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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Hevesi, Ludwig: Wiener Brief, [1]
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Die Jahrhundert-Ausstellung
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0116

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215

Die Berliner Jahrhundertausstellung — Nekrologe

216

zu viel, eine leise Schwebung von Farbenton scheint
ihm unerträglich. Wie ein Beweis aus der analytischen
Geometrie, mit malerischen Mitteln geführt. Bis in
die eigentümlichen, minutiösen Miniaturen hinein,
die Reichel auch gerne malt, spürt man diesen formu-
lierenden Geist, der allerlei Unerklärlichkeiten erlebt
und sie zu deuten sucht. Der Begriff der religiösen
Kunst ist uns nicht abhanden gekommen, er hat sich
im Gegenteil unabsehbar erweitert.

LUDWIG HEVESI.

DIE JAHRHUNDERT-AUSSTELLUNG
In Gegenwart Seiner Kaiserlichen Hoheit des Kron-
prinzen ist am 24. Januar die deutsche Jahrhundert-Aus-
stellung1) mit einer Ansprache des Münchener General-
direktors Geheimrat v. Reber feierlich eingeweiht worden.
Ein außerordentliches, nur durch die vereinte Energie
einer großen Anzahl von Männern ermöglichtes Werk,
das nicht nur in der Geschichte des deutschen Kunstaus-
stellungswesens eine bedeutende Rolle spielen, sondern
auch der Klärung unserer Anschauungen über das Wesen
der modernen deutschen Kunst unschätzbare Dienste leisten
wird, ist damit der Öffentlichkeit übergeben worden. Die
ganze Nationalgalerie ist dafür zum Teil völlig ausgeräumt,
in allen ihren Räumen aber mit neuen Wandbekleidungen
nach Peter Behrens' Entwürfen versehen und so in ein
allen Erfahrungen der letzten Zeit entsprechendes Aus-
stellungsgebäude verwandelt worden. Und da ihre Räume
für die über zweitausend zusammengebrachten Gemälde
und die große Anzahl der Zeichnungen immer noch nicht
ausreichten, hat man außerdem die durch die Übersiede-
lung des Antiquariums ins Alte Museum vorläufig frei-
gewordenen Säle des Neuen Museums hinzugenommen.
Die Anordnung ist so gewählt worden, daß man entweder
in der einmal von Herman Grimm vorgeschlagenen Weise
den Geschichtsunterricht von rückwärts beginnen oder aber
im Antiquarium anfangen und von dort zum obersten Ge-
schoß der Nationalgalerie übergehen muß. Als Grenzen
hat man nicht die Jahre 1800 und 1900, sondern 1775 und
1875 genommen, einerseits um die Übergänge vom Rokoko
zum Klassizismus noch darlegen zu können, andererseits
um Fragen allzu aktueller Art zu vermeiden. Die erste
Hälfte des so umgrenzten Jahrhunderts war bisher eine
der am schlechtesten bekannten Perioden der gesamten
Kunstgeschichte; hier blüht vor allem dem Forscher eine
reiche Aufgabe. Bei der zweiten Hälfte ist die Auswahl
mehr vom Standpunkte eines feinsinnigen Amateurs ge-
troffen worden, sie wird deshalb dem rein genießenden
Beschauer die anziehendere sein.

Graff, Chodowiecki, Tischbein, Grassi und ihre Ge-
nossen, die zum großen Teil noch ganz »Dix-huitieme«
sind, bilden also im ehemaligen Antiquarium das Präludium.
Zu ihnen gesellen sich Schinkel und einige Künstler wie
der Berliner Hummel, deren Schaffenszeit erheblich ins
19. Jahrhundert hineinreicht. Den Hauptteil der Bilder aus
der klassizistischen Zeit finden wir in den ersten Räumen
des obersten Stockwerks der Nationalgalerie, wo rechts vom
Vorraum Schick, Heß, Reinhart, links Anton Koch, Preller
und andere herrschen, während man im Saal der Casa
Bartholdy zwei der Wandbilder freigelassen, die anderen
Wände mit kleineren Werken aus dem Kreise der Nazarener

1) Die Redaktion der Zeitschrift für bildende Kunst
bereitet ein eigenes Sonderheft über diese Ausstellung
vor, auf das wir heute bereits hinweisen möchten. Anm.
d. Red.

