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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 16.1881

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Rosenberg, Adolf: Lessingausstellung in der Berliner Nationalgalerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.5793#0036

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Lsssingausstellung in der Berliner Nationalgalerie.

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Jahren die Hauptfigur noch einmal wiederholt. Das
Bild befindet sich im Berliner Privatbesitz nnd ist
unter seinen Figurenbildern jedenfalls die malerisch
vollendetste Leistung. Es ist merkwllrdig und bezeich-
nend fllr die gewissermaßen mehr äußerliche Stellnng,
welche er der Historienmalerei gegenllber einnahm, wie
ost er seinen malerischen Vortrag gewechselt hat.
Während er mit seinen Landschaften, zu welchen ihn
innerer Berus hingezogen hatte, von vornherein ziel-
bewußt auftrat, hat er als Historienmaler eigentlich
sein Leben lang epperimentirt. Es ist bekannt, daß
Schadow den jungen Maler, der mit Landschaften
glücklich und vielverheißend debütirt hatte, zur Figuren-
malerei, welche damals für das höchste Ziel künstle-
rischen Strebens galt, animirte, daß nach den ersten
Versuchen bange Zweifel in die Seele des Künstlers
schlichen, daß aber am Ende Fleiß und Energie den
Sieg über die widerstrebende Natur davontrugen. Als
Historienmaler gab sich Lessing den jeweiligen Ein-
flüssen, welche in Düsseldorf herrschten, willig hin.
Als Ritter und Räuber, Prinzen und Prinzessinnen
die Phantasie der Maler ausschließlich erfüllten, malte
er Undinen und Leonoren, den „Ränber und sein Kind",
die „Buße des Räubers", abenteuerliche Entführungen,
kurz alles, was nach Romantik aussah. Jn seinem
Nachlaß haben sich noch zahlreiche Entwürfe roman-
tischen Jnhalts vorgefunden, welche niemals zur Aus-
führung gclangt sind, Vermutlich weil der Künstler
schon frühzeitig durch die mittelalterlichen Glaubens-
kämpfe und durch den Streit zwischen Staat und
Kirche, welchen die Gegenwart eben zu erneuern be-
gann, mächtig angezogen wurde. Es war dem Künstler
beschieden, durch eine lange Reihe von Gemälden, deren
Jnhalt ihm Herzenssache war, erfolgreich in diesen
Streit einzugreifen und zu der Erhitzung der Gemüter
beizutragen. Gleichwohl darf man ihn nicht der Ten-
denzmalerei zu Gunsten irgendwelcher Partei beschul-
digen. Er blieb stets innerhalb der Grenzen des ernsten,
historischen Stils. Er ist niemals auch nur einen
Finger breit von den historischen Thatsachen abge-
wichen. Ebensowenig wie es ihm eingefallen ist, mit
seinen Hussitenbildern für die Socialdemokraten, welche
sich um die fünfziger Jahre herum zu regen aufingen
und Lessing kühnlich als den ihrigen in Anspruch
nahmen, Propaganda zu machen, ebensowenig hat er
mit ihnen, mit seinen Reformations- und „Kultur-
kampf"-Bildern einen Angriff gegen die katholische
Religion beabsichtigt. Nur gegen pfäsfische Unduld-
samkeit und gegen die Unterdrücker der Menschheit trat
er auf, indem er tief erschütternde, tragische Bilder
schwersten Unrechts aus der Vergangenheit zur War-
nung sür die Gegenwart entrollte, indem er der
eaolssin militans gleichsam ihr Sündenregister vorhielt.

Man muß sich diese Absicht des KUnftlers bei
seiner Beurteilung als Historienmaler gegenwärtkg halten
und vor allen Dingen die Zeitströmung, in welcher
die am tiefsten wirkenden seiner Geschichtsbilder ent-
standen und von welcher sie gleichsam emporgetragen
wurden. Wenn wir die gefeiertsten seiner Bilder, die
„Hussitenpredigt", „Huß vor dem Konzil", „Huß vor
dem Scheiterhausen", heute mit kühlern Blicken auf
ihren rein künstlerischen Gehalt Prüfen, gelangen
wir schwerlich zu dem Enthusiasmus, den ihnen eine
leidenschaftlich erregte Zeit entgegenbrachte. Lessings
ganze künstlerische Richtung war mehr eine lyrisch-
epische als eine dramatische. Was die Gegner ihm zu
der Zeit, als seine Bilder die Runde durch Deutsch-
lands Städte machten, vorwerfen zu können glaubten,
das Ubermaß der Leidenschaft, gerade das vermissen
wir heute, wo wir zu der Überzeugung gelangt sind,
daß der Kirchenstreit nicht durch Gemälde, sondern nur
durch Gesetzesparagraphen geschlichtet werden kann.
Die zahlreichen Entwürfe und Studien bestätigen uns,
daß Lessing bei seinen Schöpfungen nicht dem Jmpuls
eines Augenblicks gehorchte, nicht der Eingebung einer
glücklichen Stunde, sondern, daß sich jede Komposition
erst langsam aus einer Reihe von Entwürfen heraus-
schälte und daß der letzte dieser Reihe keineswegs immer
der beste war, der Künstler vielmehr gelegentlich
auch zu einem frühern wieder zurückgriff. Jede Figur
war in fleißig ausgeführter Studie vollkommen sertig,
bevor er sie auf die Leinwand übertrug, und war die
Aktion in der Vorstudie einmal festgestellt, so hat er
sie auf der Leinwand nur selten wieder geändert. Des-
halb sind seine Kompositionen auch immer aufs seinste
abgewogen. Selbst auf so figurenreichen Bitdern wie
„Huß vor dem Scheiterhaufen" hat man nirgends eine
Unklarheit in der Anordnung der Figuren, eine Schä-
digung der Hauptpersonen durch die sich vordrängenden
Bolksmassen zu tadeln. Aber aus diesem mächtigen
Bilde spricht der Genius des Meisters bei weitem nicht
so unmittelbar zu uns wie aus seinen Landschaften,
welche den Ruhm des Meisters über Ort und Zeit
hinaustragen werden in alle Zeiten.

Er hat es selbst erzählt, wie frühzeitig der Sinn
für die Natur, für das geheimnisvolle Walten der
innern Erdkräfte in ihm erweckt worden ist, wie er
große Fußreisen durch das schöne Schlesien machte und
namentlich unter der Leitung seines Oheims gcologische
Studien trieb, die er nachmals auf seinen Gemälden
mit außerordentlichem Erfolge verwerten konnte. Als
Bauakademiker unternahm er von Berlin Ausflüge nack
den Rüdersdorfer Kalkbergen, wo er sich weiter in das
Studium der Felsformationen versenkte. Daneben
scheint der Jüngling in Berlin eifrig die alten nieder-
ländischen Landschaftsmaler studirt zu haben. Wenig-
 
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