Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 16.1881

DOI Artikel:
Schulte vom Brühl, Walther: Die bildenden Kunst in Weimar, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5793#0038

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
71

Die bildende Kunst in Weimar.

72

Gemäldegalerie umfaßt noch nicht 200 Nummern und
100 größere Kartons und Zeichnungen. Besonders
wertvolles und siir das Studium geeignetes ist wenig
darunter, und wenn Raffael eine Ahnung vvn der
rnehr als schrecklichen Schlesingerschen Kopie seiner
Kreuztragung hätte, wclche dort — Prangt, so wiirde
er sich im Grabe herumdrehen. Das Beste ist, von
einigen gut vertretenen alten Meistern abgesehen, die
Prellergalerie, die große Anzahl Carstensscher Kartons
und die reichhaltige Kupferstichsammlung.

Es würe sehr günstig, wenn das Museum mehr
als Ausstellungsort auswärtiger Künstler benutzt würde
und vielleicht auch gar nicht undankbar. Das Mu-
seum vergütet natürlich einmalige Fracht und besorgt
die Weiterbeförderung des Werkes. Jmmerhin ist
Weimar, wenigstens während des Sommers, ein von
Fremden vielbesuchter Ort, und Gelegenheit zum Bilder-
verkauf würde sich somit darbieten. Es ist ja auch
mit weiter keinen Schwierigkeiten verbunden, die Kunst-
werke aus der Reise nach Leipzig, Dresden, Berlin in
Weimar Station machen zu lassen.

Ebensowenig, wie im Museum, hat man Gelegen-
heit, imAusstellungsraumederKunstschuleauswärtige
Kunstprodukte zu sehen, welche anregend auf die Schüler
wirken kvnnten. Allerdings versteigt sich znweilen ein
vereinzeltes Werk dorthin, wie z. B. die Camphausen-
sche Eskortirung Napoleons durch Bismarck, ein Hei-
merdingersches Stillleben u. s. w. (von dem Schund,
welcher bisweilen von höchst obskuren Größen irgend
eines Thüringer Waldortes zum Entsetzen der hiesigen
Künstler eingesandt und znm Skandal der Menschheit
zuvvrkommend ausgestellt wird, abgesehen), aber diese
vereinzelten, wenn auch vft tüchtigen Leistungen, können
noch kein Bild von der Kunstbewegnng Deutschlands
geben.

Alles das, was dem Kunstjünger an grvßern
Kunstanstalten reichlich geboten wird, fehlt in Weimar
mehr oder weniger. Welche Auswahl an gnten Mo-
dellen ist zum Beispiel in München vvrhanden! Heute
bietet sich dvrt eins für eine schvne Hand, mvrgen ein
anderes für einen schönen Fuß, ein drittes für ein edles
oder charakteristisches Gesicht vder sonst mit einem
Borzug, und man hat schon dnrch die Vergleiche und
die Mannigfaltigkeit des Vorhandenen Gelegenheit
genug, das Schöne herauszufinden und zu erkennen.
Jn Weimar existiren nur tvenige ständige Mo-
delle, und diese sind fast alle weder besvnders charak-
teristisch noch schön. Sehr vereinzelt lassen sich wüh-
rend des Svmmers vder Frühjahrs italienische Mo-
delle, mitunter auch Pseudo-Jtaliener für einige Wochen
blicken, aber gewöhnlich sind es solche, welche in größern
Kunststädten kein Glück hatten. Dies ist denn aber
auch das Höchste. Der Schüler hat dieselben Mo-

delle, weiß Gott wie oft, in den verschiedensten Stel-
lnngen abkonterfeit. Das bewirkt Einseitigkeit und
kommt immerhin in Betracht, wenn es auch nicht das
Wesentlichste ist.

Ferner herrscht Mangel an Stoffen, Kostümen
u. Lergl. Die Theatergarderobe des Hoftheaters kann
auch sehr wenig als Aushülfe dienen, da diese sich
neuerdings durch exorbitante Unechtheit und Geschmack-
losigkeit auszeichnet. Die geschilderten Schulverhält-
nisse beweisen zur Genüge, daß Weimar nicht minder
stark an den Krebsschäden laborirt, woran fast alle
kleinern Kunstanstalten und Knnststädte zu leiden haben.

Um dem abzuhelfen, dazu gehörte vor allen
Dingen ein bedeutendes Kapital und eine lebhafte
Unterstützung von Stadt und Einwohnerschaft in mate-
rieller und geistiger Hinsicht. Beides mangelt g änz-
lich, ja, die Stadt zahlt nicht allein keine Unterstützung,
sie besteuert sogar verschiedentlich die Künstler, welche
hier Studirens halber leben und ohne jeglichen weitern
Vorteil, als sich auf dem holperigen Straßenpflaster
die Stiefelabsätze schief zu laufen, zum Nutzen der
Einwohnerschaft ihr Geld verzehren. Dies ist ein sehr
trauriges Zeichen für den Geist, welcher in dieser
Musenstadt gottseligen Angedenkens unter den Be-
wvhnern herrscht. Die ganze weimarische Kunst ist
lediglich und allein ein Pflegekind des kunstsinnigen
Großherzogs Karl Alexander. Er erhält die Knnst-
schule vollständig aus eignen Mitteln (das Schulgeld
kann kaum in Betracht kommen), und wenn die Kunst
in Weimar nicht so gedeiht, wie es wllnschenswert
wäre, so ist dies schvn aus Rücksicht sür die Liebe, nnt
welcher sie der Großherzog, so viel ihm irgend mvglich,
pflegt, lebhaft zu bedauern.

Sehen wir vvn den Schulverhältnissen ab, sv
bietet die Kunstthätigkeit außerhalb der Anstalt ein
ungleich erfreulicheres Bild, und Weimar hat noch
immerhin Künstler vvn gutem Rnf aufznweisen. Sind
die bereits genannten Prvfessoren, die beiden Nieder-
länder Struys und Linnig, anch als Lehrkräfte nicht
allzn bedentend, sv sind sie dvch als hervorragende,
anregeude Künstler für Weimar von nicht zu unter-
schätzendem Wert. Dem Letztgenannten wird vft
Manierismus vvrgeworfen, und wenn dies auch nicht
vhne Begründnng geschieht, sv erzielt er doch in seinen
Bildern dnrch die Feinheit seiner graubraunen Töne
oft eine angenehme, harmonische Wirkung. Die Mv-
tive des Prvf. Struys, meistens der Nachtseite des
Lebens entnvmmen und in verstoßenen, gefallenen
Töchtern, verlassenen Bräuten, toten Geliebten u. s. w.
bestehend, sind mit einer meisterhaften Technik gemalt
und interessiren den Beschauer in ihrer packenden, er-
greifenden und realistischen Darstellung der gewöhnlich
lebensgrvßen Figuren. Mögen die Motive auch vft
 
Annotationen