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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 16.1881

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Rückblick auf die Innsbrucker Kunstausstellung, [1]
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Rückblick auf die Jnnsbrucker Kunstausstellung.

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haltigkeit einzelner Abteilungen vermochte nicht die
Lücken zu verdecken, welche das historische Gewebe der
bildenden Kunst schon bei den Anfangsfäden empfindlich
unterbrochen. Oder hätten fiinf Kruzifixe, deren ältestes
der Spätgotik — um 1500 — angehört und das bis
zur zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts ohne
Nachfokge blieb, genügende Jllustrationen zur Geschichte
dieses Zweiges kirchlicher Kunst zu liefern vermocht,
eine freie Kopie der Wechselburger Gruppe die An-
schauung der charakteristischen Originale ersetzen können,
welche die Stiftskirche zu Jnnichen und das Spital
zu Sonnenburg aus der romanischen, die Schloßkapelle
von Tirol aus der Ubergangsperiode bewahren? Bon
dem Reichtum des Landes an Flügelaltären und goti-
schen Holzschnitzsiguren waren wenige Bruchstücke zu
schauen, unter denen sich kein einziges Gebilde von
Michael Pachers Hand befand. Weder die Reliefs der
heiligen drei Könige und der sterbenden Gottesmutter
aus dem Stifte Wilten, noch die ungleichartig ausge-
ftthrten Tafeln des Ursulinenklosters zu Bruneck find
aus der Schule dieses Meisters hervorgegangen, und die
Predellaflügel aus derFanziskanerkirche zu Bozen blieben
der Beachtung fast entzogen, indem die steifen Figuren
Jakobus und Johannes d. T. kaum noch den Zusam-
menhang mit der lebensvollen Mittelgruppe und dem
Reitertrupp der Könige verrieten, in deren pomp-
haftem Zuge die Phantasie des alten Schnitzers der
märchenhaften Uberlieferung phantastische Formen lieh.
Wer ohne Kunde von den zahlreichen Schätzen, welche
tirolische Kirchen und Klöster, das Ferdinandeum und
einzelne Privatsammlungen zieren, den untern Korridor
der Universität betrat, der mußte, von der Armut der
II. Abteilung an bedeutsamen Plastischen Werken alter
Zeit betroffen, wohl eher die Verkümmerung als die
gedeihliche Entfaltung der Skulptur in dem Alpenlande
vermuten und für den stufenweisen Fortschritt von den
romanischen Formen zu den Erzeugnissen des gotischen
Stils — für den Auf- und Niedergcmg der Kunst vor
ihrer Wiedererneuerung — die Belege vermissen.

Wenn in der Bildergalerie die Lllcken minder auf-
fällig hervortraten, so konnte doch die Schaustellung
im ersten Saal kaum mit der kleinen Sammlung von
Taselgemälden sich messen, welche Domherr Gotthard
zu München aus wenigen Orten des Eisackthals zu-
sammengelesen und dem Museuni zu Freising als kost-
bares Geschenk überwiesen hat. Da Wandmälereien
nicht als Ausstellungsgegenstände figuriren können, so
würde die Beschaffung von Nachbildungen dieser Kunst-
denkmäler zum Zweck ihrer Gegenüberstellung eine
lohnende Aufgabe des Kunstvereins gebildet haben.
Lohnend durch den Einblick in das reichbebaute Feld
einer Kunstthätigkeit, welche auch in kulturhistorischer
Beziehung Beachtung verdient, dankenswert als Unter-

stützung jener Bestrebungen, welche die Centralkom-
mission für Kunst- und historische Denkmäle bei dem
Umfange ihres Wirkungskreises und der Beschränktheit
ihrer Mittel allein nicht auszuführen vermag. Welche
lehrreichen Aufschlüsse würden farbige, in großem Format
ausgeführte Kopien der Wandgemälde in der Jakobs-
kirche zu Tramin nnd der Schloßkapelle zu Hocheppan
über Auffassung und Darstellungsweise der Künstler
des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts verheißen,
und welchen Prachtvollen Anblick würden Abbildun-
gen der vorzüglichsten Farbenschöpfungen aus dem
Kreuzgange zu Brixen, den Schloßkapellen zu Bruck,
Brughiero, Castelfondo, den Kirchen zu Katharina-
Aicha, Sta. Helena ob dem Eggenthal, St. Stephan
zu Montani, St. Jakob in Gröden, Sta. Maria in
Obermauern und dem verfallenen Wallfahrtskirchlein
St. Sylvester, das auf dem Joch des unbewohnten
Winnebachthals noch jetzt den Zufluchtsort der Hirten
bildet, sowie der Stöckelmalereien zu Welsberg, Laien
und Steinach in Verbindung mit jenen schönen Blättern
ergeben, welche Adolf Becker von den Wandgemälden
des Rungelstein, Josef Waßler von den Freskeu des
Kelleramtes zu Meran in seltener Vollendung ange-
fertigt haben!

Jahr um Jahr mindern sich die Überreste ver-
gangener Zeit oder verlieren nnter frischer Tünche ihr
verblichenes Gewand; Jahr um Jahr wächst die
Schwierigkeit, aus Originalen die Eigenart mittelalter-
licher Meister zu bestimmen, und die Frage nach natur-
getreuen Abbildungen unersetzlicher Kunstdenkmäler er-
hält für die historische Untersuchung immer größere
Wichtigkeit. Höher als das Volk die unscheinbaren
Gnadenbilder hält, zu denen es in Not und Trübsal
Pilgerfahrten unternimmt, sollte die Künstlerfchaft des
Vaterlandes das Erbe ihrer Ahnen schätzen und desien
würdige Erhaltung wie die Wiedergabe der unver-
fälschten Formen aus Achtung für den Genius der
Vorzeit als erste Satzung ihres Bundes aufstellen.
Gilt es doch nicht bloß der Forschung die Wege zu
bahnen, sondern auch das lebende Geschlecht mit Liebe
für die Altertümer zu erfüllen, deren unversehrte Be-
Wahrung als Ehrensache des Landes, als heilige Pflicht
jedes Bürgers angesehen werden müßte.

Wie klein indes auch der Flächenraum war, den
die Doppelreihe altdeutscher Bilder bedeckte: schon in
den wenigen Stücken aus Wilten ließen sich Kunstauf-
sassung und Technik der Meister des 15. Äahrhunderts
erkennen, zunächst in der Kreuzigung Christi*), Uber
deren figurenreicher Gruppe das Gold des Hinter-
grundes die ideale Anschaunng des Künstlers wider-
spiegelt. Wie die steife Fignr des Heilandes mit slacher

*) Nr. 2 des Katalogs.
 
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