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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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Schleinitz, Otto von: Die Winterausstellung in der Londoner Akademie
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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XIX. Jahrgang 1907/1908 Nr. 22. 17. April.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

DIE WINTERAUSSTELLUNO IN DER LONDONER
AKADEMIE

Die 39. Winterausstellung in der »Royal Academy«
war eine sehr reichhaltige, gute, interessante und popu-
läre, da nicht nur Bilder nach dem Geschmack der
Kenner, sondern auch solche vorhanden waren, welche
die verschiedenartigsten Ansprüche zu befriedigen ver-
mögen. Außerdem wurden eine ganz beträchtliche
Anzahl bedeutender Gemälde vorgeführt, die entweder
seit langer Zeit, oder überhaupt bisher öffentlich gar
nicht gesehen wurden, sowie endlich Werke, die für
den Kritiker, Forscher und Kunsthistoriker Probleme
der mannigfaltigsten Art enthalten. Daß Jahr für Jahr
die Akademie überhaupt imstande ist, so beschaffenes
Material zur Anschauung zu bringen, liefert den Be-
weis für die kolossalen im englischen Privatbesitz an-
gehäuften Kunstschätze. In den früheren Jahrhunderten
war es Sitte, daß, wenn die Söhne aus den aristo-
kratischen Familien unter Begleitung von Präzeptoren,
Vertrauenspersonen und Kunstkennern ihre sogenannte
>große Tour« nach dem Kontinent antraten, sie mehr
oder minder reich versehen mit Bildern in die Heimat
zurückkehrten. Unter diesen befanden sich nun wirk-
liche Originale, nicht selten jedoch namentlich italie-
nische Werke, die die heutige Spezialforschung als
Schulbilder oder alte Kopien erkannt hat. Beide
Gattungen, indessen auch solche Werke, werden zur
Anschauung gebracht, über die das letzte Wort noch
nicht gesprochen ist, und bei denen es sich verlohnen
dürfte, ihren Ursprung zu ergründen. Mit einem nur
zu schlecht unterdrückten Seufzer klagt das hiesige
Fachpublikum darüber, daß infolge der immer mehr
ausgebreiteten Kenntnis auf dem Kontinent und in
Amerika, fast nur Originalwerke aus England heraus-
geholt werden und unwiederbringlich für England
verloren gehen.

Nr. 1 in der Eintrittsgalerie stellt ein unbekanntes
Bildnis Michelangelos in vorgerückterem Alter dar. Der
Kopf ist gut modelliert; der Besitzer des Porträts hat dies
Guliano Bugiardini zugeschrieben. Das in Dorchester
House von Mr. Holford aufbewahrte Porträt von »Lord
Delawarr« (Nr. 2) wird William Stretes, einem Nach-
folger, eventuell einem Gehilfen Holbeins zugesprochen.
Dies jedenfalls vor 1560 hergestellte Werk atmet durch
und durch den Einfluß Holbeins. Die Kunstperiode
unmittelbar nach dem Tode Holbeins (1543) in Eng-

land ist leider noch zu wenig geklärt und deshalb
werden meistens die Arbeiten dieser Zeit verallge-
meinernd zwei oder drei mehr bekannten Meistern
zugeeignet, während es schon jetzt wenigstens fest-
steht, daß solche Attributionen, namentlich infolge
deutscher Forschungen, unhaltbar geworden sind. Die
zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts in England ist
dagegen in dieser Beziehung fast ganz unerforscht.
Die Firma Duveen hat aus der von ihr angekauften
»Kann-Kollektion« eine ganze Reihe von Gemälden
ausgestellt, so unter anderen zwei Altarflügel von
Gerard David, die eine Kreuztragung und die Auf-
erstehung Christi (Nr. 6) darstellen. Über das Mittel-
stück des Triptychons, jedenfalls eine Kreuzigung oder
Grablegung enthaltend, ist nichts bekannt, namentlich
nicht, ob und eventuell wo das Werk existiert! Die
soeben genannte Firma hat ferner ein dreiteiliges
Altarblatt »Die Anbetung der drei Könige« (Nr. 19) dar-
geliehen, das unter der Bezeichnung »Herri Met de Bles«
katalogisiert wurde. Sicherlich stammt es von derselben
Hand, die das in der alten Pinakothek in München
befindliche und »Enricus Blesius« signierte Triptychon
malte. Spezialisten aber haben in den verflossenen
Jahren gedachte Signatur in Zweifel gezogen und
fällt sie, dann muß auch ein gleiches Schicksal alle
die typischen Werke ereilen, die unten dem Namen
Herri de Bles Deckung gefunden haben! Aus der
Clouet-Schule sind einige recht interessante Porträts
gesandt, darunter wohl auch dies und jenes, das wirk-
lich vom Meister herrühren kann. Besonders zu er-
wähnen wären auch noch einige kleine Bildnisse des
Corneille de Lyon.

Unter den Italienern im ersten Saal erwähne ich
zunächst »Jungfrau und Kind mit zwei Engeln« (Nr.22),
bezeichnet: »Opus Victoris Crivelli Veneti«, dem
Bruder des berühmten Carlo Crivelli, der aber gewiß
manchen Anteil an des letzteren Bilder gehabt hat.
Der Graf von Plymouth beschickte die Ausstellung
mit dem Bildnis zweier Heiligen (Nr. 23), wahrschein-
lich die Arbeit eines starken florentinischen Meisters,
oder aus Mittelitalien stammend in der Manier des
Ercole Grandi ausgeführt. Derselbe Darleiher stellt
ein früh-florentiyisches Bild, ein gutes Porträt des
Gelehrten »Poliziano« aus, aber Entstehung des Bildes
und Alter des großen Humanisten, der 1494 starb,
sind nicht recht in Einklang zu bringen. Keinesfalls
 
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