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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [2]
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.5784#0158

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293

Nekrologe

294

ein amüsanter und geistreicher Zeichner, sondern auch
ein höchst interessanter Maler und Kolorist ist.

Bei Henry Graves in der Rue Caumartin hat
Albert Belleroche einige sechzig Lithographien aus-
gestellt. Albert Belleroche ist sicherlich der geist-
reichste Techniker der Lithographie, den wir heute
haben, und ebenso sicher ist er der größte Maler
und Kolorist, der sich heute des Lithographenstiftes
bedient. Dadurch zeichnet er sich vor allem aus:
durch die erstaunliche Farbigkeit seiner Arbeiten. Die
vorhergegangenen großen Lithographen waren in der
Hauptsache Zeichner wie Charlet und Raffet, Daumier
wirkt auch als Zeichner, obgleich er mit den Massen
von Licht und Schatten ganz anders zu operieren
versteht als seine Vorgänger. Aber keiner ist in
seiner Wirkung so farbig wie Belleroche, der mit
weißem Papier und schwarzer Tinte alle Nuancen
hervorbringt, die der Maler seiner Palette entnimmt.
Seine ausgezeichneten und fast unerhörten farbigen
Wirkungen verdankt Belleroche ohne Zweifel der
Tatsache, daß er als Maler ein großer Kolorist ist
und als Lithograph die Technik dieses Verfahrens
aufs genaueste durchforscht und verbessert hat. Seine
Erfolge verdankt er nicht weniger seinem künstle-
rischen Talente als seiner technischen Gründlichkeit.

In seinem fünfundsiebzigsten Jahre ist der fran-
zösische Mühlenbesilzer und Nudelnfabrikant Camille
Groult gestorben, und daß man dieses Ereignis dem
kunstliebenden Publikum meldet, ist wieder ein
Zeichen, daß die Franzosen doch nicht so unrecht
haben, wenn sie sich immer rühmen, in der Patrie
des arts zu wohnen. Leute wie Groult gibt es
anderswo einfach nicht, während sie in Frankreich
recht häufig sind und in allen Lebenslagen angetroffen
werden. Vor einigen zwölf oder fünfzehn Jahren,
als die Impressionisten eben anfingen, von sich reden
zu machen und Preise zu erzielen, wohnte ich ein
paar Tage in einem bescheidenen Hotel in Rouen
und fand zu meinem nicht geringen Erstaunen, daß
der Hotelbesitzer die Wände des Speisesaales, des
Rauchzimmers und des Bureaus ganz mit impressio-
nistischen Bildern vollgehängt hatte. Wenigstens
fünfzig Monets, Pissarros, Sisleys, Renoirs, Cezannes
usw. besaß der Mann. Suchen Sie mir einen be-
scheidenen Hotelwirt in irgend einem Lande deutscher
Zunge, der seine Ersparnisse in Bilder steckt und
obendrein in Bilder neuer Richtung, und ich will
Ihnen zugeben, daß ich mich täusche, wenn ich
diesen Sammlertypus für Frankreich in Anspruch
nehme. Vor einem Jahre wurde die Sammlung eines
Apothekers versteigert: wiederum Impressionisten und
obendrein Gauguin, van Gogh, lauter Sachen, die der
Mann sich mit bescheidenen Mitteln angeschafft hatte,
als man auf dem Kunstmarkte von ihnen noch nichts
wußte.

Groult gehört zu diesen Leuten, aber er konnte
seiner Liebhaberei in anderem Maßstabe fröhnen: er
hat in vierzig Sammeljahren rund dreihundert Millionen
Franken für Bilder ausgegeben. Suchen Sie mir den
deutschen Nudelmüller, der auch nur eine einzige Million
für Bilder ausgibt oder ausgegeben hat! Und dabei

war Groult keiner von den überseeischen Sammlern
von der Art Thomy Thierry oder Pierpont Morgan,
das heißt Leute, die einfach einen großen und tiefen
Geldbeutel besitzen und irgend einen Sachverständigen,
der gehörig entschädigt wird, beauftragen, ihnen eine
möglichst prächtige Sammlung anzuschaffen. Nein,
Groult suchte sich alle seine Bilder selbst heraus und
brauchte keinen Sachverständigen, sintemalen er selbst
mehr von der Sache verstand als ein halbes Dutzend
obrigkeitlich geeichter Sachverständiger oder erfolg-
reicher Kunsthändler zusammen. Dieser Mann, der
seine umfangreichen und einträglichen Müllergeschäfte
mit größter Umsicht und glänzendem kommerziellem
Verstände leitete und ein ererbtes kleines Unternehmen
zu einer gewaltigen Industrie machte, fand dabei doch
die Zeit, sich aufs eingehendste mit allen Kunstfragen
zu beschäftigen, seinen Geschmack und sein Ver-
ständnis aufs feinste herauszubilden und Stunden,
Tage, Wochen, ja, wenn man die dabei verbrachte
Zeit addiert, viele Jahre einzig seiner Sammlerlieb-
haberei zu widmen.

Das merkwürdige dabei war wiederum, daß er
äußerlich ganz und gar wie ein biederer Mühlen-
besitzer aussah, und wenn er auf den Versteigerungen
im Hotel Drouot oder bei Georges Petit ein Bild,
das er haben wollte, ohne Zucken zu sechsstelligen
Zahlen hinauftrieb, schauten die Unkundigen verblüfft
nach diesem rätselhaften Manne hin, der so spieß-
bürgerlich aussah und Hunderttausende für ein Bild
zahlte. Groult hat besonders das 18. Jahrhundert
kultiviert, hie und da aber kaufte er auch ältere oder
moderne Bilder. Allein von Hubert Robert, dem er
besondere Verehrung widmete, besaß er über hundert
Gemälde. Außerdem enthält seine Sammlung zahl-
reiche und zwar nur ausgesucht schöne Watteaus,
Paters, Lancrets, Peronneaus, und die besten Eng-
länder wie Reynolds, Gainsborough, Raeburn, Opie
usw. sind mit ausgezeichneten Werken vertreten. Die
Pariser Blätter melden, daß die Sammlung dem Louvre
anheimfallen solle, indessen weiß man darüber noch
nichts Bestimmtes, und es ist nicht gerade sehr wahr-
scheinlich, daß Groult alle seine Schätze dem Staate
vermacht hat. Wahrscheinlicher ist, daß er einige
seiner schönsten Bilder dem Staate hinterläßt, doch
ist auch dies nur Vermutung, und vorläufig muß man
sich mit der Hoffnung trösten. Ein solches Ver-
mächtnis wäre wieder eine herrliche Glückssendung
für den Louvre, der gerade in der englischen Schule
sehr schwach ist, und dem auch eine Bereicherung
der Franzosen des 18. Jahrhunderts nichts schaden kann.

KARL EUGEN SCHMIDT.

NEKROLOGE

V Paul Thumann ist am 20. Februar im Alter von
74 Jahren gestorben. Ein geborener Schlesier, machte er
seine ersten Studien auf der Berliner Kunstakademie und
setzte sie in Dresden unter Julius Hübner fort. Sein eigent-
licher Lehrer ist aber der Belgier Pauwels, der seit 1862
an der Weimarer Kunstschule eine Professur innehatte;
ihm verdankt er ein sehr gediegenes technisches Können.
Im Auftrage des Qroßherzogs Karl Alexander malte Thu-
mann einen Zyklus von Lutherbildern für die Wartburg;
 
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