behängt hat. Friedrich Heinrich Füger bildet den Übergang
zu den Wiener Kabinetten, deren Glanzpunkte eine reiche
Waldmüller-Sammlung und ein kleiner hauptsächlich von
Pettenkofen eingenommener Raum sind. Daran schließen
sich einige norddeutsche Städte, besonders Hamburg, das
einen großen Teil der Schätze seiner Kunsthalle, insbe-
sondere die von Lichtwark mit großer Liebe gesammelten
Werke von Runge, Oldach, den Gensler, Wasmann, Kauff-
mann hergegeben hat. Im ersten Cornelius-Saal des mitt-
leren Stockwerks hängen im wesentlichen Münchener Werke,
unter anderem von Adam, Kobell, Bürkel, und eine schöne
Sammlung Schmitsonscher Tierbilder, im zweiten Berliner,
darunter die größeren Werke von Franz Krüger und Menzel,
deren kleineren Bildern der linke Ecksaal eingeräumt ist.
Dann kommen Düsseldorf mit Werken von Achenbach,
Sohn, Knaus, Vautier, Gebhardt usw. und Dresden, wo
der aus Norwegen stammende Clausen Dahl zunächst
hervortritt. Kaspar David Friedrich sind zwei ganze
Kabinette zugewiesen worden, so daß dieser interessante
Künstler ausgiebigst studiert werden und seinen endgültigen
Platz in der Kunstgeschichte erhalten kann. Er schneidet
ungleich günstiger ab als sein Nachbar Blechen, dessen
Bild durch die Ausstellung eher eine Trübung als neuen
Glanz erhält. Ganz köstlich ist dagegen wieder das an-
stoßende Spitzweg-Kabinett. Etwas summarisch werden
einige Männer wie Rottmann, Dreber und der fast unbe-
kannte Karl Friedrich Hausmann unter der Rubrik »Leute,
die hauptsächlich in Rom geschaffen haben« abgetan.
Dann kommen Stuttgart, Frankfurt, wo man den prächtigen
Anton Burger vortrefflich kennen lernt, Weimar, wo der
im vorigen Sommer endlich zur verdienten Berühmtheit
gelangte Karl Buchholz wiederum reich vertreten ist, und
zum Schluß ein Schwind-Saal. Unten herrschen dann un-
umschränkt die Männer, die von den Veranstaltern der
Ausstellung mit Recht als die großen Individualitäten der
sechziger und siebziger Jahre und die leuchtenden Sterne
auf dem Wege der modernen Kunst angesehen werden.
Bei Feuerbach wird der Historiker sich freuen, ein so
reiches Material zu finden; für den Laien wäre weniger
vielleicht mehr gewesen. Auch Marees gewinnt nicht da-
durch, daß man nicht nur sein hohes Wollen, sondern
auch sein Nichtkönnen in seiner ganzen Ausdehnung ge-
zeigt hat. Ungetrübtesten Genuß gewähren die Leibi-Säle.
Und ganz erstaunt ist man darüber, welche bedeutenden
Werke noch lebende Künstler wie Liebermann, Trübner,
Thoma schon vor 1875 geschaffen haben. Zu neuen Diskus-
sionen über den jungen und den alten Böcklin gibt der letzte
Saal reichen Stoff. Im allgemeinen verstärkt sich der
Eindruck, daß Anfang der siebziger Jahre in Künstler-
kreisen, die erst viel später zur Anerkennung gelangt sind,
eine sehr hohe malerische Kultur geherrscht hat, und daß
die Freilichtbewegung der achtziger Jahre ihr gegenüber
wohl eine Bereicherung, aber keine Steigerung bedeutet.
Vielleicht ist die Ausstellung etwas zu reichhaltig, viel-
leicht sind einige Meister auf Kosten anderer zu stark be-
rücksichtigt worden, das zu erörtern wird sich später Ge-
legenheit finden. Jetzt sei nur unsere Freude über das
Gelingen des großartigen Werkes und unser Dank für die
unermüdliche, aufopfernde Tätigkeit seiner Veranstalter
ausgesprochen. o.

NEKROLOGE

In Wien ist der Blumenmaler Franz Xaver Birkinger
im 72. Lebensjahre gestorben.

Camille Binder, Konservator am Kupferstichkabinett
des Straßburger Museums, ist nach kurzer Krankheit im
Alter von 58 Jahren gestorben.
 
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