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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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Regnet, Carl Albert: Die Eröffnung der deutschen Kunst- und Kunstgewerbe-Ausstellung in München
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591

Die Eröffnung der deutschen Kunst- und Kunstgeiverbe-Ausstellung in München.

592

Es ist das eine nothwendige Folge jener beklagens-
werthen Loslösung der Gewerbe von der Kunst und der
sabrikmäßigen Massenarbeit, fnr welche die Quantität
Alles, die künstlerisch schöne Form wenig, ja in den
meisten Fällen gar nichts ist. Jm Großen und Gan-
zen fehlt unserem Gewerbe jener schöpferische Zug, der
es einst zur Volleudung emporhob. Bis vor Kurzem
noch trennte eine tiefe, ja seindliche Kluft die beiden Ge-
biete, und es war ein ungeheurer Schritt vorwärts, daß
man endlich begriff, wie es für unsere Jndustrie eine
Lebensfrage geworden, jenen Zusammenhang, der völlig
verloren schien, zu erneuern, jenes innige Jneinander-
greifen, das vordem zwischen Handwerk und Kunst be-
stand, wiederum zu beleben. Das aber ist das Höchste,
das eigentlich ideale Ziel unserer Ausstellung.

Man trug sich zuerst mit dem Gedanken, den gan-
zen Glaspalast als einen riesigen ungetheilten Raum zu
belassen; es zeigte sich aber bald, daß er unaussührbar
wäre. Nicht sowohl wegen der Abgrenzung der einzel-
nen Stämme des großen Volkes, auf welche mau ja des
Prinzipes halber doppelt gern verzichtet hätte, als wegen
der Verschiedenheit der Gegenstände. Nur auf dem
Wege der Lokalisirung war es möglich, eine systematische
und dadurch wirklich belehrende Aufstellung durchzufüh-
ren, das innerlich Zusammengehörige auch äußerlich als
ein geschlossenes Ganzes zur Anschauung nnd zum Ver-
ständniß zu bringen; ganz abgesehen davon, daß das
durch nichts gehemmte Hinweggleiten des Blickes über
den kolossalen Raum mit seinen tausend und abertausend
verschiedenartigsten Gegenständen etwas Sinnverwirren-
des hätte haben müssen.

Eine solche Trennung war schon unumgänglich im
Hiublick auf die Erzeugnisse des alten deutschen Kunst-
handwerks. Der Zweck, den man dabei versolgte, als
man zum ersten Male, seit es ein deutsches Volk giebt,
in einem Raum sammelte, was die Besten desselben ge-
schaffen, war ein doppelter. Es sollte dieses mit Um-
sicht und Strenge ausgewählte reiche Material der Gegen-
wart vor Augen stellen, was eine ideale Auffassung des
Gewerbes zu schaffen vermochte, und wie in zahlreichen
Fällen das Ausland kein Bedenken getragen, sich mit
fremden Federn zu schmücken. Dann aber sollte, was
sonst nur auf jahrelangen Reisen durch die halbe Welt
gesehen und genossen werden kann, hier an einem und
demselben Orte zu gleicher Zeit zurs Ansicht vorliegen
und so zu vergleichendem Studium eine noch nie und
nirgendwo gegebene Gelegenheit geboten werden.

Die alte Kunst und Kunstindustrie liegt als ein in
sich abgeschlossenes Ganzes hinter uns. All' unser Stre-
ben muß in dem Verlangen gipfeln, es ihr gleich zu thun.
Der Raum, in dem ihre Schöpsungen niedergelegt wur-
ven, mußte darum zu einer Art Sanktnarium gestaltet
werden, das wir mit Weihestimmung betreten. Draußen,

unter Unsersgleichen, mögen wir uns als Meister füh-
len, hier innen sind wir allesammt nur Schüler.

Und noch ein anderes Interesse bietet diese Tren-
nung des Alten vom Neuen. Sie zeigt uns die drei
großen Faktoren des deutschen Kulturlebens: Kirche,
Adel und Bürgerthnm in seinem Glanze.

Die weiten faltenreichen Kirchengewänder aus ara-
bischen Seidenstosfen, die elsenbeinernen Krummstäbe
der Bischöfe und Aebte, die goldblinkenden Meßbücher,
die riesigen Kronleuchter, diese symbolischen Bilder des
himmlischen Jerusalem, sie mahnen uns an die Zeit, da
die Kirche auf dem Höhepunkte nicht allein ihrer geist-
lichen, auch ihrer weltlichen Macht stand, als sie Kaiser
und Könige ein- und absetzte. Wir freilich kennen den
Kampf zwischen Kirche und Staat nicht minder, als jene
Zeiten ihn kannten, aber erst vor diesen Schätzen ahnen
wir auch den Prunk und Zauber, welchen der kirchliche
Glaube auch im äußeren Leben unserer Voreltern übte.

Von seinen Burgen zog der Adel in die Stadt,
die ihm nicht blos erhöhte Sicherheit, sondern auch er-
weiterte Herrschaft bot. Draußen hatte er nur über
Hörige geherrscht, drinnen saß er im Rathe, der
die Bürger regierte. Für ihn zunächst schmiedete der
Plattner reich dekorirte Schutz- und Trutzwaffen, für
seine Frau und Töchter formte die kunstreiche Hand des
Gold- und Silberschmiedes funkelndes Geschmeide.

Der Kirche aber und dem Adel erwuchs in dem
Bürgerthum ein niächtiger, vielfach sieghafter Neben-
buhler. Ans den Bischossstädten wurden sreie, nur dem
Kaiser und Reich untergebene Städte, Bürger setzten sich
in den Besitz der Macht und arbeiteten nicht mehr
ausschließlich sür die Kirche und die Fürsten und den
Adel, sondern schmückten mit den Werken ihrer Hand
lhr eigenes Haus, und Hals und Busen ihrer Frauen
^ und Töchter.

Wie lange jene ständischen Grenzen niedergeworfen
sind, das lehrt uns ein Blick über die Schöpfungen der
Gegenwart deutlicher, als ein gelehrtes Kompendium.
Keine der ersten Geschäftsfirmen in den deutschredenden
Ländern sehlt, daneben aber hat sich der einfache Arbeiter
aus dem Dorse eingefunden, dessen Name kaum das
Postlepikon kennt. Neben dem silbernen Taselgeschirr
sehen wir den einsachen Leuchter aus Gußeisen, und ^
Fürst und Bürger sinden, was für Palast und Haus
sich eignet.

Die Kunst aber ist bei allem nationalen Charakter s
doch eine Weltbürgerin, und darum respektirt sie auch
im Münchener Glaspalast um so weniger die Grenzen,
welche die einzelnen Stämme des deutschen Volkes von
einander trennen. Der Wiener Künstler hilft das Ka-
binet eines Berliner Fabrikanten schmücken, und der El-
sässer findet sein Werk in einem Saal, in dem die Bayern
sich niedergelassen.
 
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