Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

DOI Artikel:
Dülberg, Franz: Münchener Brief
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0009

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XVII. Jahrgang

1905/1906

Nr. 1. 13. Oktober

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgeweibeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

MÜNCHENER BRIEF

Von Franz Dülbero

Von einer Schwalbe, die keinen Sommer macht,
ihn aber hoffentlich ankündigt, ist diesmal aus den
bayerischen Staatssammlungen zu berichten. Der erste
Schritt zur Ausfüllung der in fast allen deutschen
Galerien so empfindlichen Lücke, die mit den Worten
»das England der klassischen Zeit« zu bezeichnen
wäre, ist nach dem Vorgange Berlins nun auch in
München getan. In der »Neuen Pinakothek«, diesem
merkwürdigen Ergebnis aus einem unsicheren Gemisch
von Künstlerpflege und Kunstpflege, hängt jetzt, be-
zeichnenderweise unter einem großen Porträt Winter-
halters, ein neu gekauftes kleines Bild von der Hand
Constables. Es ist eine Dünenlandschaft, rasch, breit
und scharf, mit etwas kratzigem Pinsel hingestrichen.
Ein Hügel, davor ein Fuhrwerk. Weiter hinten ein
Tümpel. Wieder entfernter dunkles Gebüsch. Rechts
ein Häuschen. Von links her rollen stahlgraue
Wolken heran. Der blaue Streifen des Meeres schließt
ab. — Nun rasch noch für die alte Pinakothek ein
wenn auch nicht großes, so doch sicher kennzeichnen-
des Porträt von Gainsborough gekauft, damit die
Sammlung, die den vielleicht schönsten van Dyck-
saal besitzt, auch die letzte Konsequenz der van Dyck-
schen Spätkunst, ihre letzte, duftig auflösende Ver-
feinerung aufzeigen kann. Unmögliche Preise, sagt
Ja, dann lest eure römische Geschichte und

ihr.

laßt euch durch den Bericht vom Ankauf der Sibyllini-
schen Bücher warnen.

Auch von lebenden englischen Künstlern war hier
in diesen Tagen, wo gesinnungstüchtige Preßleute
und journalistische Politiker die eine Zeitlang drohende
Aussicht auf einen Krieg zwischen den beiden am
engsten miteinander verwandten und am meisten auf
wechselseitige Ergänzung angewiesenen Nationen bei-
nahe als die Verheißung auf eine erfreuliche, längst
schon notwendige Abrechnung begrüßten, viel die
Rede. Hubert von Herkomer, der geborene Bayer,
der in England der erfolgreichste Fortsetzer des J. E.
Millais, des kräftigsten und farbenreichsten, aber auch
schwunglosesten der Präraffaeliten wurde, und Edward
Gordon Craig, der Sohn Ellen Terrys, der sich mit
seinen lebhaft empfundenen Plänen zur künstlerischen
Ausgestaltung der Theatermalerei aus dem mehr und
mehr im kammerdienerhaften Gesellschaftsstück (draw-

ing-room-play) versumpfenden Bühnenleben Londons
in die frischere Kulissenluft Berlins zu retten strebt,
trafen einander im Kunstverein. Herkomer brachte
gleich ein neues Malverfahren mit. Seine diesmalige
Einsendung ist, wie vernehmlich zu lesen war, nicht
mit Öl, sondern mit den Gundermannschen soge-
nannten »Rubensfarben« hergestellt. Ich glaube, daß
Ribera an diesen Farben mehr Freude gehabt hätte,
als der stets auch im Schatten eine lichte Durch-
sichtigkeit liebende Antwerpener. Tiefe und Leucht-
kraft bietet das neue Malmittel wohl, auch gibt es
sich bequem der etwas fettigen, scharfzügigen Flüssig-
keit der Herkomerschen Handschrift, doch stechen die
Farben zu sehr, fallen zu leicht ins Schwarze und
wären für die flache Skala einer delikaten hellen Ge-
samtstimmung, wie sie doch heute von den meisten
unserer Besten erstrebt wird, schwer zu verwenden.
Kommt dazu nun noch eine etwas indianerhafte
Primitivität der Farbenauswahl, wie in dem Bildnis
einer braunblonden Schönheit, die in einem heftig
blauen Gewände auf einem mit bunten Kissen be-
deckten Sofa vor einem dunkelblaugrauen, sich un-
endlich lange und monoton bis zu dem viel zu hoch
abschneidenden Rahmen hinaufziehenden Vorhange
sitzt, so ist die Wirkung kräftig, aber recht unangenehm.
Viel erfreulicher macht sich das kleinere Bild eines
echt englisch aussehenden jungen Mannes, der die
Hände aufstützend vor dunkelblauem Grunde an hell-
braunem Tische sitzt. Erstaunlich leicht und gut ist
der glänzende Daumennagel angedeutet. Sorgsame,
etwas zitterige Durchführung zeigt auf einem dritten
Bilde der langbärtige Patriarchenkopf des Herzogs
von Meiningen. Die gütigen grauen Augen, das
etwas manierierte Rotbraun der Gesichtsschatten und
der braune Hausrock mit grünen Aufschlägen geben
hier eine wirklich gewählte Farbenstimmung. Wenig
gewinnendes haben zwei Stücke mit hineinspielenden
Allegorien: ein junger Harmoniumspieler, dem zu
Häupten eine recht massive und schlecht gezeichnete
Frauengestalt eine Art Serpentintanz mit ihrer Ge-
wandung ausführt, und ein efeubekränztes wasser-
äugiges kalt-schönes Mädchen, das vor braunen Klippen
und blauem Meer ein fleischrosa Gewand, wie sich
schützend, emporzieht. Die Hauptstücke aber sind
drei große, etwas selbstgefällige Familienporträts. Auf
dem größten sieht man das rasierte Bischofsgesicht
des Meisters selbst. In schwarzer Hoftracht, mit der
 
Annotationen