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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

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Heft 15 (1. Maiheft)
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Kunowski, Lothar von: Der Meister
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https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0111

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ver Meisler. *

Jn einer kunstfremden Stadt wuchs ich auf, jahrelang füllte ich
meine Phantasie mit den Vorstellungen edler Kunst. bis ich eines Tages
dem Drange nicht mehr widerstehen konnte, jenes schöpferische Wesen,
das man Künstler nennt, von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen.
Begeistert zog ich durch Deutschland und ruhte wie ein landflüchtiger
Meervogel nur, wo ich Salzwasser fand; Albrecht Dürer, Jan van
Eyk erhöhten meine Sehnsucht in Berlin, Correggio und Holbein ließen
mich Dresden in heiligem Schauern verlassen, Nürnberg entrückte mich
in ein Wunderland poetischer Seelen, je näher ich München kam, desto
mehr streifte ich die Hülle des Alltagslebens von mir. An eine geistige
Sphäre gewöhnt, wähnte ich die „trockene Härte" norddeutscher Gelehr-
samkeit und Denkübung aufzulösen in dem geistsprühenden, freibewegten,
durch und durch genialen Verkehr mit künstlerischen Naturen. Was ich
suchte, war nicht Erholung und geistiges Ausspannen, sondern ein
Anspannen der Kräfte in neuer, erfrischender Richtung. Jch hoffte im
Reiche der Sichtbarkeit meinen geistigen Hunger ebenso zu stillen, wie
mir das zuweilen im Reiche des begrifflichen Denkens gelungen war.
Aus Wolkenhöhe fiel der Meervogel ins Wasser — aber das Wasser
war ohne Salz, es war ein dünnes Leitungsgewässer, das aus ver-
zwickten Röhren strömt, bei eifriger Pumparbeit, es war ein künstliches
Wasser, das prickelnd verschäumt, ehe es getrunken wird. Mein Er-
staunen war grenzenlos, es glich dem frostigen Erwachen aus glühendem,
sarbenreichem Traum, als ich zum ersten Male zwischen einem Wald
von Staffeleien dem schurrenden Tritt rhythmisch vor- und zurücktretender
Gestalten lauschte, als ich diese durch gewaltsame Anstrengung und
Augenzukneifen gleichförmige Malerphysiognomie in demselben Raume
wie durch ein Kaleidoskop vervielsältigt sah, als ich eine geheimnisvolle,
scheinbar verabredete Gleichförmigkeit der Studien bemerkte. Bis dann
endlich dieses stumme, unerklärliche Treiben durch einen Hahnenschrei
unterbrochen wurde, der alle Phrffiognomien in Lachen löste und von
vielfältiger Nachahmung charakteristischer Stimmen anderer Tiere zu
einem zoologischen Konzert ergänzt wurde, in dem grunzende Schweine
jeden Alters, Kühe, Kälber, Pferde, Hunde, Löwen zur Aussprache
kamen. Es genügte irgend ein Zeichen, und die gesamte Horde sang
irgend einen Gassenhauer so lange und so oft, bis alle Kehlen heiser
waren. Pfeifen und faule Witze leiteten den Uebergang zur Stille ein
und zu dem schurrenden Vor. und Zurück und Zurück und Vor. Zeit-
weise, in Zwischenräumen von etlichen Tagcn oder einer Woche, schritt
ein älterer Mann, der mit Schwcigen empfangen wurde und stets be-
scheiden anklvpfte, um nicht unliebsam zu überraschen, durch den Raum
von Staffelei zu Staffelei, raunte etliche Worte, welche sich bei der
dritten Staffelei regelmäßig wiederholten, und man sagte mir, dies sei

* Lothar von Kunowskis Aufsätze beginnen jetzt als zusammenhängende
Folge unter dcm Titel „Durch Kunst zum Leben" bei Diederichs in Leipzig zu
erschcinen. Der crste Band, „Gesctz, Freiheit und Sittlichkeit des künstlerischen
Schaffens", liegt schon vor. Der Aufsatz „Der Meister" leitet ihn cin, ihm
solgt dann zunächst die Arbeit „Lionardo da Vinci als Organisator", welche unsere
Leser schon kenncn. Wir machen alle ernsten Kunstfreunde nachdrücklich aus
dieso, übrigens auch seyr würdig ausgestattete Publikation aufmerksam.

p Maihest
 
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