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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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Rosenberg, Adolf: Die Berliner Nationalgalerie, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5789#0278

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Die Berliner Nationalgalerie.

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und wird von ihnen verhöhnt und gemißhandelt. Jn
dem einen dieser Philister, welcher den Genius durch
die gekrümmte Hand betrachtet, erkennt man unschwer
den schlimmsten Gegner des Genius, den bösen Kritiker.
Aus der anderen Seite wird der Genius von guten
Geistern befreit und seine Peiniger werden in die Flucht
getrieben. Jm vierten Bilde endlich beschließt der
Genius sein Erdenwallen und schwingt sich, betranert
von den Erdenkindern, zu seiner ewigen Heimat empor.
Leider erkennt man in diesen Kompositionen den Meister
nicht wieder, welcher einst die Festsäle des Dresdener
Schlosses mit reizvollen Wandgemälden schmückte. Seine
hier bekundete Formenschönheit hat einer recht haus-
backenen Trockenheit Platz gemacht. Wo die Langweilig-
keit haust, haben Phantasie und Grazie keine Stätte.
Die wnnderliche, süßlich-bunte Farbengebnng und die
kleinliche Auffassung des Stosfes erinnern — wie man
zwar scharf, aber richtig bemerkt hat — an die kolorirten
Bilder, welche die Zuckerbäcker auf ihre Bonbonieren
zu kleben pflegen. Von einem ernsten, monumentalen
Stile ist jedenfalls keine Spur zu bemerken.

Dasselbe gilt von den kleinen, grau in grau auf
blaßrothem Grunde gemalten Figurenbildchen in den
Halbbogenfeldern der Langseiten. Solche kleinlich er-
dachten und kleinlich ansgeführten Kompositionen eignen
sich wohl für Vignetten nnd für Holzschnittillustrationen
in Gebetbüchern und Jugendschriften, aber nicht für
Wandgemälde in einem Saale, der die Kartons eines
Cornelins beherbergt. Die Gegenstände dieser Gruppen-
bilder sind überdies so gesucht, daß man sich nur mit Hilfe
des Katalogs zurecht flnden kann. Da sitzen zwei Leute
über Büchern und fuchteln mit den Händen auf einander
los: das sind die Streiter uni's Heil. Dann solgt
eine Gruppe von sröhlichen Lenten — Freudig Erregte
— und ihr Widerspiel — Reuig Zerknirschte. Den
Schluß bildet eine Gruppe Studirender: das sind die
wissenschaftlich Forschenden. Den Zusammenhang des
Ganzen giebt der Katalog mit den Worten an, in diesen
Bildern spiegele stch „das. Verhalten ber Menschheit
gegenüber den religiösen Vorstellungen" wieder. Aus
der anderen Langseite wird dieser Gedanke in vier wei-
teren Gruppenbildern fortgesponnen: Knechte des Sinnen-
genusses — Fromm Andächtige — Heiliger Lehre
Lauschende .— Unerweckte Kinder der Welt. Letztere
Darstellung, welche die Heiden beim fröhlichen Trink-
gelage zeigt, erinnert nns an eine allerdings sehr pro-
fane Komposition A. v. Heyden's im Berliner Rath-
hauskeller. Dort werden uns ebenfalls die Heidenfürsten
vorgeführt, im Begrisf, alles „mit heidenmäßigen Dürsten"
auszutrinken, weil die Sündfluth im Anzuge ist. Die
sünfte und mittelste dieser Lünetten zeigt auf der einen
Seite den Genius und die Natnr in Umarmung mit
dem Cornelius'schen Wahlspruche: „Mit dem Genius

ist die Natur in ewigem Bunde" und auf der anderen
Seite zwei Knaben in Handwerkertracht, welche eine
Tasel mit der Jnschrift „Peter v. Cornelius" halten.

Die (ornamentirten) Kappen dieser Bogenfelder sind
auf jeder Seite von sechs Zwickelfeldern mit allegorischen
Figuren eingeschlossen, „die Kräfte des Geistes und Ge-
müthes versinnlichend, welche die Hervorbringung be-
deutender Werke beoingen." (Katalog.) Diese acht Fi-
gnren — lebensgroß, farbig auf lichtem Grnnde —
sind sämmtlich, vermuthlich nur aus Gründen der Raum-
füllung, geslügelt. Sie haben eine gewisse Fanülien-
ähnlichkeit mit einander, die sich zunächst in ganz nn-
glanblich langen Körperverhältnissen kundgiebt. Die
Düsseldorfer scheinen sich ein eigenthümliches Körper-
ideal, einen Kanon konstrnirt zu haben, welcher mehr
in die Länge als in die Breite geht und sich von jeder
Kraftentwickelung ängstlich fern hält. Auch Peter Janssen,
der den zweiten Corneliussaal ausgemalt hat, huldigt
diesem Schönheitsideal und hat gleichfalls mehrere solcher
schwebenden Fragezeichen in die Luft gemalt. Er hat
sie jedoch mit einer ganz achtbaren Körperfülle ansge-
stattet und ihnen dadurch einiges von ihrer Abnormität
genommen. Die acht allegorischen Figuren der an den
Kuppelsaal stoßenden Langwand stellen dar: 1) die
Anmuth, eine sitzende Frau, welche sich mit Blnmen
schmückt; 2) den Frieden, einen Jüngling mit dem
Palmenzweige in der erhobenen Hand; 3) den Gemus
der Dichtknnst, einen nackten, leierspielenden Jüngling;
4) die Forschung, repräsentirt dnrch eine sitzende weib-
liche Gestalt, welche ein aufgeschlagenes Buch im Schooße
hält und in die Ferne blickt. Zwei Halbzwickel, welche
die Wand abschließen, enthalten ein Genienpaar, welches
mit Früchten aufwärts schwebt, und ein zweites, welches
Licht herabträgt. Die vier Flügelgestalten der gegen-
über liegenden Wand stellen dar: 1) die Demuth, eine
stehende weibliche Gestalt mit aus der Brust gekreuzten
Armen; 2) die Begeisternng, eine sitzende Fran, welche
in Verzückung gen Himmel blickt; 3) die Kraft, ein
sitzender Jüngling, welcher die Linke anf sein Schwert
stützt; 4) die Freude, eine nackte nnr mit einem blauen
Schleier bekleidete Gestalt, welche, Blumen streuend,
aufwärts schwebt. Jn den Halbzwickeln an den beiven
Seiten schwebt ein Genienpaar empor, um Licht herab-
zuholen, während ans der anderen Seite ein zweites
Blnmen auswärts trägt.

Dieser erste Corneliussaal enthält die Kartons zu
den Wandbildern des projektirten Camposanto in Berlin
zu vier großen Bildgruppen vereinigt. Das Arrange-
ment derselben, welches dem Direktor Dr. Jordan ver-
dankt wird, ist vortrefflich.

Der zweite Corneliussaal ist — wie der erste in
Wachssarben nach dem Rezepte des Düsseldorfer Pro-
sessors Andreas Müller — von Peter Janssen aus
 
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