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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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Thorbecke's Standbild in Amsterdam
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651

Thorbecke's Standbild in Amsterdam,

652

Geister im Holland nach 1830 wollten nur erneuen,
bessern, verlebendigen, nicht das alte Wesen vernichten.

Die Männer, welche in der sranzösischen Umsturz-
zeit geboren waren, und nun an die besten Garantien
eines Volks- und Staatswesens dachten, es gegen ver-
derbliche Umwälzungen zu bewahren, kamen damals fast
alle dahin, nach einer göttlichen, feststehenden Ordnung
zu suchen im Gegensatz zu den Theorien der Aufklärungs-
zeit. Das christlich-religiöse Element, darauf hin ange-
wandt, schlug nach 1815 stark vor und gab dem ganzen
Konservatismus, und wie nun erst der echten Reaktion
sein Gepräge.

Thorbecke war ein Denker. Als solcher war er
Anhänger einer Philosophie, die auf religiösem Grund
ruht und einer gewissen Mystik nicht fremd ist, darum
aber auch mit der eigentlicheu Orthodopie uichts zu
thun hat. Er sah im Recht, das in der Kranse'schen
Philosophie die göttliche Emanation sür das Genossen-
schaftsleben der Menschen ist, den Fels, darauf das
politische Leben beruht, nicht in einem orthodopen Glauben.
Der Glaube für die Religion, für den Staat das Recht.

Thorbecke war Gelehrter, ehe er Staatsmann ward.
Philosophie und Rechtswissenschaft waren der Grund,
auf dem er stand und von dem er sich nie wegziehen
ließ. Als es sich darum handelte, Holland zu erueuen
und er sich gedrungen fühlte, dafür mit besten Kräften
einzutreten, da war ihm seine Stelle gegeben. Jn Recht
und Gesetz lag die Kraft, durch die er auf sein Volk
und für sein Volk zu wirken hatte. So ward der Ge-
lehrte Mitglied der Kammer, Parlamentsredner, Partei-
führer und Minister und gewann seinen Einfluß auf
die Entwickelung des neuen Hollands. Aehnliche Ver-
hältnisse ergaben damals in anderen Staaten Aehnliches.
Denken wir nur an Frankreich und Guizot.

Männer dieser Art sind selten leicht beweglich und
werden schwer eine gewisfe doktrinäre Beschränktheit und
Starrheit los. Sie kennen kein Paktiren und werden
unlenkbar, ja hart und schroff, sobald es sich um ihre
Prinzipien handelt. Was sie mit ihrer Logik sich zu-
rechtgelegt, ist ihnen unumstößlich. So kennen sie keine
Unsicherheit und verachten diese bei Anderen sogleich als
Flauheit oder Feigheit. Solche Ueberzeugung macht den
persönlich milden, herzensguten Menschen in seinem Be-
ruf wie ehern und bei einem Auseinandergehen der
Ueberzeugungen besouders auch gegen sonstige Freunde
rücksichtslos. Leicht erscheinen sie dadurch als Recht-
haber und Despoten. Von diesem Metall, daraus z. B.
ein Luther und Calvin gemacht waren, hatte auch Thor-
becke in sich.

Aber gerade solche Männer sind nöthig in einer
schlaffen, schwankenden Zeit, ihr Stetigkeit zu geben
und sie zu stählen. Kommen zwei oder mehrere derselben
Art aneinander, so malen diese harten Steine nicht gut

miteinander; aber es steht schlimm um einen Staat,
wo sie gar nicht vertreten sind in der Leitung desselben
und nur Schaukel- und Verwässerungsgeister an der
Spitze stehen.

Der Künstler, der Thorbecke's Statue gebildet hat,
hat den großen Mann nicht gekannt. Da seit dessen
Tode so kurze Zeit verstrichen ist, so war auf die Porträt-
Aehnlichkeit noch eine besondere Rücksicht zu nehmen,
ganz anders, als wenn etwa zwanzig Jahre dazwischen
gelegen hätten. Wo der Künstler nicht das Schöne zu
bilden hat, hat er das Charakteristische darzustellen.

Jst es nun Leenhofs geglückt, das Charakteristische
eines Thorbecke wiederzugeben? Leuchtet die Bedeutung,
die Charaktergröße und Festigkeit des Mannes aus der
ehernen Figur hervor? Oder entsprach vielleicht die
äußere Erscheinung nicht seiner geistigen Bedeutung?

Schreiber dieser Zeilen hatte die Ehre, Thorbecke
kennen zu lernen und hat nach einem einzigen Abend
einen unauslöschlichen Eindruck von dem bedeutenden
Manne erhalten. Diese lange, hagere, eckige Figur im
langen braunen Rock, das war der berühmte nieder-
ländische Gelehrte und Staatsmann. Aber welche ruhige,
großblickende, unerschütterliche Sicherheit trat uns in
dem an einen deutschen Professor erinnernden steifen
Mann mit dem bis zum Strengen festen Blick ent-
gegen; Hoheit lag in dieser Gestalt, der Ausdruck einer
Würde, wie sie nur die lange Gewohnheit giebr, in ver-
antwortlicher Stellung als Autorität anerkannt zu wer-
den. Die Bedeutung und Größe des Mannes sprach
sich auch charakteristisch in seiner Erscheinung aus.

Den Ausdruck davon können wir in Leenhofs's
Statue nicht wiedersinden. Sie kommt uns gewöhnlich
vor. Wir wissen nichts daran zu loben, allerdings auch
nichts besonders zu tadeln. Der Rock hätte in manchen
Partien weniger schalenförmig, sondern tuchsörmiger
aussehen können. Das Unterbein vom Knie abwärts
erscheint uns im Verhältniß zu lang. Thorbecke selbst
hatten wir als länger von Gestalt im Gedächtniß. Doch
dies sind Einzelheiten, auf die wir kein Gewicht legen.
Wohl aber darauf, daß der eigentliche Geist in dieser
Statue nicht zum Ausdruck gekommen ist, die nun der
Nachwelt das Bild des großen Denkers und Staats-
mannes übermitteln soll.

Wunderlich ist uns erschienen, daß man die Statue
mit dem Gesicht gegen die Gracht und nicht gegen den
sonst so trefflich geeigneten Platz, der jetzt Thorbecke's
Namen trägt, gerichtet hat. Vom Rembrandtsplatz
kommend müßte man der Statue entgegen und nicht
aus den Rücken sehen. Mit einer gewissen Heiterkeit
könnte man denken, es habe unwillkürlich die nicht ent-
gegenkommende Stellung, die manchmal zwischen Thor-
becke und Amsterdam herrschte, noch einen symbolischen
Ausdruck in der Wahl der Stellung gefunden. I,.
 
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