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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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Tschudin, Hugo: Ein Rundgang durch das moderne Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.5789#0398

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783

Ein Rundgang durch das moderne Paris.

784

Ueber einem Steinbassin erhebt sich aus genienumspieltem
Sockel ein kleineres Bassin von Bronze, aus dem wieder
eine statuenbekrönte Säule emporstrebt. Das Ganze baut
sich einfach und schlank ans und ist geschmackvoll
ornamentirt.

Schwer und ernst erscheint dagegen der monumen-
tale Brunnen auf dem weiten Platz des Oliutsnu
ä'La.n. Der plastische Schmuck beschränkt sich auf
acht sitzende, gut stilisirte Löwen, die paarweise auf Sockeln
um den inneren Rand des großen Bassins gruppirt
sind. Aus dem kleinen Becken dahinter steigt, unorganisch
genug, aus tischbeinartigen Stützen ein drittes auf, das
seinerseits von einem kelchsörmig emporwachsenden Auf-
satz überragt wird. Leider war die Fontaine noch nicht
in Aktivität und ein monumentaler Brunnen ohne Wasser
ist wie eine Theaterdekoration bei Tage. Ein entschiedenes
Urtheil läßt sich darüber nicht abgeben. Besonders hier,
wo so wenig selbständiger Schmuck vorhanden und alles
in lebendiger Verbindung mit dem sprudelnden Element
gedacht erscheint. Das mag denn Reiz in die kahle
Form bringen unv zugleich einige Starrheiten verdecken.

Pomphast und mit dem ganzen scenischen Apparat
sabelhasten Seegethiers versehen ist die große Fontaine
der Ä.v6nus cke Duxemdour^. Jn der Ver-
längerung des berühmten Gartens gelegen, genießt sie
alle Vortheile einer heitern grünenden Umgebung, ohne
sich ihrer jedoch durchaus würdig zu zeigen. Schon die
eigenthümlich nnregelmäßige, durch nichts motivirte Form
des großen Bassins bietet einen unrnhigen, wenig monu-
mentalen Anblick. Der wird noch um ein Bedeutendes
vermehrt durch den statuarischen Schmuck, auf den hier
alles Gewicht gelegt ist. Gleich das zweite Bassin trägt
in seinen vier muschelsörmigen Ausbauschungen ebenso
viele Paare sich hoch aufbäumender Seepserde. Sie sind
lebhaft in der Bewegung, nur zu plump und vor Allem
zu groß für den beschränkten Ranm. Kaum daß der
Fischschwanz, in den ihr Leib ausläust, zu einem Drittel
vom Wasser benetzt wird. Ueberdies siud noch Del-
phine, deren Strahl sich mit dem der Schildkröten des
unteren Beckens kreuzt, zwischen sie hineingezwängt.
Künstlerisch und materiell gipfelt das ganze Werk in der
allegorischen Gruppe Carpeaup's. Ein Himmelsglobus,
um den sich der reliefgeschmückte Thierkreis zieht, wird
von den vier Welttheilen — natürlich in weiblicher
Repräsentation — getragen. Eigentlich gedreht, denn
das Moment des Stützens verschwindet und verschwimmt
völlig in der spielenden Beweglichkeit, mit der die Frauen
in die Speichen des lustigen Apparates greifen. Diese
sonderbare Jdee, die wir ohne Zweifel der Nähe der
Sternwarte verdanken, entsprach ganz dem Geschmacke
Carpeaux's. Bewegung und nur Bewegung war sein
Ziel. Aber nicht die einfache, große nnd immer wahre,
sondern die kleine, hastige, individuelle unseres nervösen

Zeitalters. Daß sich die lebendige Natur im Geiste des
Künstlers erst zu idealer Ruhe abklären muß, ehe sie
wieder hinaustritt als plastisches Kunstwerk, wollte er
nicht anerkennen. Ändeß hat er Sinn für glückliche
Gesammtanordnung. Das zeigt sich hier und mehr noch
in seiner berühmtenGruppe, „Der Tanz", vor der großen
Oper. Aber die Einzelsiguren leiden an allen Mängeln
seiner realistischen Auffassung: unschöne Körper, über-
trieben nnd gemein in der Haltung. Dazu kommen hier
noch wenig anregende Modelle. Außer der Europäerin
eine Negerin, eine kahl geschorene Chinesin und eine
Jndianerin mit Federkrone. Man erzählt, daß er
anfänglich sogar darauf bestanden habe, in der Patini-
rung die verschiedenen Racensarben gleichsam malerisch
zur Geltung zu bringen.

Nicht einmal diese, immerhin talentvollen Ver-
irrungen finden sich an der Reiterstatue Jeanne
d'Arc's. Es ist schon sprichwörtlich, wie wenig Glück
die Franzosen mit der künstlerischen Verherrlichung ihrer
Nationalheldin haben. Und das geschmacklose Werk
Fremiet's hat wol sein redlich Theil beigetragen zur
Begründung dieses Ausspruchs. Auf einsachem Postament
ein langsam ausschreitender grobknochiger Gaul mit auf-
geknüpftem Schweis. Jm hohen Bocksattel sitzt mit gerad-
ausgestreckten Beinen ein halb erwachsenes Mädchen;
mit der Rechten erhebt sie die langgestielte Oriflamme.
Der unschöne Kopf, von dem ein Lorbeerkranz seltsam
absteht, hat einen verbissenen trotzigen Ausdruck. Steif
und hart in den Linien, ohne Schwung und Begcisterung,
macht die Statue einen philisterhasten, unerfreulichen
Eindruck. Dabei wirkt sie nicht einmal durch ihre Masse.
Weit unter Lebensgröße ist sie viel zn klein, selbst sür
die kleine Oluos cks Uävoli. Es sieht aus, als hätte
man sie aus dem Schausenster von Barbedienne geholt.

Schließlich seien unter der großen Zahl von Grab-
monumenten zwei namhaft gemacht. Nur zwei —
und selbst diese verdanken ihre Bedeutung beinahe einzig
der Mittelmäßigkeit der übrigen. Das scheint merk-
würdig bei dem Ruf der Pariser Friedhöfe. Aber was
sie so anziehend macht, das ist die Poesie ihrer baum-
reichen Anlage, wohl auch der wehmüthige Reiz all der
weltberühmten Namen, die sich hier so nahe gerückt. Nur
um künstlerischer Erbauung willen gehe man nicht hin.
Ein haltloses Schwanken zwischen unverdaulichen Stil-
reminiscenzen nnd obscnrer Formneuerung, selten etwas
künstlerisch Vollendetes gewahrt man. Wie gesagt, kein
Muster ist das Grabmal, das dem Architektcn und
berühmten Restaurator des Schlosses Blois, Felix
Dnban, von seinen Schülern aus dem Oiiritztioro ckn
8nä errichtet wurde. Doch ist's innerhalb bescheidener
Grenzen eine wohl durchdachte originelle Leistung von
nobler Auffassung. Während die Plastik hier nur mit
der Reliesbüste des Verstorbenen vertreten ist, fällt ihr
 
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