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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 16.1881

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Rosenberg, Adolf: Ausstellung in der Berliner Nationalgalerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.5793#0276

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Ausstellung in der Berliner Nationalgalerie.

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Adolphe Appian an. Der letztere war ein Schüler
von Cvrot und Daubignp, die cbenfallS die Radir-
nadel mit großem Geschick fiihrten. Bvn Daubigny
existirt eine Serie von vierundzwanzig Landschafts-
studien, welche jedoch an Kraft der Stimmung und
Feinheit des Tons hinter seincn gemalten Landschaften
erheblich znriickstehen. Jm Jahre l863 fand die Na-
dirung in Frankreich einen festen Halt durch die vvu
dem Verleger und Kupserdrncker Alfred Cabart be-
gründete KvLiöts äos ngnLt'ortistss, an deren Spitze
eine Zeit lang der geistvolle, in der Landschaft, im
Genre, im Porträt und im Architekturstück gleich em-
pfindnngsvolle nnd geschickte Alphvnse Legrvs, der später
nach London übersiedelte, und der humorvolle Tier-
maler Brac guemond standen. Neuerdings ist dann
die Radirung durch die Schule von Fontainebleau, ins-
besondere durch I.F. Mil let und Th. Rousseau, und
durch die Jmpressionisten noch mehr in Flor gekommen,
und heute findet man kaum ein Mitglied der jüngeren
Schule, welches nicht ab und zu die Radirnadel er-
griffe, um einen flüchtigen GeistcSblitz zu fixiren. Neben
den Radirern von Profession, wie Jacguemart und
Flameng, stehen Detaille, Neuville, Berne-Bellecour,
Fayen-Perin, Protais, Carolus Duran, Roybet, Bastien-
Lepage, Vollon, Gvupil, der Jtaliener de Nittis, der,
in Paris lebend, vvllständig zur franzvsischen Schule
gehvrt, Jean Paul Laurens, A. Moreau, L. Lelvir,
B. Constant und Dupray, also sast die ganze Kohortc
jener Maler, welche gegenwärtig den Kern der fran-
zösischen Schule repräsentiren. De Nittis, dessen Spezia-
litat in der E>lmalerei das Pariser Straßenbild mit
lebhaft bewegter Staffage ist, ist auf unserer Ausstel-
lung durch ein paar Frauenköpfe von bestrickendcm
Reiz vertreten. Was de Nittis im Ölbilde, bietet
Felix Buhot, ein Landschaftsnialer, der nach eigenen
und fremden Bildern radirt, in zwei Blättern von un-
beschreiblicher Feinheit und Wahrheit des Tons, welche
eine Partie vor dem Palais der Champs-Elysoes unter
strvmenden Regen und den Quai de l'Hotel Dieu an
einem nebeligen Wintermorgen darstellen. Zwei Spezia-
litäten unterden französischen Radirern sind Chifflart,
der iu seinen „Jmprovisationen auf Kupfer^ eine
abenteuerliche Phantastik entfaltet, und der Zeichner
PaulRenouard, dessen Kunstwelt neuerdingsfastaus-
schließlich die Bühne geworden ist, nachdem er sich
früher als hervorragender Tierzeichner bewährt. Zwei
Blätter — der Geist von Hamlets Vater, im Begriff
aus der Versenkung emporzusteigen, und eine Choristen-
garderobe svom Katalog fälschlich „Jn der Rüstkammer"
betitelt) — zeigen, daß ihm auch der Humor, der sonst
unter den französischen Malern ziemlich sparsam ver-
treteu ist, nicht sehlt. Endlich ist noch Meisso nier zu
erwähnen, dessen Radirnadel an Feinheit seinen Pinsel

kamn übertrifft, dabei aber jene Harmonie des Tons er-
reicht, welche scinen Gemäldcn vft abgeht. Seine Radi-
rungen sind grvße Raritäten. Die vier ausgestellten
(der Gerichtsschreiber, Landsknechte, der Raucher und
Polichinell) werden wohl so ziemlich sein ganzes Oeuvre
repräsentiren.

Die Abteilung der englischen Radirer, dcren vierzig
mit über dreihundert Blättern vertreten sind, eröffnete
uns im Gegensatze zur französischen eine völlig nene
Welt. Jhre Blätter werden in England förmlich mit
Gold aufgewvgen und sind sv geschätzt, daß nur durch
einen ganz besonderen Glücksfall ein Blatt einmal auf
den Kontinent gelangt. Nachdem ein- bis zweihundert
Abdrücke gemacht worden, häufig aber auch bedeutend
weniger, wird die Platte, um Mißbrauch zu verhüten,
vernichtet, weshalb man in England auch nur Abdrücken
erster oder doch guter Qualität begegnet. Obwohl die
Radirung schon frühzeitig in England, besonders durch
Wilkie, geübt wurde, ist die allgemeine Berbreitung,
deren sie sich gegenwärtig erfreut, auf das Beispiel
und Len Einfluß Frankreichs zurückzuführen. Aber
indem die von dort importirte Pflanze in England
Wurzel saßte und sich akklimatisirle, nahm sie schnell
ein so spezifisch nativnales Gepräge an, daß eine innere
oder äußere Verwandtschaft zwischen der englischen und
franzvsischen Radirung gar nicht mehr nachgewiesen
werden kann. Schou die Technik ist eine grundver-
schiedene. Ähnlich wie die englischen Aguarellisten mit
den Wasserfarben die Wirküng der Ölmalerei zu er-
streben suchen, geht auch das Ziel der Aquafortisten
dahin, das ursprüngliche Element der Radirung, die
Linie, unter einem spezifisch malerischen Totaleindruck
untergehen zu lassen. Zn allen Finessen der Technik
m it kalter Nadel und Rvulett gesellt sich ein Raffine-
ment des Drucks, dessen verschiedene Stadien man vor
dem sertigen Blatte nur mit Mühe ablesen kann. Um
gewisse malerische Wirkungen zu erzielen, wird mit
zwei, auch drei Farben gedruckt, die entweder in Kon-
trast zu einander treten oder sich zu einer schönen Har-
monie verschmelzen. Es ist merkwürdig, daß diese
raffinirte Technik, die sich jedoch nirgends als solche
störend zur Geltung bringt, sondern die naive Un-
rnittelbarkeit in Auffassung und Empfindung der Blätter
eher nvch verstärkt, ihre Ausbildung vorzugsweise durch
Dilettanten erfahren hat. Der genialste der englischeu
Radirer, der Präsident der 8ooiot^ ok Uuintsr-
otoüors, ist ein Wundarzt, Namens Francis Seymour-
Haden, der, wie der Katalog mit Recht bemerkt, in
seinen besten Landschaften „an die Höhe der Empsin-
dungsweise Rembrandts" streift. Jhm zunächst aus
gleichem Gebiete stehen dann James Whistler mit
wundervollen Partien aus Benedig, d.em er ganz neue
Reize abgewonnen hat, und C. P. Slocombe, der
 
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