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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

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Heft 13 (1. Aprilheft 1901)
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Weber, Leopold: Neues von der Modernitis
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Batka, Richard: Die Musikalische "Moderne", [3]: die dramatische Tonkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0020

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priesterlichen Weihrauch für Dunst zu erklären, der mit dem tiefen
Geheimnis alles Lebens gar nichts zu schaffen habe! Jm Einklang mit
diesen überirdischen Finessen steht die „interessante" Nomanhaftigkeit der
Geschehnisse und Charaktere: da ist z. B. der Chemiker Sulzwasser, ein
schrecklich überlegener und kaltblütiger Jude, nebenbei impotent nach
eignem Geständnis; dieser Entsetzliche hat sich, um nur eines zu er-
wähnen, seine blutroten Hände bei Erfindung eines Sprengpulvers zu-
gezogen, durch das die Amerikaner ihre Philippinen endgültig unter-
gekriegt haben; wie aber die Polizei nach ihm, dem Mörder mit den
blutroten Händen, fahndet, streift er seine Handschuhe gelassen ab, und
siehe da, die Hände sind weiß! Natürlich ist auch Holitscher „originell".
So verlobt sich bei ihm einer, wieder ein „Genie", einer hundesuchenden
Schönen mit den Worten: „ich will dein Hund sein!", und der Dichter
fügt kurz und tragisch hinzu: „Aber sie wurden einer des andren Hund."
Gottfried Keller hat einmal als Pathe des Herrn Jacques in den
„Züricher Nooellen" die Ansicht gcäußert, wahre Originalität habe vor
allem Tüchtigkeit des Wesens zur Grundlage. Aber das war ja
„Philisterweisheit". Leoxold weber.

vie musikaliscke „Moclerne".

2. Die dramatische Tonkunst. (Fortsetzung.)

Auf die Wichtigkeit der dramatischcn Stoffe für die Entwickelung
der Oper lcitet uns Seidl übrigens selber hin, indem er bemerkt, daß
in neuerer Zeit dic Bühnenwerke sich mehren, die, ohne ganz in Musik
lüsbar zu sein, doch an bedeutsamen Stellen der Mitwirkung der Ton-
kunst nicht entraten können, sondern streckenweise nach Musik geradezu
rufen. Er bemerkt treffend, wie verfehlt es ist, wenn z. B. Heinrich
Zöllner solche Dichtungen, wie „Faust" oder „Die versunkene Glocke",
mit Stumpf und Stiel durchkomponiert, und gelangt bei der Betrachtung
von Humperdincks Königskinder-Melodram auf anderem Wege zu ganz
ähnlichen Anschauungen, wie sie seinerzeit von mir im Kunstwart cnt-
wickelt wurden, und die ich etwa so formulieren möchte: neben dem stili-
sierten Musikdrama ist für gewisse Stoffe die auf das Prinzip der
Kunstmischung fußende Singspielform als die besser angcmesscne zu be-
trachten, und in diesem Rahmen kann sogar die melodramatische Be-
handlung einzelner Partien eine neue Daseinsberechiigung gewinnen.
Der Wechsel von Rede, begleiteter Rede und Geiang gibt diescr „Misch-
kunst" eine Mannichfaltigkeit, Beweglichkeit und Schmiegsamkeit, die unter
den Händcn eines Künstlers ganz eigenartige Ausdrucksmöglichkeiten
gewährt.

Ausschließlich „modern" ist diese Form allerdings nicht, eher
könnte man sie germanisch nenncn. Wie der Wechsel von Vcrs und
Prosa die Urform der altgermanischen Poesie darzustellen scheint, die
den Sängen des Nordens wie den Dramen Shakesperes eignet, so mag
es auch mit dem Wechsel von Gesang uud gesprochcner Rede bestellt
sein. Die Stilisierung auf eins von beiden entspricht dem romanischen
Ideal, das auf reinliche Scheidung der einzelnen Kunstberciche ausgeht.
Aber nicht nur in dem beherzten Zurückgehen auf das durch Wagners
Musikdrama scheinbar schon beseitigte Singspiel liegt der bedeutsame,

ttunstwart
 
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