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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Hevesi, Ludwig: Wiener Brief, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0113

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von t. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XVII. Jahrgang 1905/1906 Nr. 14. 2. Februar

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

WIENER BRIEF

(Sezession. Religiöse Kunst. Die Beuroner Kunstschule.
Maurice Denis und Paul Gauguin. Der Zug zum Stil.
Qordon Craig und Alfred Roller. Mehoffer, Andri, K A.
Reichel.)

Ein Überblick des Wiener Ausstellungslebens seit
Beginn der Saison fällt ungemein bunt aus. Man
denke sich als äußerste Gegensatzpunkte die Beuroner
Benediktinerkunst und eine Van Gogh-Ausstellung.
Und dazwischen ein ganzes Panorama an Toten und
Lebendigen. Die Sezession eröffnete das Kunstjahr
mit einer internationalen Ausstellung religiöser Kunst,
die einen durchgreifenden Erfolg hatte. Eine der
großen brennenden Kunstfragen unserer Zeit war da
plötzlich zur Diskussion gestellt. Sie fand das
Publikum in Ratlosigkeit zerrissen, aber »Beuron«
wirkte gleich einem Zauberwort. Hier sah es zum
erstenmal einen modernen hieratischen Stil, der im
Sinne einer Gesamtkunst das ganze religiöse Leben
neu formuliert. Wenn Geister wie Otto Wagner jetzt
in blutigem Kampf um dieses Ziel stehen, so haben
die Beuroner in ihrer konzentrierten Stille und Welt-
entrücktheit schon vor dreißig bis fünfunddreißig
Jahren dieses Ideal verwirklicht. In jener sinnlichen
Makartzeit, die den die Welt verwaltenden Real-
philistern ihr üppiges Programm aufdrang, in diesem
Gemenge von gezüchtetem Rausch und vorschrifts-
mäßigem Katzenjammer schuf, wie auf unentdeckter
Insel, Pater Desiderius Lenz in suchender Sehnsucht
seine streng benediktinische Schönheitswelt. Dieser
Corneliusschüler (geb. 1832 zu Haigerloch im Hohen-
zollerischen, seit 1858 Professor an der Nürnberger
Kunstschule, 1862—1868 in Florenz und Rom) ist
ein schaffender Geist erster Stärke. Er hat sich eine
besondere persönliche, in Reinheit heilige Welt er-
schaffen, Apostel gebildet, Schule gemacht, ein
dauerndes Beispiel errichtet im beispielwidrigen Ge-
dränge seiner Zeit. In Gabriel Wäger (geb. 1829
zu Steckborn bei Konstanz) und Lucas Steiner (geb.
1849 m Schwyz) fand er zwei begeisterte Helfer.
Wüger war Protestant, wurde 1863 katholisch und
starb 1892 zu Monte Cassino. Steiner ist seit zehn
Jahren durch Siechtum gelähmt. Lenz ist ein zwei-
undsiebzigjähriger Greis mit weißem Patriarchenbart,
und hat seit vier Jahren Monte Cassino nicht mehr
verlassen. Dort prangt sein großes Gesamtkunstwerk,
das Kapellensystem der »Torretta« und das in seiner

Art einzige »Soccorpo«, dieses Doppelgrab des heiligen
Benedikt und seiner Schwester Scholastika, wie ein-
gewachsen in die Decke zwischen unterer und oberer
Kapelle. Ein baulich-malerisch-plastisches Unikum,
mit Mosaiken und Marmorreliefs geschmückt, ein
künstlerisches Hauptwerk unserer Zeit. (Besuch Kaiser
Wilhelms am 5. Mai 1903.) Das Nest der Schule
aber ist die Erzabtei Beuron, im oberen Donautal,
diese blühende Neuschöpfung der Fürstin-Witwe
Katharina von Hohenzollern-Sigmaringen, die den
ruinenhaften Bau des 1077 gegründeten, 1802 auf-
gehobenen Augustinerklosters erwarb und den Bene-
diktinern übergab. Der jetzige Erzabt P. Maurus
Wolter war etwas nach 1850 mit seinen Brüdern
Placidus und Hildebrand von Köln gen Rom ge-
zogen und bei San Paolo fuori le mura in den
Orden der Benediktiner eingetreten. Mit dem Segen
Papst Pius' IX. kehrten sie — ohne Hildebrand, der
in Rom starb — heim und übernahmen Beuron.
Heute ist es die blühende schwäbische Erzabtei und
eine Kunstschule einziger Art, mit zwanzig Lehrern.
Einen von ihnen, den hochbegabten P. Willibrord
Verkade, einen jungen Holländer und Freund des
Pariser Neustilisten Maurice Denis, sahen wir in der
Wiener Sezession ein Freskobild malen. Noch andere
werte Patres kamen: P. Notker Langensteiner, der
durch Vorträge das Publikum unterwies, und P.
Ansgar Pöllmann, Herausgeber der gediegen ge-
stimmten »Gottesminne, Zeitschrift für religiöse Dicht-
kunst« und Verfasser des lesenswerten Büchleins:
»Vom Wesen der hieratischen Kunst«, das für die
Ausstellung leider zu spät erschien. Ein vornehmer,
harmonischer Menschenschlag, den der Beuroner Geist
sich gezüchtet hat.

Zum erstenmal traten hier die Beuroner in die
Öffentlichkeit einer Kunstausstellung. Sie, die »ersten
Sezessionisten«, wie P. Desiderius sie gelegentlich
genannt hat, fanden in der Wiener Sezession eine
warme Stätte. Ihre Ausstellung konnte da wenigstens
einen Begriff geben von den Werken, die sie ringsum
in der weiten Christenheit schon geschaffen. Die
St. Mauruskapelle in Beuron (Entwurf von Lenz, 1869)
war ihre erste Tat. Durch den Maurussegen von
schwerer Krankheit geheilt, ließ Fürstin Katharina
dem heilkundigen Jünger St. Benedikts dieses schöne
Sacellum errichten. Ein bahnbrechendes Werk, so
wenig es in der weltlichen Welt gekannt ist; unge-
 
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