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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Dülberg, Franz: Münchener Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0010

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Münchener Brief

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kompletten Sammlung seiner bunten Orden angetan,
legt er seiner Frau beim Nachhausegehen von einer
Gesellschaft den schweren Mantel um. Das Kleid
der Dame ist weiß, nur eine rote Rose vorgesteckt,
der dunkle Mantel innen gelb ausgeschlagen. Ein
goldbrauner Vorhang und ein syenitrotes Portal
schließen ab. Die Gruppe ist plastisch gut gestellt,
nur der Hintergrund zu wenig belebt. Viel inner-
licher und wertvoller ist das Bild des fünfzehnjährigen
Sohnes. Der Bursche, dem schon der erste Schnurr-
bart sproßt, steht mit träumerischen, großen, braunen
Augen in ruhig lässiger Haltung da, in grauem An-
zug mit roter Kravatte vor tiefblauem Grunde. Wie
meisterlich breit und doch deutlich sind hier wieder
die gebräunten schöngeformten Hände, vor allem die
eingestützte Linke, gemalt. Etwas zu steif steht die
elfjährige Tochter da, mit ineinander gelegten Händen,
in lichtmeergrünem Rock, doch fesseln wieder die
großen dunklen, nicht ganz gleichen Augen, die
weichen, schon etwas zur Fülle neigenden Züge und
das reiche, offene, schwärzliche Haar. Der bei Her-
komer, wie es scheint, beliebte dunkelblaue Vorhang
bildet auch hier wieder den Abschluß.

Als die Ahnen von Gordon Craigs Kunst wird
man wohl Hogarth, Cruikshank, Beardsley und William
Nicholson feststellen können. Eine scharfe, in vielen
Fällen überladende Charakteristik, Liebe zu drolligem
schweren Aufputz (wobei man an die besten Nummern
des englischen Varietes denkt) und ein erstaunlicher
Sinn für sichere Teilung der Licht- und Schatten-
massen sind seine wichtigsten Eigenschaften. Seine
Originalholzschnitte sind so trefflich holzmäßig ge-
arbeitet, wie nur die meisterlichen Sachen des Hol-
länders J. G. Veldheer, am besten wirken die, wo
ein paar spärlich eingestreute Farbenflecken den
Akkord des Schwarz-Weiß bereichern. Mit erstaun-
licher Sicherheit erkannte dieser Künstler der energisch
zusammendrängenden Linie, was dem Theater not tut.
Das Theater will die ganzen Lebensschicksale der
auftretenden Menschen, will andererseits die unaus-
gesprochenen Ideen eines Tausends von Zuhörern
während einer Spieldauer von meistens drei Stunden
und auf einem engen Bühnenraum in zwingend greif-
barer Bildlichkeit vorführen: so wird also eine Theater-
malerei, die den einfachen Naturalismus verläßt und
zur Umgestaltung der Natur, zum Stil strebt, einer-
seits auf deutlichste Markierung aller charakteristischen
Kennzeichen und Attribute, andererseits auf die ge-
fangennehmende Wirkung eines phantastisch starken,
gespenstisch reichen und bunten Bühnenlichtes hin-
arbeiten müssen. So zeigen denn Craigs Theater-
entwürfe überall das Streben nach Vereinfachung,
ohne aber auch nur einen Augenblick den Anspruch
auf Illusion aufzugeben. Der gewollten traumhaften
Steigerung des Wirklichen kommen die gewaltigen,
sich überschneidenden, breiten, rundlich gewellten
Licht- und Schattenmassen seiner Bühnenbilder aufs
beste entgegen. So sieht man auf einer Szene zu
dem mimischen Spiele »Hunger« gewaltige dreieckig
spitz aufgetürmte Menschenwellen zu beiden Seiten
der Vorderbühne heraufstürmen, während auf der

Hinterbühne sich allerhand Rokokoerscheinungen
trottelhaft ängstlich bewegen. Auf einem Berliner
Entwurf ist die Lichtwirkung zweier hoher, weißer
orientalischer Mauern vor einem tiefblauen klaren
Himmel aufs glücklichste greifbar geworden. Noch
seien genannt: eine weiße Geistererscheinung, die
den Mantel über sich schwingt, König und Königin
aus einem Märchen, die in hoher Krone und mit
schweren, schleppenden, breiten Mänteln vor der hellen
Bühnenwand vorbeischreiten, eine Wassergottheit in
Form einer Fontäne, und die Gestalt eines mit großer
Geste befehlenden Pierrots, dessen schwarzbehand-
schuhte Hände die Blicke der Zuschauer aus dem
ganzen Bühnenraum auf sich hineinziehen müssen.
Ein Einwand, der von sachkundiger Seite erhoben
wurde, ist der, daß die menschliche Gestalt häufig in
einem im Verhältnis zur Höhe und Breite der Deko-
ration zu kleinen Maßstabe angenommen sei, die
meisten bestehenden Theater also die Gordon Craig-
schen Entwürfe nur mit starken Verschiebungen der
Größenverhältnisse verwenden könnten.

Ein dritter ausländischer Gast im Kunstverein ist
diesmal der Belgier Jules Lagae. Seine Skulpturen
waren, meist im Gipsabguß, im gleichen Saale mit
Herkomer zu sehen. Bekannt ist seine Gruppe »Die
Sühne«: zwei Greise, die mit Stricken um den Hals
zusammengebunden zur Richtstatt geführt werden.
Außerdem sah man eine Reihe Büsten belgischer
Persönlichkeiten (Dillens, Bruylants). Die Haarbe-
handlung ist meist wellig, massig, in der Art der
Barockmeister. Es ist keine Konturenplastik, keine
Kunst der großen Form, sondern man sieht überall
das Bestreben, durch ein wiegendes Auf und Ab der
Einsattelungen und Hebungen, zumal in den Fleisch-
partien, ein möglichst lebhaftes Lichter- und Schatten-
spiel zu erreichen. Doch ist Lagae frei von klein-
lichem Naturalismus, es ist viel von Rubens' Art in
ihm, mancherlei auch von Rodin.

Aus der gewohnten Kunstvereins-Mittelware heraus-
gehoben zu werden verdienen noch ein paar stille
holländische Kanallandschaften von B. A. van Beek,
eine breit und fröhlich gemalte lichte Bergwiese von
Otto Fedder mit zwei winzigen Figuren und ein
äußerst flottes und talentvolles Stilleben von Helene
Müller: zwei chinesische Puppen vor einem in violetter
Manschette steckenden Topfe violetter Primeln.

Eine ältere Kollektion brachte ein paar Lenbachs:
eine ruhige Pastellstudie Richard Wagners, dann das
Porträt einer Mutter mit ihrer kleinen Tochter auf
dem Arm, und eine Dame im Profil mit Hut. Vor
allem aber einzelne humoristisch glücklich erfundene
und auch farbig ungemein frische Sachen vom alten
C. Spitzweg (Promenade durch das Kornfeld, der
Späher auf der Dachleiter, Eremit und Nixe), von
H. Bürkel ein paar sorgfältige und in der Luft-
stimmung gute, aber in den meist zahlreichen Figuren
etwas trockene Arbeiten, und von Oswald Achenbach
eine gut und schlicht gemalte neapolitanische Kaval-
kade in staubig dunstiger Abenddämmerung.

Fern von der geselligen Biederkeit des Kunst-
vereins, seiner ganzen Natur nach ja mehr ein
 
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