Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

DOI article:
Uhde-Bernays, Hermann: Der zweite Band der "Sixtinischen Kapelle", [1]
DOI article:
Justi, Carl: Das Tagebuch des Velazquez
DOI article:
Wolf, August: Neues aus Venedig, [1]
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0131

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
245

Das Tagebuch des Velazquez — Neues aus Venedig

246

mann sogleich Neues. An die Verwandtschaft, die
bereits Justi zwischen der Schule Donatellos und
Michelangelo an der Figur des Atlanten links über
dem Daniel kurz erläutert hatte1), anknüpfend, stellt
er fest, daß auch der Atlant rechts über der Libyca
ein getreues Nachbild eines (ebenfalls am Palazzo
Riccardi zu Florenz angebrachten) Reliefs aus Dona-
tellos Werkstatt ist. Weiterhin werden die Bronze-
medaillons und zwei Kapitel später die Knaben mit
den Namenstafeln der Propheten und Sibyllen erst-
mals in unanzweifelbarer Weisegedeutet und besprochen.

Die ständige Zuziehung der einschlägigen Bibel-
stellen, die Steinmann mit großer Geschicklichkeit zu
diesem Teil des Werkes Michelangelos in Beziehung
bringt, bedeutet in ihrer Einheitlichkeit für die Er-
klärung einen Gewinn. Bei den großen Historien-
bildern findet sich natürlich wenig Neues2). Sehr
treffend ist der Hinweis auf Giottos Erschaffung Adams,
welches Fresko Michelangelo in Padua wohl gesehen
hat8). Bei der Erklärung der Propheten geht Stein-
mann mehrfach eigene Wege, und gerade hier kommt
er öfters in Gegensatz zu Justi (Zacharias, Joel, vor-
züglich beim Daniel, wo Steinmann wieder seine
Beachtung und Kenntnis der Bibel treffliche Dienste
geleistet hat4). Daran reihen sich die Sibyllen5) und

1) Die Ausführungen Steinmanns (S. 245) bezüglich
dieser Figur und des Atlanten oberhalb Joel sind nicht
präzis genug gefaßt und können (namentlich bei Einbe-
ziehungen der Anm. 4 auf S. 244) leicht mißverstanden
werden. Hier ist ausgiebige Benutzung der Tafeln nötig.

2) Daß die »Madonna Crespi« in nächster Beziehung
zu einer Madonna aus der Werkstatt Donatellos im Kaiser-
Friedrich-Museum zu Berlin steht, ist augenfällig. Vgl.
Klassiker der Kunst VII. Michelangelo von F. Knapp. Stutt-
gart 1905, S. 170. In der photographischen Wiedergabe
wirkt das Bild höchst unglücklich.

3) Sehr instruktiv ist das Studium der häufig bei-
gegebenen Stiche nach den Kopien, die Rubens von Michel-
angelo gefertigt hat. Man erkennt, wie absolut anders
selbst hier — bei der Kopie — die Begabung des Vlamen
sich zeigt, fast kokett sinnlich gegenüber der vergeistigten
Monumentalität Michelangelos. Erdennähe hier, Erdenferne
dort! Selbst die Augen und Haare mußten stilisiert werden.

4) Neu und trefflich ist ferner die Deutung der beiden
Frauengestalten hinter dem Jeremias als Personifikationen
der untergegangenen Königreiche Israel und Juda und ihrer
Hauptstädte Jerusalem und Samaria. Uber das Jonasmotiv
ist eine seltsame Zeichnung eines Nachahmers Michel-
angelos (Franco??) aus dem Kupferstichkabinett in Stock-
holm erstmals S. 37g abgebildet.

5) Zur Literatur der Sibyllen sei ferner erinnert an
Rohde, Psyche 2. Aufl. Bd. 2, Freiburg 1898, S. 62. Hier
auch genaues über das Alter der Sibyllen. Steinmann
S. 384, Anm. 2 schreibt, daß er im Anhange die ein-
schlägigen Stellen aus dem Passionsspiel in Revello ab-
drucken lasse. Ganz unbegreiflicherweise ist dies unter-
blieben! Überhaupt könnte ein strenger Krittler mehrfach
an ungenauer Zitierung Anstoß nehmen. Wer so massen-
hafte Anmerkungen bringt, wie Steinmann, müßte bei der
Korrektur auf etwaige Lücken besonders achten. Die kurze
Notiz: Petrarca, Rime (S. 432) und ähnliches wird jeder
Zünftige beanstanden. Beiläufig: Die Anm. 2, S. 480 wird
S. 489 im Text wiederholt; S. 480, Anm. 6 müßte auf S. 37,
Anm. 4 verwiesen werden; S. 483 und 551 bei den Zitaten
fehlt die Quellenangabe!

endlich die Vorfahren Christi1) — das heißt die Vor-
fahren Josephs, nicht Marias, wie Henke und Wölfflin
annahmen — womit die erste Hälfte des Buches in
schöner Weise schließt. (Schluß folgt.)

