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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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Wolf, August: VII. internationale Kunstausstellung in Venedig, [2]
DOI Artikel:
Hevesi, Ludwig: Otto Wagners moderne Kirche
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https://doi.org/10.11588/diglit.5784#0016

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9

Otto Wagners"moderne Kirche

zu verarbeiten weiß und stets von neuem interessiert.
Beppe Ciardis meisterhafter Sottopontico in Chioggia,
von zahlreichen Figuren belebt, ist eins der schönsten
Bilder der Ausstellung. Wie reizend nebenan die
zwei nackten Kinderchen auf der Wiese unter einem
blühenden Mandelbaume, die sich mit einem großen
Vogelkäfig zu schaffen machen! Die Schwester Emma
versteht es, in ihren Parkbildern mit Zopfstaffage
immer von neuem Neues zu geben. Die sieben
Bilder dieser glücklichen Künstlerfamilie liefern den
Beweis, daß das Greifen zum Außergewöhnlichen
weit vom Ziele abführt. — Noch ein Blick auf die
Werke der »Sognatori«! Prächtig ausgestattet, durch
Marmorabsis mit ebensolchen Ruhebänken ab-
geschlossen, mit interessantem Mosaikfußboden, macht
dieser Raum einen festlichen aber nicht phantastischen
Eindruck, der aber dann in hohem Grade aus den
beiden farbenprächtigen Bildern des Marias pictor
strahlt, sowie aus den feuersprühenden Experimen-
ten Nomellinis. Bleich und kalt erscheint natürlich
Walter Crane mit seinem Prometheus; sowie Stuck
mit einer entsetzlich hölzernen Salome, der von
einem schwarzen Wesen der giftgrüne hölzerne Kopf
des armen Johannes dargereicht wird. — Ein un-
begreifliches großes Bild von Tafanari stellt ein
unergründliches Gewühle nackter Menschenleiber dar,
welche von einer kolossalen Hand Gottes? oder des
Schicksals zerquetscht werden. Das Blut trieft zwischen
den kolossalen Fingern derselben herab! Anziehend
ist das gegenüberhängende Bildnis einer jungen Dame
in ganzer Figur, im Garten sitzend zwischen Blumen,
in einfachen Lokaltönen feinster Stimmung. Es wirkt
dieses Bild von O. Zwintscher ungemein wohltuend
in diesem, dem Unerhörten gewidmeten Räume. Die
größten der hier aufgestellten Gemälde sind von dem
unbegreiflichen Previati.

Wie man sieht, überwiegt auch auf dieser Aus-
stellung die Malerei dergestalt, daß man die Plastik
fast vergessen könnte, wenn nicht eine Reihe be-
deutender Werke die Besprechung verdiente, die ich
mir vorbehalten muß.

Bei schlechtestem Wetter eröffnet, erfreut sich die
Ausstellung, da es besser geworden, vom ersten Tage
an des zahlreichsten Besuches. Eine große Anzahl
wichtiger Ankäufe ist bereits zu verzeichnen, so daß
den Ausstellern gewiß ein glänzendes Resultat in
dieser Beziehung zu prophezeien ist. — Die Aus-
stellungsverwaltung ließ es sich überdies bisher an-
gelegen sein, den »Eingeladenen«, den fremden Gästen,
vielerlei des Schönen zu bieten: Im Fenicetheater die
Aufführung von Mascagnis neuer Oper »Amica«, vom
Autoren dirigiert, im Konservatorium Pergoleses
reizende Oper »La serva padrona« unter Leitung von
E. Wolf-Ferrari, einen Dampferausflug in die Lagunen,
Festessen aller Art, so dasjenige gelegentlich der Ein-
weihung der Fischhalle usw. Alles auf Kosten der
Stadtverwaltung. Venedig kennt überhaupt keine
Grenzen, wenn es sich um Ehrung fremder Gäste
handelt, und wird auch in der Folge während der
Dauer der Ausstellung den Fremden manches Schöne
zu bieten imstande sein. AUOUST WOLF.

