vorstellungen von der ursprünglichen Kom-
position zu gelangen, als wir zur Zeit besitzen. Einst-
weilen ist es nicht zu früh, den Werth dieser Torsi von
dem Gesichtspunkte ans zu mustern, daß sie einem her-
vorragenden Künstler der Zeit des Phidias zugeschrieben
werden.' Man hätte von vorn herein wohl erwarten
dürfen, daß, abgesehen von der durch den Platz am

Tempel bedingten Verschiedenheit der Behandlung, diese
Giebelfiguren des Päonios dieselben künstlerischen Merk-
male aufweisen würden, welche wir an seiner Nikestatue
sinden. Weit gefehlt! Vergleichen wir die Nike mit

den Giebelsiguren, so bemerken wir eine so große Stil-
verschiedenheit, daß es schwer fällt, beide sür Werke
desselben Künstlers zu halten. Anstatt einer mit voll-
endeter Kunst komponirten Gewandung, welche in ihrer
Ausführung Wucht und Breite mit Pracht und,Zart-
heit verbindet, begegnen wir großen Wülsten und mas-
sigen Klumpen von so grober Arbeit, daß ich beim An-
blick eines einzelnen Stückes solcher Gewandung, ohne
dessen Herkunst zu kennen, nimmermehr aus den Ge-
danken gekommen wäre, es könnte der Zeit des Phidias
oder überhaupt irgend einer anderen Periode als der
des völligen Verfalls angehören. Die Behandlung der
nackten Theile zeigt mehr Stil, besonders um die Schul-
tern herum, welche etwas von jenem reichen Liniensluß,
jener Großartigkeit des Typus haben, welche die Giebel-
siguren des Parthenon in so hervorragendem Maße
auszeichnen; aber in der Modellirung herrscht eine Un-
sicherheit, in der Behandlung eine seltsame und wunder-
liche Mischung von Wissen und Unwissenheit, von Ge-

Nr. 7 rvirklich die Ecksigur sein, so würde vollends der kahle
Kops und das höhere Alter mit dem Repräsentanten des
kleinen Kladeosbaches ganz unverträglich sein, dagegen vor-
tresflich zum „weißen" Alpheios passen, dem größten Flusse
der Peloponnes und einem der größten Griechenlands, dem
vor allen andern Flüssen vom Zeus geliebten und von den
Menschen verehrten Strome, der unter den Okeanossöhnen
seinen Ehrenplatz gleich nach dem Nil hat.
 
Annotationen