DAS TAGEBUCH DES VELAZQUEZ

In meinem Velazquez hatte ich, bei Gelegenheit seiner
ersten italienischen Reise, eine Schilderung des Eindrucks
geben wollen, den die damalige römische Welt auf einen
fremden, spanischen Künstler gemacht haben mußte. Und
als ich dann die für ein Kapitel »Rom im Jahre 1631« ge-
sammelten Daten überblickte, schien mir das daraus zu ge-
staltende Bild wie gemacht für die Fassung in Form eines
Reisejournals. Der Nachgiebigkeit gegen diesen formalen
Reiz verdankt die Episode im I. Band, Seite 284 ff. (2. Aufl.
Seite 238 ff.) ihre Entstehung. Nachdem die Erzählung
den Reisenden in seine römische Herberge gebracht, über-
läßt sie ihm selbst für einige Seiten die Feder. 1

Natürlich ist es mir nicht im Traume je eingefallen,
diesen Reisebrief meinen Lesern als ein neuerdings entdecktes
und übersetztes Fragment aus der Feder des Velazquez auf-
hängen zu wollen, noch dachte ich, daß es aufmerksame
Leser dafür halten würden. Was es damit für eine Be-
wandtnis habe, war ja klar zu ersehen aus dem Fehlen
dieser Urkunde in der literarischen Quellenübersicht am
Eingang meines Werkes, und aus der Abwesenheit eines
Abdrucks des kostbaren Originals in der Kollektion der
von mir gefundenen Dokumente an dessen Schlüsse. Ein
so kapitales Ineditum eines Mannes, von dem kaum mehr
Schriftliches existiert als die paar Signaturen seiner Ölge-
mälde, urplötzlich, ohne jede Note, wie aus der vierten
Dimension auftauchend, und im reinsten selbstgezogenen
Hochdeutsch! — eine starke Zumutung an die Einfalt!
Auch hoffe ich, die spanischen Stilformen des 17. Jahr-
hunderts so weit zu kennen, um zu wissen, daß eine täu-
schende Imitation dieser Art mit einem ganz anderen tech-
nischen Aufwand hergestellt werden müßte. Und so
scheinen den Scherz auch die Leser in diesen Jahren seit
1888 aufgefaßt zu haben, das heißt etwa wie die fingierten
Reden alter und neuer Historiker. Man hat hierorts keine
Erkundigungen eingezogen über die Herkunft des Schatzes,
dagegen bekam ich oft bei Gesprächen über mein Buch,
wenn die Rede auf den Reisebrief kam, zu hören, wie
bald man hinter der hispanischen Maske das Gesicht des
wahren Autors erraten habe — nicht bloß mit allen kri-
tischen Hunden gehetzte Gelehrte, auch ungelehrte Damen
von Geist und Witz.

Ich will jedoch nicht verkennen: es gibt Leser, be-
sonders solche, die das Buch, nicht in der Lage es im Zu-
sammenhang zu lesen, nur an der Hand des Registers etwa
benutzen wollen. Und solche könnten doch momentan jenen
Abschnitt ernst nehmen und in diesem Sinne gebrauchen.
Dergleichen ist nun wirklich vorgekommen. Und so hielt
ich es für angezeigt, diese ausdrückliche Erklärung über
den Zusammenhang und Zweck des Reisejournals, sowie
des analogen, in demselben Band abgedruckten, anonymen
Gespräches über Malerei zu veröffentlichen.

Bonn, Februar 1906. Dr. c. justi.

NEUES AUS VENEDIG
Gegenwärtig wird die neuaufgebaute Schmalfassade
der Bibliothek des Sansovino (Palazzo Reale) freigelegt.

1) Auch in die Kompositionen in den Stichkappen
bringt Steinmann endlich Licht durch Herbeiziehung der
Klagelieder Jeremiä. Zu den Achiin-Eliud- und Azor-Sadoch-
Lünetten sind Zeichnungen A. Carraccis aus Windsor erst-
mals abgebildet (S. 444, 445)-
 
Annotationen