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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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609

Korrespondenz.

610

den die mächligen Pappeln, mit hundertjährigen Weiden-
bäumen und Hollundern wechselnd, umkränzten, weit
hinaus; jenseits des Wasserspiegels die Glacis mit ihren
Fluren und reizenden Fußpfaden, noch weiter hinaus
kleine Seen, hie und da vielleicht auch ein Anblick des
glänzenden Meeres. Welche scköne, welche prachtvolle,
tiefpoetische Idylle! — Und jetzt! In die Gräben hinab
versanken, ein Opfer des goldenen Kalbes, die Wällc.
Alles, oder doch die schönsten Partien, sind jetzt rasirt,
planirt, rninirt und für Neubauten parcellirt; die
vormalige schönste Promenade Kopenhagen's zum Theil
in eine Sandwüste verwandelt, zum Theil auch schon
mit mehr oder minder stillosen und häßlichen Mieth-
häusern beveckt. Gern verzichte ich darauf, eine ein-
gehende Beschreibung von diesen unsern neuesten Bau-
unternehmungen zu liefern. Charakterisiren läßt sich
doch das ganz und gar Charakterlose nicht, und wem
sollte auch eine Beschreibung von dergleichen Sachen
von Jnteresse sein? Kennt ja doch Jedermaun, der
jemals eine „sich rüstig emporarbeitende" Hauptstadt
Europa's oder der neuen Welt gesehen, diese großen, mit
unzählbaren Fenstern versehenen, je zu vier um einen
winzigen quadratischen Hosraum zusammengestellten „Ar-
chen Noäh", hie und da mit einem schlecht proportionirten
Erker oder einem unsinnigen Thurme verziert, bald slach
und nackt in den Fa<^aden, bald wohl auch mit der
kleiustmöglichen Rücksicht auf Zusammenhaug und Tota-
lität mit turnenden Delphinen, nichts tragenden Karya-
tiden und sanft kokettirenden Meerjuugsercheu dekorirt!
Leider steht es ja als eine immer mehr anerkannte Wahr-
heit fest, daß sich, je mehr ein jeder Maurermeister
den Architekten spielt, desto weniger von Architektur
darbietet.

Jst sonach die Destruktion der alten Festungswerke
der Hauptstadt und die Bebauung des dadurch gewonnenen
Terrains iu ästhetischer Beziehung nur ein Verlust zu
nennen, stellen sich dagegen die Verhältnisse innerhalb
der Grenzen der „alten Stadt" doch durchaus günstiger.
Jm Herzen der Stadt, uumittelbar vou der Hauptstraße
ausgehend, fand sich noch bis zur neuesten Zeit ein Kom-
plep von Gassen, durch welche sich der Wanderer nur
nothgedrungen wagte: hohe, düstere Spelunken, vom elen-
desten Proletariat bewohut, Pflauzschulen epidemischer
Krankheiten und allerlei Laster, kothig und stinkend bis
zum Ersticken. Die „Kopenhagener Baukompagnie" hat
alle diese Häuser gekaust; sie sind schon niedergerissen,
und auf dem Boden, wo sie standen, erhebt sich jetzt ein
elegantes Stadtviertel, große, meistens anf den Handels-
verkehr berechnete Häuser mit zum Theil reich, ost auch
" ' hübsch dekorirten Facadeu; leicht, lustig und glänzend
sieht Alles aus. Ist auch der Baustiel hier nicht
immer der reinste, und wird auch hier zuweilen das
Auge von unangenehmen Verhältnissen und wenig mo-

tivirter Ornamentik verletzt — wer das Quartier in
seiner ätteren Form gekannt, wird sich doch über die
Verwandlung solchermaßen sreuen, daß er es schwerlich
wünschen wird, als gestrenger Kritiker der Architektur
gegenüber aufzutreten. Von Gebäuden der hier gedach-
ten Bestimmung wird man in unserer Zeit anch nicht
das Höchste sordern; unsere jetzigen Architekten haben
anderwärts gezeigt, daß sie auch in rein künstlerischer
Beziehung etwas zu leisten vermögen. So steht das
prachtvolle neue königliche Theater als eiu ruhmwürdiges
Resultat des Zusammenwirkens zweier jüngeren Künstler,
Petersen und Dahlerup; das ueue Bankgebäude, die
Navigatiousschnle, das Zoologische Museum sind Epem-
pel glücklicher Nachahmung von Meistern aus verschie-
denen Epochen der italienischen Renaissance, und in der
Paulskirche erwerben wir eine vorzügliche Basilika,
der ich nach ihrer bald bevorstehenden Vollendung eine
nähere Beschreibung widmen will.

An plastischen Kunstwerken unter freiem Himmel
ist Kopenhagen nicht eben reich; die nächste Zukunft
wird jedoch einen beträchtlichen Zuwachs bringen.
Bissen's Standbild Tycho de Brahe's wird vor dem
astronomischen Observatorium aufgestellt werden; es ist
schon in Bronze gegossen, wie auch ein zweites Werk
desselben (1868 verstorbeuen) Meisters, die Statue des
danischeu Seehelden Tordenskjold, welcher zwar noch
kein Platz angewieseu worden ist. Für Jerichau's
Oerstedmouument — eine Porträtstatue, von drei kolossalen
allegorischen Figuren umgebeu — ist schou das Funda-
nient nördlich an der Grenze der alten Stadt gemauert.
Wann wir däs projektirte — und pekuniär schon ge-
sicherte — Monument H. Ch. Andersen's zu sehen be-
kommen werden, steht noch dahin. Für den vorläusigen
Konkurs gingen mehr als ein Dutzend Skizzen ein, von
welchen vier ausgewählt wurden, die von den resp.
Künstlern in halber Lebensgröße ausgesührt und einer
neuen Beurtheilung unterworfen werden sollten. Die
vier Arbeiten wurden alle verworfen; jetzt versuchen sich
abermals drei Bildhauer mit Modellen in der vollen
Größe des Standbildes (4 Ellen). Keiner von den
Konkurrenten hat jemals vorher etwas Bedeutendes
präsentirt, und die Aussichten auf eiu glückliches Resultat
sind also nicht besouders groß. Wahrscheinlich wird man
es noch bereuen müssen, daß man nicht gleich an unsern
einzigen wirklich bedeutenden Bildhauer, Prof. Jeri ch au,
mit direkter Bestellung gegangen ist; Jerichau hat sich
leiver nicht an vem Wettstreit betheiligen wollen.

Ein Konkurrenzspiel, wie erwähntes, kann natürlich
keine großen Vorstellungen von dem jetzigen Standpunkte
der Plastik im Vaterlande Thorwaldsen's geben; keine
günstigere erhält man, wenn man die zur Zeit statt-
sinvende Jahresausstellnng in den Lokalen der
Akademie durchwandert. Außer zwei älteren Arbeiten
 
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