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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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Redtenbacher, Rudolf: Der Thurmhelm des Freiburger Münsters
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https://doi.org/10.11588/diglit.5789#0381

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749

Der Thurmhelm des Freiburger Münsters.

750

Schwellung der Thurmspitzen auch an diesem größten
aller gothischen Dome einsühren soll, trotzdem die Original-
pergamentrisse keine Spur einer solchen aufweisen.

Die romanischen Thurmhelme des Domes zu Speier
und von St. Fides in Schlettstadt sind unzweifelhaft
geschwellt; am Dom zu Meißen ist der Thurmhelm nicht
eigentlich geschwellt, sondern das untere Drittel ist steiler
gegen die Vertikal-Ape geneigt als die oberen zwei Drittel.
Das Gleiche ist der Fall bei dem südlichen Querschiss-
thürmchen am Freiburger Münster, während das nörd-
liche Thürmchen, wie es scheint, wirklich eine Schwel-
lung zeigt.

Wie verhält es sich aber am Helm des Münster-
thurmes? — Vor Allem ist vorauszuschicken, daß keiner
von allen Originalrissen gothischer Thürme, welche wir
besitzen, eine Schwellung der Helme ausweist. Ferner
ist daran zu erinnern, daß der Thurmhelm in Freiburg
der älteste von allen, der erste Versuch einer vollständig
durchbrochenen Thurmpyramide ist. Die Kölner Dom-
thürme sind osfenbar nach dem Freiburger Thurm ent-
worfen und bringen dessen Konstruktions- und Dekorations-
prinzip in entwickelterer Weise zur Anwendung.

Nun macht gegen die Annahme, der Erbauer des
Freiburger Thurmhelmes habe eine Schwellung desselben
beabsichtigt, vor Allem der Umstand bedenklich, daß ein
solches Raffinement entschieden dem schlichten Geiste
der Meister des 13. und 14. Jahrhunderts widerspricht,
und wenn dies dem großen Laienpublikum nicht glaub-
würdig erscheint, so darf man sich auf das Urtheil an-
erkannter Autoritäten, der Herren Dombaumeister
Schmidt von Wien und Denzinger von Franksnrt
berufen, welche diese Ansicht vertreten.

Die Konstruktion des Freiburger Helmes ist nicht
nur eine sehr einfache, sondern auch eine sehr mangelhaste;
man vergesse nicht, daß der Helm ein erster Versuch ist,
daß alle Erfahrungen noch fehlten. Eine Schwellung
hätte in konstruktiver Beziehung gar keinen Zweck gehabt,
sie hätte die ganze Aussührung des Helmes in einer
Weise erschwert, daß nach dem damaligen Standpunkte
der Bautechnik diese Ausgabe fast als eine unlösbare
erschienen wäre. Hätte man wirklich eine solche raffinirte
Gestaltung des Helmes im Auge gehabt, so würde dies
voraussetzen, daß man auch der Durchsührbarkeit des
Problemes sicher war, so würde serner folgen, daß
vie Schwellung auch mit größter Exaktheit und Sorg-
salt verwirklicht worden wäre. Der Thatbestand wider-
spricht dem; der ganze Helm ist so deformirt, so unregel-
mäßig in jeder Weise, daß es sast unmöglich ist, zu
konstatiren, was an ihm als normal, was als eine Ab-
weichung von der Norm zu betrachten sei. Nun kommt
aber ferner dazu, daß der Grundriß des Thurmes und
des Helmes kein regelmäßiges, sondern ein oblonges Acht-
eck ist, dessen Seiten in so bedeulender Weise differiren,

daß in Folge dessen die acht Kanten der Thurmpyramide
ungleich lang wurden; wollte man nun diese ungleich
langen Kanten noch schwellen, so würde jede der acht
Kurven eine andere, und somit eine an sich komplizirte
Aufgabe noch in einer Weise erschwert, daß sie unsern,
über eine Menge vorzüglichster Meßinstrumente ver-
fügenden Baumeistern der Gegenwart eine unendlich
mühsame, den Meistern des Mittelalters eine unmögliche
wäre; da müßte der Steinschnitt an jeder Ecke und
Fläche der Pyramide, in jeder Schichte wechseln, die
Maßwerke würden äußerst komplizirtp die Gerüste, das
Versetzen der Steine, das Verklammern und Verankern,
Verbleien der Fugen würde die peinlichste Sorgfalt er-
sordern, und der Gewinn in ästhetischer Beziehung ein
sehr fraglicher bleiben.

Es ist hier nicht möglich, aus alle ästhetischen Be-
denken einzugehen, welche dem durch eine Schwellung er-
hossten Gewinn sür das Aussehen des Helmes wider-
sprächen, es ist auch nicht möglich, auf alle Details der
vorläufigen Untersuchung zurückzukommen und die Sache
durch Zeichnungen zu erläntern, sowie durch Mitthei-
lung gemessener Dimensionen, welche einen schlagenden
Beweis der Unregelmäßigkeit in der Anlage des Helmes
liefern, zu erklären. Nur die Methode möge angeführt
sein, welche zu den folgenden Resultaten sührte.

Visirt man vom Münsterplatz die acht Helmrippen
ein, so bemerkt man sofort ihre beträchtlichen Defor-
mationen, die nach der Helmspitze zu sich steigern. Legt
man sich auf der Plattform des Thurmes auf den Rücken
und blickt nach der Spitze, so sieht man den Zusammen-
hang aller Deformationen sehr deutlich. Untersucht man
den Zustand der Helmrippen und Flächen von der ober-
sten Thurmgalerie, so wird die Sache noch auffälliger.
Es ergeben sich im Ganzen solgende Punkte:

1) Der Helm ist nicht nur unregelmäßig in der
Anlage, sondern nachträglich deformirt. 2) Die De-.
sormalionen aller Rippen und Flächen sind untereinander
verschieden, entsprechen aber einem Kräftespiel, welches
den Helm zu zerdrücken, zu verschieben und zu verdrehen
suchte. Die Helmslächen sind theilweise windschiefeFlächen,
welche einerseits einer Einsenkung der Rippen, anderer-
seits einer Ausweichung derselben entsprechen. 3) Von
sämmtlichen acht Helmrippen ist diejenige gen Süd-Südost
unzweifelhaft so gestaltet, daß das untere -Drittel eine
Gerade ist, die oberen zwei Drittel ebenfalls gerade sind,
aber in weniger steiler Neigung die Spitze treffen. Alle
anderen Rippen sind so unregelmäßig, daß der Schein,
als seien sie mit einer Schwellung versehen, bald her-
vorgernfen, bald wieder durch Knicke und schlangenförmige
Biegungen aller Art in Zweisel gestellt wird.

Fragen wir nun nach den Gründen aller dieser
Unregelmäßigkeiten, so liegen sie zunächst in dem un-
regelmäßigen Grundriß selbst, dann in der Ausführung.
 
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