OTTO WAGNERS MODERNE KIRCHE.

Ein architektonisches Ereignis ist zu melden. Am
8. Oktober ist in Wien unter großer Feierlichkeit —
der Kaiser war durch den Thronfolger Erzherzog
Franz Ferdinand vertreten — die Heil- und Pflege-
anstalt des Landes Niederösterreich für Geistes- und
Nervenkranke »am Steinhof« (XIII. Bezirk) eröffnet
worden. Eine neue weiße Stadt auf einem Hügel
hingelagert, mit Otto Wagners moderner Marmor-
kirche als Bekrönung, deren goldene Kuppel wie ein
Leuchtturm in das reizende Hügel- und Talgelände
des südwestlichen Wien hinausblitzt. Die Anlage ist
einzig in ihrer Art: 1430000 Quadratmeter Boden
(306000 m Rasen, über 100000 Bäume, 142000 m
Straßen und Wege, 900.0 m Wasserleitung) mit 60
freistehenden Gebäuden, einem Wartepersonal von
über 500 und einem Patientenstand von 2500 Köpfen,
bei Zukunftsraum für das Doppelte. Der Entwurf
des Ganzen ist von Wagner, die Durchführung leider
bauamtlich. Nur die Kirche blieb ihm ganz über-
lassen und er war zum erstenmal in der Lage, seine
Idee von einer Kirche für Kulturmenschen von heute
praktisch zu betätigen. Als Modell und Pläne in der
Sezession ausgestellt waren (April 1905), gab ich da-
von in der »Zeitschrift für bildende Kunst« eine
Schilderung nebst Abbildung. Mit erstaunlicher Rasch-
heit erstand dann die ganze Heilkolonie. Heute ist
alles entzückt davon. Wie alles entzückt war und
ist von der Wagnerschen Postsparkasse, die auch
unter den größten Schwierigkeiten an ihn geriet.
(Soeben erst war eine Kommission aus Berlin hier,
sie zu studieren.) Wie man vermutlich hinterher
auch entzückt sein wird vom neuen Stadtmuseum,
dessen Seeschlange soeben wieder auftaucht. Der
blutige Bürgerkrieg »Wagner—Schachner«, um die
gleichzeitig ausgestellten Bewerbungsmodelle für dieses
Museum, ist noch unvergessen. Bürgermeister Dr.
Lueger neigt in Kunstsachen sehr zur Moderne und
fördert unter anderem die Ausgestaltung Wiens als
»Gartenstadt« (wofür jetzt Adelaide in Australien das
klassische Modell) im größten Stile; damals aber
wußte er sich nicht anders zu helfen, als daß er Wagner
und Schachner Knall und Fall in einem gemeinsamen
Grabe begrub. Nun wird wenigstens Wagner, wieder
exhumiert und sein Projekt hat alle Aussicht wieder
aufgenommen zu werden. Das wäre eine große Fort-
schrittstat und Wien, das ja in der Ringstraßenepoche
für Mitteleuropa vorbildlich geworden, marschiert
abermals an der Spitze der Fortschreitenden in der
Richtung von der absterbenden Altstilkunst weg zu
zeit- und zweckgemäßen Baugebilden.

Die neue Kirche, die, obgleich durchaus echtes
Material, bloß 575000 Kronen gekostet hat, ist ein
ganz urwüchsiges Werk. Der erste solche Versuch
Wagners war ein Projekt für Währing, das er 1899
in der Sezession ausstellte. Später erst baute Baudot
auf dem Montmartre seine ähnlich moderne St. Jean-
kirche (7 cm dicke Mauern usw.) und Reynold Stephens
seine von Grund aus »sezessionistische« in Great
Varley bei London, die der Erzdechant von London,
Sinclair, in einem großen Aufsatz ganz begeistert er-
 
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