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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

DOI Artikel:
Schleinitz, Otto von: Londoner Brief, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0217

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XVII. Jahrgang 1905/1906 Nr. 27. 1. Juni

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgeweibeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

LONDONER BRIEF

Der Katalog für die Sommerausstellung der könig-
lichen Akademie enthält als Motto den Ausspruch
Tennysons: »Truth never fails, nor Beauty waxes
old«. An und für sich sind solche Ansichten recht
lobenswert, nur im Munde der berufenen Vertreter
der Akademie und in Anbetracht ihrer bekannten
einseitigen Grundsätze klingen sie etwas verdächtig!
Es entsteht auch hier wiederum die alte, seit Jahr-
hunderten und länger aufgeworfene Frage: Was ist
Wahrheit, was ist Schönheit? Ist die Wahrheit ge-
meint, wie sie die Akademie versteht, oder können
ihr fernstehende Künstler auch die Wahrheit und
Schönheit wiedergeben!? Im allgemeinen verneint
das königliche Institut dies durch Ablehnung vieler
tüchtiger Arbeiten ihr unliebsamer Richtungen.

Eingesandt waren diesmal 11 732 Werke, 670 mehr
als im vorigen Jahre, indessen reichten die vorhandenen
Räume nur für 1799 Bilder aus. Das Recht der
Mitglieder der Akademie, ihre Arbeiten ohne Prüfung
aufgenommen zu sehen, wurde in 205 Fällen be-
ansprucht, so daß von anderen Künstlern nur 1594
Gemälde Unterkunft fanden. Selbstverständlich (leider
muß man so sagen) gehört eine gewisse Verbindung
mit der Akademie dazu, um ein Werk placiert zu
sehen, aber selbst in diesem intimeren Ringe be-
fehden sich zwei entgegengesetzte, schließlich durch
einen Kompromiß auszugleichende Interessen: das In-
stitut, das den Verkauf der Gemälde gratis ausführt,
wählt möglichst solche Werke aus, die ihm gute Ein-
nahmen durch Eintriltsgeld versprechen, der Künstler
malt in der Hoffnung auf Verkauf. Ersteres will
die Menge, letzterer den Verkäufer anziehen.

Im großen und ganzen wird die diesjährige Aus-
stellung kaum populär werden; denn es fehlen solche
Werke, die man als »Jahresbilder« bezeichnen kann
und auf die sich das Interesse des Publikums kon-
zentriert. Ebenso ist kein historisches Werk von
Belang vorhanden und dasselbe gilt von dem in der
mittleren, der sogenannten »Viktoria-Epoche«, so be-
liebten Anekdotenbilde, das man sich allenfalls von
Orchardson gefallen ließ, der aber diese Spezialität
nicht mehr malt. In der Hauptsache beherrscht das
Porträt die Ausstellung. Sargent hat derselben ge-
wissermaßen das Gepräge gegeben: seine »Mrs. Guest«
ist vielleicht die beste, je von ihm gemalte Einzelfigur,

allein am anziehendsten wirkt unbedingr die Porträt-
gruppe von vier Professoren der Universität Balti-
more. Das Bild macht einen etwas düsteren Eindruck,
da die vier in ganzer Figur dargestellten Personen
schwarze Amtstracht tragen und sich nur von einer
dunkelbraunen Wand abheben. Trotz aller Abwesen-
heit von Farbe macht das Gruppengemälde dennoch
durch seinen inneren Gehalt einen sehr bedeutenden
Eindruck, der durch das offene Bekenntnis der Ab-
gebildeten, die zu sagen scheinen: wir stehen hier
Modell, in keiner Weise abgeschwächt wird. Der
Meister hat wahrscheinlich anfangs beabsichtigt, dies
Gemälde in kleinerem Formate zu halten, denn an
drei verschiedenen Punkten sind nachträglich Lein-
wandstreifen angeheftet worden. Mr. Sargent, der
übrigens Velazquez häufig als Vorbild betrachtet,
wurde ebenso wie Wilson Steer aufgefordert, sein
Selbstporträt für die Uffizien in Florenz zu malen.
Im ganzen sind dort etwa zweiundzwanzig Bildnisse
englischer Meister von Reynolds bis auf Watts vor-
handen.

Wenig glücklich ist Sargents auf der Ausstellung
befindliches Bildnis des Lord Roberts, das man mit
Recht in der öffentlichen Kritik als rein dekoratives
Werk bezeichnet hat und sichtbare Mängel aufweist,
doch steht Sargent ungeachtet dieses einen Fehlschlags
unter den besten diesjährigen Porträtmalern als pri-
mus inter pares. Der nächste Ehrenplatz gebührt
unzweifelhaft Herkomer. Das von ihm gemalte
Bildnis des berühmten und Weltruf besitzenden
Arztes Sir Felix Semon, der ein Schüler und Freund
Virchows war, erfreut sich mit Recht des ungeteilten
Beifalls aller Kunstliebhaber und Sachverständigen.
Es ist ein Bild großzügiger Charakteristik, voll durch-
geistigt und gleich vorzüglich in der malerischen
Form.

Das Porträt der Prinzessin Margarethe von Con-
naught, vermählt an den Prinzen Gustav Adolph
von Schweden, aus dem Atelier Shannons, gehört
gleichfalls zu den Perlen der Ausstellung. Da ebenso
die New Gallery von den genannten drei Künstlern
Arbeiten ausstellt, so möchte ich vorweg bemerken,
daß dies Institut diesmal nichts besonders Hervor-
ragendes aufzuweisen hat und es fast scheint, als
ob Sargent, Herkomer und Shannon ihre ganze
Kraft nur für die Werke, die sie zur Ausstellung
in der Akademie bestimmten, eingesetzt hätten. Die
 
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