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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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Berggruen, Oscar: Die Flügelrosse auf dem Wiener Opernhause
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Die Flügelrosse auf dem Wiener Opernhause.

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kritik derart zum bequemen Angriffspunkte dienen könnte,
wie bei den Pilz'schen Flügelrossen die allzu massige
Fülle. Um so schärser treten die Grundfehler der Hähnel'-
schen Arbeit aus eiuer kritischen Untersuchung derselben
hervor, namentlich wenn man die srühere Lösung der
Aufgabe durch Pilz zum Vergleiche herbeizieht.

Als Kardinalgebrechen der Hähnel'schen Gruppen
muß zuerst hervorgehoben werden, daß die Musen auf
den gestügelten Rossen nach Damenart reiten. Wir
sehen ganz von dem mythologischen Bedenken ab, den
seuerschnaubenden, flügelschwingenden Pegasus so zahm
zugeritten zu sehen und wenden uns blos zur künst-
lerischen Seite dieses Musenrittes. Wir meinen, es
hätte dem Bildhauer klar sein müssen, daß in dieser
Weise nicht nur kein allseitig besriedigender Anblick der
Gruppen erzielt werden könne, sondern daß die wichtigste
Ansicht derselben, die in der Fayade des Baues, unrett-
bar verloren gehen müsse. Für den Beschauer, welcher
einer der Gruppen gerade gegenüber steht, wird die Ge-
stalt der Muse von dem Kopfe des Pserdes und mehr
noch von den Flügeln desselben unbarmherzig zerschnitten;
die Ueberschneidung der Flügel ist überdies auch in der
Seitenansicht ein sehr störender Mangel. Wir geben gern
zu, daß dieses Gebrechen bei dem angenommenen Kom-
posttionsmotiv nicht zu vermeiden war; allein eben
diesem Motiv hätte der Künstler aus dem Wege gehen
sollen, wie dies vor ihm Pilz gethan, dessen Flügelrosse
von den Genien der Tonkunst geführt wurden. Ueber-
haupt kann die Darstellung eines Reiters auf dem Flügel-
rosse nur der Malerei nnd nicht der Skulptur gelingen,
da die Flügel unmöglich so angeordnet werden können,
daß sie von jedem Standpnnkte gesehen die Figur nicht
durchkreuzen und zerschneiden. Und selbst für die Malerei
ist das Bewegungsmoment des eine Reiterfigur tragen-
den, geflügelten Rosses so schwer, daß dessen Darstellung
höchst selten angemessen erscheint. Uns ist nur eine
gelegentlich des Schillerfestes 1859 entstandene Zeich-
nung*) von Bonaventura Genelli bekannt, auf welcher
die Lösung gelang und die Jdealfigur eines Reiters auf
dem mit mächtigen Schwingen die Luft durchrudernden
Pegasus einen harmonischen, organischen Eindruck hervor-
bringt; für die Sknlptur aber wäre auch diese Zeichnung
ganz ungeeignet, da die Darstellung, so gut sie sich von
der Seite präsentirt, mit welcher der Maler gerechnet
hat, naturgemäß von allen anderen Standpunkten aus
minder gut, ja ganz ungünstig sich ausnehmen müßte.

Ein anoerer Hauptfehler der Hähnel'schen Kompo-
sition ist die allzu schwächliche Anlage derselben, welche

*) Das Original besindet sich unter den großen, noch
ungehobenen Schätzen des Genelli'schen Nachlasses in der
Bibliothek der Akademie der bildenden Künste in Wien. Die
Genelli'sche Zeichnung ist in Holzschnitt reproducirt worden.

dem dekorativen Zwecke der Gruppen geradezu entgegen-
steht. Osfenbar litt der Bildner hierbei unter dem Ein-
flusse einer Reminiscenz der Pilz'schen Gruppen in dem
Sinne, daß er vor lauter Angst, dem Fehler der letzteren
zu verfallen, in den entgegengesetzten gerieth. Die Ver-
hältnisse des Baues, der leider nur zu schwer auf dem
Boden lastet, erheischen einen kräftigen, wuchtigen Ab-
schluß, und die Archttekten haben, wie erwähnt, durch die
Dimensionen des Sockels klar genug angedeutet, von
welcher Art sie sich diesen Abschluß dachten. Hierfür
hatte Pilz die richtige Empfindung und seine Gruppen
waren entsprechend angelegt, wenn sie auch im Detail
zu massiv geriethen. Hähnel aber übersah gänzlich den
dekorativen Zweck seiner Arbeit, entwarf seine Gruppen
ohne Rücksicht aus den Standort, als ob sie Selbstzweck
wären, und lieferte eine Dekoration, die sich so fragil aus-
nimmt, daß man fast vermeint, der nächste Windstoß
werde sie auf das Pflaster der Ringstraße schleudern.

Mit dem Verkennen des Zweckes seiner Aufgabe
hängt es znsammen, daß Hähnel seine Gruppen in
ganz naturalistischer, der Bestimmung des Werkes un-
angemessener Weise entwarf. Wir gehören gewiß zu
den Letzlen, die einem Künstler das Festhalten an der
Natur, an dem Seienden, als der unverrückbaren Grund-
lage aller Kunst und jeglichen Jdeals, zum Vorwurf
machen könnten; allein wir müssen von einem Kunstwerke
vor Allem verlangen, daß es der Jdee, die ihm zu
Grunde liegt, entspreche, und daß es, wenn es Theil eines
Ganzen ist, sich demselben in jener harmonischen Weise
ergänzend einfüge, die man als „stilvoll" bezeichnet.
Tritt vollends der Umstand hinzu, daß der Gegenstand
der künstlerischen Darstellung nicht unmittelbar dem
Reiche der Natur entnommen ist, sondern dem Gebiete
herkömmlicher Jdealgebilde, so wird die Verpflichtung
des Künstlers, der darzustellenden Jdee gerecht zu werden,
um so gebieterischer. Hähnel aber hat ein Paar gut
dressirte Zelter für junge Mädchen hingestellt, denselben
ein Paar Flügel angeklebt nnd seine Musen ganz schul-
gerecht in einer Gewandung darauf gesetzt, die man nach
der herabhängenden Schleppe als Reitkleid bezeichnen
könnte, wenn der Oberleib geschlossen wäre. Man denke
sich dazu, daß die Musenrosse ganz artig je einen Vorder-
fuß korrespondirend in die Höhe heben, wie die Pferde
im Circus bei ihren Rechenkünsten, und man wird be-
greifen, daß solch' ein Naturalismus unmöglich zusagen
kann. Wo hinwieder ein gesunder naturalistischer Jn-
stinkt sehr am Platze wäre, da mangelt er gänzlich; wir
meinen: bei der Art der Flügelbildung und bei dem
Ansatze derselben. Die Flügel sind hier nämlich so zu-
gestutzt, daß dem Beschauer sofort auffällt, wie unmög-
lich es den Pferden wäre, sich mit denselben in der Luft
zu bewegen; außerdem sind sie vorn neben den Lungen-
slügeln so unorganisch angesetzt oder eigentlich hinein-
 
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