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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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Redtenbacher, Rudolf: Nachträgliches über den Thurmhelm am Freiburger Münster
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https://doi.org/10.11588/diglit.5789#0414

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815

Nachträgliches über den Thurmhelm am Freiburger Mimster.

816

Werden diese fest mit einander verbunden, so wird der
Seitenschnb überwunden. Je steiler die Stangen stehen,
desto schwächer wird der Horizontalschub, der mit dem
zunehnienden Stumpferwerden der Pyramide wächst.
Würde man die Stangen unverbunden an ihren unteren
Enden lassen, so würde ihr Ausgleiten verhindert werden
können, wenn der Reibungswiderstand ihrer Fußpunkte
gegen die Unterlage, aus welcher sie stehen, die Größe
des Seitenschubes überträfe. Dieser Reibungswiderstand
wächst mit der Rauhigkeit der sich berührenden Flächen,
also der Unterlage und der Enden der Stangen, hängt !
somit sowohl von dem Material der Körper ab, welche
wir in Betrachtung ziehen, als von der künstlich her-
gestellten oder natürlichenBeschafsenheit ihrer Berührungs-
flächen. Wie leicht einzusehen ist, wächst der Reibungs-
widerstand ferner mit der Belastung; je länger die
Stangen, ;e schwerer das Material, aus welchem sie
bestehen, desto größer der Reibungswiverstand an den
Auflagern, desto wemger also ist ein Ausweichen zu
befürchten.

Das sind dieKonstruktionsprinzipien unseresThurm-
helmes, V. h. die acht Rippen müssen, wenn die Kon-
struktion eine rationelle ist, auch ohne die Horizontal-
verbindungen, auch ohne die verspannenden Maaßwerke
standfähig sein; und so sehen wir, gleichsam als ein
Modell zum Freiburger Thurmhelm, oder als eine i
Jllustration zu dem Gesagten, auf der vorletzten Eisen-
bahnstation vor Freiburg, in Langendenzlingen, einen
Kirchthurm aus spätgothischer Zeit, dessen schlanke Spitze
blos aus acht, an ihren Enden verbnndenen und oben
belasteten Steinrippen besteht. Wäre der Thurmhelm
in Freiburg ganz regelmäßig in seiner Anlage, so könnte
man die Maaßwerke vollständig herausschneiden, ohne
seinen Einsturz befürchten zu müssen. Nun ist ofsen-
bar die höchste Gefahr für ihn vorhanden, wenn vie
Fußpunkte seiner acht Rippen entweder sich in vertikaler
Richtung senken oder in horizontaler Richtung ausweichen,
ferner, wenn eine Drehung der Konstruktion um ihre
Vertikalape stattfindet. Damit die Fußpunkte sich uicht
senken können, muß der Pseilerguerschnitt unter ihnen
groß genug sein, um den achten Theil des Gesammt-
gewichts der Pyramide tragen zu können, ohne daß sein
Material unter der Last zerdrückt wird. Da die hes-
tigen Sturmwinde den Helm umzuwersen, also eine
Drehung um eine seiner Fußkanten oder Ecken hervor-
zurufen suchen, so kann, wenn auch dieses Ereigniß,
Dank der großen Gesammtlast, nicht eintreten wird, eine
theilweise Entlastung derjenigen Pseiler erfolgen, auf
deren Seite der Sturmwind angreift, und gleichzeitig
eine Ueberlästung der Entgegengesetzten, d. h. mit anderen
Worten, jeder Pseiler muß für den äußersten Fall so
stark sein, daß er sogar die Last der ganzen Pyramide
zu trageu im Stande wäre, ohne zerdrückt zu werden.

Gegen das Ausweichen des Helmes an seinen Fuß-
punkten kann man sich auf verschiedene Weise schützen.
Wäre die Unterlage eine festgegrünvete, so würde es ge-
nügen, die acht Rippen in ebenso viele Vertiefungen in
derselben einzulassen, um ihr Ausweichen von derReibung
unabhängig zu machen. Oder man könnte durch acht
radial gestellte starke Eisenanker die Fußpunkte der Rippen
von einem Mittelpunkte aus zusammenhalten, oder endlich
dieselben unter sich durch einen festen Ring verbinden.

Beim Freiburger Thurmhelm ist nuu in der That,
nach Aussage des alten Bauparlir Obermeier, welcher
im Anfang der 60er Jahre den ganzen Helm untersuchte
und an einzelnen Stellen seine Querverbindungen aus-
meißelte, in jeder Maaßwerksschichte ein schwerer, acht-
seitiger Ring von Eisen eingelegt und mit dem Stein-
werk fest verbleit; die gleiche Konstruklion wurde bei
der Restauration der Spitze des Straßburger Münsters
nachgewiesen, welche man nach der Belagerung 1870
ausführte. Diese Eisenverankerungen mußten bei dem
Ereigniß 1561, ebenso wie bei jedem Gewitter, welches
seither oder früher den Helm traf, in schädlichster Weise
den Bestand desselben stören, da der Blitz in ihnen einen
geeigneten Angriffspunkt findet, um die ganze Pyramide
in ihrem Kern zu erschüttern.

Man wird bei massiven oder durchbrocheuen Stein-
helmen den Uebelstaud eines solchen Verankerungssystems
vermeiden können, wenn man anstatt seiner ausschtießtich
eine Steinverankerung einführt, d. h. durch starke Stein-
dübel von Granit, durch Zusammenfügen der Schichten
auf Feder und Nuth die Konstruktion verstärkt, ohne
größere Metallmassen bei ihr zur Verwendung zu bringen.

Gegen eine Verdrehuug des Helmes schützen die
verspannenden Maaßwerke, welche stets so angeordnet
sind, daß sie die steineren Querbänder des Helmes in
der Mitte unterstützen. Wären die Maaßwerke nicht aus
einzelnen Stücken zusammengefügt, sondern, wie das bei
kleineren Thurmhelmen möglich ist, bestände jedes der
acht Felder einer ganzen Schichte, eines Stockwerks der
Pyramide aus einer zwischen die Rippen eingefügten
Steinplatte, so könnte eine Einsenkung der Flächen des
Helmes nicht stattfinden. Um eine solche zu vermeiden,
hat man in unserem Falle alle Steine der Maaßwerke
mit eingebleiten Eisenklammern verbunden. Auch diese
wirken bei einem Blitzschlag, der die Pyramide trifft,
schädlich und hätten vermieden werden können, hätte man
die Stoßsugen der Steine nicht senkrecht auf die Helm-
flächen gerichtet, sondern radial nach der Achse der
Pyramide angeordnet, so daß jeder Steinring zwischen
den horizontalen Lagerfugen vollständig verspannt und
der Helm in Wirklichkeit wie ein durchbrochener hohler
Kegel konstruirt worden wäre. Jn der That haben die
Verklammerungen die Helmseiten keüRswegs vor Ein-
senkungen geschützt.
 
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