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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Dülberg, Franz: Münchener Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0011

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Münchener Brief

»Einspänner«, stellte Alfred Kubin, der frühere
Zeichner des Grausens und eines fast lustig ver-
wegenen Pessimismus, eine Anzahl meist licht an-
gefärbter Blätter in einem kleinen Zimmer der Krause-
schen Kunsthandlung aus. Er ist jetzt ruhiger,
man möchte fast sagen, gemütlich geworden. Auf
einem der Blätter scheint ein Ertrunkener, der mit
rotbräunlichem Gesicht aus den Wellen auftaucht,
fast sagen zu wollen: »Ich hätte mich eigentlich, eh'
ich ins Wasser ging, noch rasieren sollen«. —
Mahomet, der breitschulterig, kerzengerade aus grau-
durchlichteter Finsternis auftaucht, ist etwa ein Mittel-
ding zwischen Kleiderhändler und hochstapelndem
durchgefallenen Rabbinatskandidaten. — Selbst ein
begrabener Kardinal, der im Spitzenkleid des 17. Jahr-
hunderts sich im Totengewölbe leicht aufrichtet und
der trüb brennenden Ampel entgegenblinzelt, scheint
sich ganz wohl zu fühlen; er zelebriert vielleicht in
Gedanken ein Hochamt für sein eigenes Seelenheil.
Von der alten Lust am Schauerlichen ist nur in einem
Blatte wie »Das Zinshaus« etwas geblieben, wo aus
schiefstehenden kahlen Mauern zahllose dunkle Fenster
wie leere Totenaugen uns anblicken. Bedenklich zur
Bilderschrift der politischen Witzblätter geht eine
Zeichnung wie »Der letzte König« hinüber: ganz
blaß, mit scharfem, papierdünnen Gesicht lehnt er
auf dem Thron, zu dessen Füßen ein Heer von
Kuttenträgern wallt. — Geblieben, vielleicht noch
verstärkt, ist bei Kubin der außerordentliche Sinn für
Raumverteilung und für Tonwirkungen, im Sehen
der plastischen Form, dem eigentlichen »Zeichnen-
können« ist dagegen noch wenig Fortschritt zu be-
richten. Eigenartig und versprechend ist aber eine
neue Technik, die Kubin jetzt vielfach anwendet: aus
einer Paste naß auf dem Grunde — zum Teil,
horribile dictu, mit dem Finger — vertriebener
weicher Farben wird eine blumen-, tier- oder men-
schenähnliche Arabeske herausentwickelt und dann,
auch mit den Mitteln der Federzeichnung, verdeutlicht.
So entstanden Seerosen, aus denen verschlungene
Menschenleiber emporwachsen, ein Chamäleon mit
blumenbesticktem Fell und ein angenehmes Tier, für
das ich keinen passenderen Namen als »Die Har-
monikakatze« wüßte. Im Ernst aber könnte der
Künstler leicht aus solchen Arbeiten den Weg zu
feinfigurierten und dabei tonigen Buntpapiervorsätzen
für Bucheinbände und vor allem zu schönen Töpferei-
arbeiten im Stile (nicht im Sinne) der englischen
Doultonware finden.

Dieses plastische runde Sehen, das bei Kubin
vermißt wird, unleugbar war es fast immer bei einem
vorhanden, dessen siebzigster Geburtstag in diesem
Jahre mit einigem Geräusch gefeiert wurde und dem
die Heinemannsche Kunsthandlung eine Ehrenaus-
stellung widmete: bei Franz v. Defregger, dem Maler
der Buam und Deandln. Es ist doch vielleicht an-
gebracht, der Meinung entgegenzutreten, als habe es
sich hier um eine Aristeia gehandelt ähnlich der
Menzels (die etwa 100 im Kunstverein vorgeführten

Stücke — darunter besonders das wunderbar rötlich
lichte Pastell der auf dem Sofa sitzenden Markgräfin
von Bayreuth — gaben möglicherweise eine klarere
Vorstellung von der Eigenart dieses von den Erträg-
nissen des eigenen Fleißes verdeckten Meisters, als
die enzyklopädische Veranstaltung der Nationalgalerie)
oder Lenbachs. In den zwei Räumen voll Defregger
erfuhr man wohl, daß altes Gemäuer dumpf und
grau, daß Bäume grün, junge Wangen rot, alte Ge-
sichter faltig und braun sind, aber nichts mehr. Der
mystische Zusammenklang, der aus den drei dem
Maler gegebenen Faktoren — das fremde Objekt,
das Darstellungsmittel (das heißt also hier die dekora-
tiven Wirkungsmöglichkeiten von Ölfarbe auf Lein-
wand oder Holz), und — der Kerl, der das Bild
macht — sich ergeben muß, hier fehlte er einfach.
Ein Beispiel sei das Bildnis Lenbachs. Es ist sehr
ausführlich, es gibt viel mehr vom Hautpigment als
irgend eines der mir bekannt gewordenen Selbst-
porträts des epigrammatischen Van Dyck-Schülers,
aber aus dem sprühend lebendigen Menschen ist eine
Wachsfigur geworden. Dann ein großes Bild: zwei
Bauernburschen sitzen mit ihren Mädchen am Wirts-
haustisch. Hinter ihnen erhebt sich ein etwas Älterer,
der mit einem Rotweinglas dem Beschauer zutrinkt.
Warum empfindet nun unsereiner, der doch auf einem
Gebirgsausflug herzlich gern einem Einheimischen
Bescheid tun würde, dieses Zutrinken als eine unge-
hörige Störung? Bei Brouwer, Teniers, Hals trinken
uns bisweilen Leute zu, denen im Leben zu begegnen
nicht zu den Annehmlichkeiten gehört. Aber auf
diesen alten Leinwänden erhebt die unerhörte Geistig-
keit der malerischen Handschrift diese Raufbolde zu
einer mehr als ausreichenden künstlerisch-gesellschaft-
lichen Ebenbürtigkeit, und wir sagen herzlich gern
»Prosit«. — Dann war dort auf einer Staffelei das
Bildnis eines freundlich blickenden älteren Jägers-
mannes auf dem Anstand. Durch eine blauweiße
Schleife, die um das Bild herumhing, und durch die
Porträtähnlichkeit der Züge erkannte man, daß der
Prinzregent von Bayern dargestellt war. Vorher würde
niemand mehr als einen mittleren Forstmann oder
Gutsbesitzer vermutet haben. Nun weiß jeder aus
einer genügenden Zahl von Bildern und Photo-
graphien, wie kristallen der Begriff »Fürst« in der
Gestalt des bayerischen Regenten deutlich werden
kann. Es ist das gute Recht eines jeden Monarchen,
nicht immer der Schauspieler seiner selbst zu sein,
mitunter bürgerlich, ja bäuerlich aussehen zu dürfen,
nicht aber das Recht des Künstlers, ihn so zu malen
(wie bleiben bei Velazquez König und Infanten in
jedem Jagdkostüm doch immer die Seltenen, die
Hohen!).

Auch sonst bieten die jetzt sehr vergrößerten
Räume der Heinemannschen Kunsthandlung — von
einem Zimmer des Oberstocks hat man einen herr-
lichen Blick auf Hildebrands Wittelsbacherbrunnen —
dem Publikum meist rechte Petrusmahlzeiten, Reines
mit Unreinem gemischt. Von einem Versuch, den
Geschmack zu erziehen, ist keine Rede. Zugleich
mit den Defreggerbildern war eine Kollektion des in
 
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