Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

DOI Artikel:
Abrest, Paul d': Der Salon von 1876, [3]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5789#0334

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
655

Der Salon von 1876.

656

es sogar in Versen seierte. Sein liebliches Weib Seluka
liesert Wasser auf die Mühle derjenigen, welche sich
gern an der offiziellen Malerei vergreifen, deren Personi-
fikation der erwähnte Herr Cabanel als Commandeur
der Ehrenlegion, Großbeeinflusser der Juries und Aus-
führer amtlicher Bestellungen ist. Die Leidenschast einer
gewissen Schule gegen Cabanel ist zwar groß genug,
um von vornherein die gegen ihn gerichteten Angriffe
theilweise zu entkräften, aber diesmal gestehen selbst
Cabanel's Freunde, daß er sein sprichwörtliches Glück
durch eine Portion Fleiß und ein Fünkchen Genins
korrigiren müsse.

Eines der merkwürdigsten Genrebilder im henrigen
Salon, wenn nicht das merkwürdigste von allen, ist
jenes kühne herausfordernde Werk eines noch jungen
Maler's Garnier, an dem vielleicht die Mutter, welche
ihre Tochter in den Salon führt, rasch vorübergehen
wird: „Die Strafe der Ehebrüchigen im Mittelalter".
Die beiden Verbrecher, zwei junge hübsche Gestalten,
der Mann, ein Typus der Kraft, die Frau von zarter
Körperbildnng, werden nackt durch die Straßen der Stadt
getrieben und unbarmherzig von rohen Henkersknechten
durchgepeitscht. Glücklicher, sprechender Ausdruck jeder
Physiognomie und geschickte Gruppirung der ziemlich
zahlreichen Zuschauer sind die größten Vorzüge dieses
Bildes. Man besehe sich z. B. die drei Zuschauer
links: der Ehemann, ein biederer Bürger im langen
Kaftan, weiß nicht genug seinen Beifall über die Züch-
tigung auszudrücken, er klatscht so eifrig in die Hände
und ruft so laut „Bravo" bei jedem Hieb, der auf die
Schultern der jnngen Leute herabfällt, daß er nicht ge-
wahr wird, wie seine eigene Ehehälfte, die er am Arme
führt, verschmitzt nach einem schmucken Burschen schielt
und sich verlegen hinter'm Ohr kratzt, als könnte ste das
nämliche Schicksal treffen. Die stumpse Gleichgiltigkeit
der Einen, diskretes Mitleid bei Andern, lüsterne Neu-
gierde und die Bosheit der Schuljugend, die den beiden
Gepeinigten noch Schneeballen nachwerfen, sind charak-
teristisch wiedergegeben. Die beiden Hauptfiguren stnd
lebendig, vielleicht zu lebendig, würde ein Moralist sagen.
Die Geberde des Frauenzimmers, wie gesagt, einer recht
anmuthigen Sünderin, die sich instinktiv an die Seite ihres
Mitschuldigen schmiegt, und das Gesicht zn Dreiviertheilen
zu verbergen sncht, ist ein echt weiblicher und ergreifender
Protest gegen diese barbarische Züchtigung. Ein Meister-
werk roher Bestialität sind die beiden Henkersknechte;
der eine besonders hat die Züge so verzerrt, daß man
kaum das Geschlecht aus den Zügen herausliest. Es ist
ein reiner Dämon der Peiniger, wie er im Buche steht.
Herr Garnier, nebenbei bemerkt, hat seit langer Zeit
seine Thätigkeit dem Mittelalter zugewendet und zeichnete
sich jedesmal seit 2—3 Jahren dnrch die humoristische
Behandlung von Stoffen aus dem 13. wder 14. Jahr-

hundert ans; er hat sich in dieser Periode so einstudirt und
und eingelebt, daß seine Bilder den Stempel der Zeit-
farbe tragen.

Die beiden Porträts des berühmten Mitglieds der
„Ooinsckis trnnhniso", Fräulein Sarah Bernhardt, machen
viel von sich reden. Es ist das erste Mal seit langen
Jahren, daß eine Dame in denselben Salon zweimal ab-
gebildet erscheint; aber Künstlerinnen, namentlich wenn
ste Schooßkinder des Publikums sind, wie Fräulein Sarah,
ist Manches gestattet. Das eine Porträt, von Mme.
Abbema gemalt, ist schwarz und stellt die Künstlerin
im städtischen Kostüme dar; das andere von H. Char-
din zeigt sie uns in der epochemachenden weißen Toilette
der Etrangore, auf dem Kanapee halb dahingestreckt,
wie in diesem Stücke. Die Auffassung Chardin's ist
uns viel geläufiger, eben aus dem Grunde, weil hier
die Theaterdame und nicht die Privatperson dargestellt
wird, die uns entgeht. Sarah Bernhardt ist durch und
durch Künstlerin, ihr unregelmäßiges, nicht gerade schönes,
aber sehr interessantes Gesicht läßt sich nur artistisch
ausfassen und deshalb bleibt Chardin im Rechte.

Ueber den Schreibtisch gebengt, nachsinnend, wie
es einem großen Geist, der sich porträtiren läßt, gebührt,
sitzt Herr v. Girardin da mit der klassischen Haarlocke
über der Stirn. Einige finden den berühmten Jonrna-
listen zu gealtert und berusen sich auf das Märchen von
seiner ewigen Jugendfrische. Diese geben sich einer argen
Täuschung hin und haben osfenbar Herrn v. Girardin
niemals im Nsgligo gesehen, als er seine künstliche
Toilette noch nicht beendigt hatte. Jch werde mich stets
des geisterhaften Eindruckes erinnern, den der scharse
Streiter einst auf mich machte, als ich ihn so srüh —
beim Sprung aus dem Bette aufsuchte. Ungefähr so
hat ihn Carolus Duran gemalt. Ganz recht! Die
Porträtmalerei soll nicht schmeicheln, ebensowenig wie die
Photographie. Von den übrigen vielen Porträts ist es
schwer, dasjenige herauszusuchen, welches eine besondere
Auszeichnung verdient. Fast alle sind ox noc^uo in der
technischen Vervollkommnung und im Kolorit. Jedoch
sind die Damen bevorzugter als die Herren; da die
meisten ausgestellten Porträts Familienstücke sind und
mit Ausnahme einiger Berühmtheiten des HigN lito
keine Celebritäten aufzuweisen im Stande sind, so haben
dieselben sür's Ausland kein besonderes Jnteresse.

Bekanntlich hat man dem Großpriester der Excen-
tricität H. Manet die Thür der Ausstellung verschlossen,
aber man konnte doch mit einem Schlage nicht seine
ganze Schule verbannen. Ein gutes Stück Manet'schen
Realismus' steckt in dem Wäschermädchen Alizot's.
Eine dralle Dirne, voller Eiser für ihre Arbeit, mit
hochrothen Wangen und aufgeschlitzten derben Armen.
Man sindet hier ganz und gar die Faxon Manet's, aber
ohne jene Excentricität, die bei diesem Maler manchmal
 
Annotationen