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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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Tschudin, Hugo: Ein Rundgang durch das moderne Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.5789#0396

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Ein Rundgang durch das moderne Paris.

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perthes es verstanden haben, den koketten, spielenden
Geist der französischen Frührenaissance auf die weitge-
henden Bedürsnisse des 19. Jahrhunderts anzuwenden,
wird freilich erst das vollendete Werk zeigen. Bis jetzt
ist es kaum einige Meter aus dem Erdboden heraus.

Der Brand des Louvre und der Tuilerien war
die andere Schreckenskunde, die im Frühjahr 1871 durch
die ganze gebildete Welt zitterte. Jndeß kam der
eigentliche Louvre nahezu uubeschädigt davon und
nur die Verbiudungsgalerien, soweit sie, innerhalb des
Gitters liegend, die oour äss ll'uilorios begrenzen, trugen
ernstere Spuren des beispiellosen Vandalismus. Einer-
seits der Uuvillou äo I?Ioro, der aber schon voll-
ständig hergestellt ist, andererseits der Pavillon Marsan
mit den anstoßenden Partien. Dieser mußte nahezu
von unten aus restaurirt werden; aber auch hier bleibt
im Wesentlichen nur noch die feinere Steinmetzarbeit
zu thun.

Schlimmer ist's um die Tuilerien bestellt. Von
dem ganzen Trakt, der sich zwischen obengenannten
Pavillons hinzog, steht nur noch der Theil, den man,
von spätern Verunstaltungen abgesehen, als die Arbeit
De l'Orme's und Jean Bullant's ansehen kann. Aber
in welchem Zustande! Ohne das hohe Dach; gähnende
Fensteröffnungen, durch die man in das ausgebrannte
Innere blickt; wo die Flammen hingeleckt, blättert sich
der behauene Stein ab. Kurz, es ist noch gar nichts
geschehen, man weiß nicht einmal, ob und was geschehen
soll. Natürlich mag die Republik keine übermäßige Eile
haben, die alte Kaiserwohnung wohnlich zu machen.

Gleich ruinenhaft und unberücksichtigt ist auch die
Oour äo8 ooinpto8 am südlichen Seineufer, übrigens
ein monotoner, geistlos klassicirender Bau.

Drängendes Bedürfniß dagegen beschleunigte die
Wiederherstellung des Nalais äo äri8tios. Eben
erst hatten die vielen Anbauten, die sich mit der Zeit
als nothwendig herausgestellt, ihre Vollendung erreicht,
als sie schon wieder wenigftens theilweise ein Opfer der
Zerstörungswuth wurden. Vor Allem mußte nun Platz
für die Bureaux geschasfen werden, dann erst ging man
an die äußere Ausstattung. Aber auch im Inneru sehlt
es noch an Mancherlei. So ist z. B. die berühmte KuIIo
äos pL8-poräu8 kaum nothdürstig als Durchgangshalle
praktikabel gemacht. Einzig die westliche Fayade, gegen
die Nluoo Ouupllino, bildet ein geschlossenes Ensemble
und ein Objekt für die Kritik, kein sehr erfreuliches. Zwei
Flügel in einsachem Renaissancestil, durch korinthische
Pilaster schwächlich belebt, schließen sich an einen wenig
vorstehenden Mittelbau. Auf den hat der Architekt seine
ganze absonderliche Phantasie concentrirt. Zu drei
griechischen Portalen führt eine dreigliedrige Freitreppe
empor. Trotz ihrer Massigkeit macht sie, vermöge der
unklaren Anlage und der häufig absetzenden und ge-

brochenen Linien, einen kleinlichen Eindruck. Der wird
noch empsindlicher durch die Fa^ade, die im Prinzip ganz
richtig, aber mit allzu breiter Schwerfälligkeit den Dienst-
räumlichkeiten der Flügel gegenüber das luxuriös ange-
legte Vestibül der Oour ä'u88i868 ankündigt. Außer
den schon erwähnten Portalen breite Fenster mit stelen-
artigen Reliefs darunter; dazwischen vorgelegte Halb-
säulen mit ägyptisirenden Kapitälen, über denen sich eine
emblemengeschmückte Attika hinzieht, die dann wieder
durch Konsolen mit aufgesetzten Frauenköpfen gegliedert
wird. Kurz es ist, wie Montaigne sagt, uu pou äo
ollucxuo ollo86 ot riou äu tout, ü Ig. trunpui^o. Ein
unerquickliches Herumbetteln bei den verschiedensten Stil-
arten ohne die künstlerische Kraft, die das Alles zu einer
Einheit verschmelzen könnte.

Der Vollständigkeit, nicht des architektonischen
Jnteresses halber, seien zwei große Neubauten in un-
mittelbarer Nähe erwähnt. Eine zinshausartige Kaserne
und ein kasernenartiges Spital, das neue Hotol viou.
Beides Nutzbauten im strengsten Sinn und demgemäß
Lehandelt.

Mitten im adeligen Quartier, auf dem Boulevard
St. Germain, erhebt sich das neue Niui^töro äs 1u
Otusrro, ein großer Bau, ohne starke künstlerische
Individualität, aber voll französischer Eigenthümlichkeit.
Dazu gehört, außer der wurmartig verzierten Rustica
und dem, in das hohe Dach einschneidenden obersten
Stockwerk, der fünfeckige zierlich behandelte Uhrthurm,
der sich an das rechte Seitenrisalit anschließt. Eine
mittelalterliche Koketterie, die sonderbar genug von der
Symmetrie und dem banalen Pomp der Barockformen
des Hauptbaues absticht.

Hierher gehört endlich noch die Lidliotlloipuo
NRtiouulo mit ihrer ausgedehnten, sich längs der U-uo
Itiollolisu hinziehenden Fa^ade. Ueber dem einfach ge-
haltenen Unterbau erhebt sich das Hauptstockwerk mit
hohen eleganten Fenstern zwischen Halbsäulen korinthischer
Ordnung. Das antike Gebälk trägt eine Attila, die
durch dorische Pilaster und rechteckige bunte Stein-
platten einen ansprechenden Schmuck erhält. Das ist
eine durchdachte, solide Leistung mit tresslichen Details
und von gutem, ernstem Eindruck, nur zu monoton
für die lange Fläche, die durch drei schwach markirte
Pavillons keineswegs genügend unterbrochen wird.

Ein Ueberblick über die Theaterbauten bietet
wenig des Bemerkenswerthen, doch hängen sie enge mit
den Ereignissen des Iahres 71 zusammen, mit Aus-
nahme von Garnier's Prachtwerk, dessen endliche Voll-
endung in diese Epoche fällt, und das übrigens schon
eines Weiten und Breiten kritisirt wurde.

Die beiden Theater der Uluoo äu Ollütolot, von
denen indeß nur das Tlloütro lli^tori^uo erheblichen
Schaden erlitten, sind in früherer Gestalt hergestellt.
 
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