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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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Berggruen, Oscar: Die Jahres-Ausstellung im Wiener Künstlerhause, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5789#0254

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Die Jahres-Ausstellung im Wiener Künstlerhause.

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streitbaren Abnahme der gesannuten Wiener künstlerischen
Produktion seit Beginn der noch immer gewaltig fühl-
baren finanziellen Kalamitäten, dann aber auch in der
zahlreichen Betheiligung der Wiener Künstler an der
Weltausstellung zu Philadelphia, wohin ungefähr 180
Bilder, die Blume aller Wiener Ateliers, kürzlich gesen-
det wurden, während die Münchener Ausstellung aus
Wien quantitativ sehr schwach beschickt werden dürfte.
Wir hoffen beide Ausstellungen besichtigen und dann
über unsere Wiener Schule ungleich Erfreulicheres, als
heute, berichten zu können.

Daß wir diesmal vergeblich nach einem Historien-
bilde Umschan halten, empsinden wir nicht gerade als
ein Unglück. Unsere Zeit, die Zeit seit 1848, hat be-
reits soviel Geschichte producirt, und wir stehen noch
immer inmitten einer so lebhaften Bewegung auf allen
Gebieten politischer nnd socialer Entwickelung, daß
der Mangel an dem retrospektiven und überschauenden
Sinne, welcher ein wesentliches Moment des epischen
Geistes ist, begreiflich, ja natürlich erscheint. Unsere
bildnerischen Talente, welche sich der Menschendarstellung
widmen, streben unwillkürlich dem Jndividuellen zu,
und selbst ein Kanlbach, welcher zu anderer Zeit
sicherlich aus der höchsten Sphäre der reinen Historien-
malerei kaum herabgestiegen wäre, hat mit den Ten-
denzbildern ans seiner letzten Epoche dem „Zeitgeiste"
geopfert. So sei denn einer späteren, in ruhigeren und
abgeklärteren Zeiten lebenden Generation die Auf-
gabe gesetzt, zur Historienmalerei zurückzukehren und
darin Bedeutendes zn schaffen; uns aber mögen aller-
wege gediegene Leistungen auf jenen Kunstgebieten er-
wachsen, deren Pflege der Charakter unserer Zeit be-
günstigt!

Von einem dieser Gebiete können wir glücklicher
Weise gleich heute Erfreuliches berichten: vom Porträt-
fache. Diesmal ist es so stark und so gut vertreten,
daß wir beinahe vergessen, wie sehr wir im Zeitalter
der Photographie leben. Vielleicht dürfen wir sogar
in diesem, nach jahrzehntelanger Pause hervorbrechenden
allgemeinen Gefallen an künstlerischer Porträtdarstellung
nicht blos einen lupuriösen Modetrieb, sondern ein wirk-
liches durchgreisendes Verständniß für den Werth der-
selben im Gegensatze zum Kontersei der Maschine er-
blicken. Unser Jnteresse nimmt zunächst Angeli mit
seinen vier verschiedenartigen Porträts in Anspruch.
Als das beste unter denselben ist unzweifelhaft das vor-
nehm gehaltene Bildniß einer schwarzgekleideten Dame
in mittleren Jahren mit nicht gerade schönen, aber klar
durchgeistigten, harmonischen und sympathischen Zügen
zu bezeichnen. Der Mangel an psychologischer Ver-
tiefnng, den man sonst gegen Angeli nicht mit Unrecht
einwendet, tritt bei diesem Porträt nicht hervor; er hat
in demselben auch die Palette nahezu vollständig über-

wunden, und das Fleisch zeigt jene „naoMäo^u", jene
gesättigten, warmen, weichen Töne, welche uns ein or-
ganisches Leben unter der farbigen Epidermis glaub-
haft vormachen. Auch Lei dem Porträt eines schottischen
Laird in der bekannten Nationaltracht kam dem Künstler
die scharf ausgeprägte Physiognomie mit dem unver-
kennbaren Typus und Habitus der Aristokratie des Jnsel-
reiches sehr zu statten; das Bild ist leichter behandekt
und weniger durchgeführt, als das srüher besprochene,
wird aber seinem Originale nicht minder gerecht und
besticht ebenfalls durch die merkwürdige Durchsichtigkeit
und Leuchtkraft der Augen. Das Brustbild eines im
Anfang der sechsziger Jahre stehenden, srüher oft ge-
nannten französischen Staatsmannes zeigt schon merklich
den Mangel tieferer, geistiger Erfassung; der Kopf ist
trefflich modellirt, kommt jedoch wegen des etwas roh
gerathenen Fleisches nicht zur rechten Geltung. Das
Kostümbild der deutschen Kronprinzessin in nahezu ganzer
Figur zeigt vollends, daß Angeli an einer treuen und
sauberen Abschrift der Natur sein Genügen sindet und
des Vorrechtes der künstlerischen Gestaltung seiner Vor-
lagen mit eben nicht rühmlicher Bescheidenheit sich be-
giebt. Jn dem reichen, schwungvollen Renaissancegewande
des Kostümballs hätte die Prinzessin nicht jenen haus-
frauenhaften, gut bürgerüchen Zug beibehalten müssen,
welcher sie so volksbeliebt gemacht hat; da wäre eine
Beimischung von historisch-poetischem Geiste, aller Por-
trätähnlichkeit unbeschadet, wohl erreichbar und am
Platze gewesen. Uebrigens ist das Bild mit Eleganz
und, ungeachtet seiner Bezeichnung als „Porträt-Skizze",
im Detail, ja selbst im Beiwerk, mit großer Sorgsalt und
reizvoller Technik durchgesührt.

Ein Selbstporträt von Friedrich Amerling zeigt,
gleich mehreren Studienköpfen dieses Altmeisters, jene
Feinfühligkeit und jene koloristischen Vorzüge, die man
an ihm seit jeher schätzt, obwohl auch von ihm das
unerbittliche Alter seinen Tribut gefordert hat'; wer im
achten Decennium seines Lebens eine so charakteristische,
lebenswahre Hand zu malen vermag, wie Amerling an
der Studie „Shylock", dessen Hand mag getrost den
Pinsel weiter führen. Gustav Gauk hat zwei vor-
nehm gehaltene, sehr ansprechende Frauenbildnisse aus-
gestellt; sie verrathen in Zeichnnng nnd Kolorit, daß
der Künstler nicht ohne Nutzen sür seine Malweise längere
Zeit hindurch mit besonderer Vorliebe von den großen
Jtalienern, insbesondere von den Venezianern, treffliche
Kopien angefertigt hat, welche in früheren Ausstellungen
die allgemeine Ausmerksamkeit auf sich zogen. Ein gut
gestelltes und elegant gemaltes Kinderporträt von Horo-
vitz in Warschau ist leider gar zu süßlich und sastlos,
immerhin aber ungleich lebensvoller, als das geleckte,
puppenhaste Bildniß eines zierlichen Kindes von Mor-
gan, an dem der hübsch durchgesührte landschaftliche
 
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