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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

DOI Heft:
Heft 21 (1. Augustheft 1901)
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Göhler, Georg: Oeffentliche Musikübung und künstlerische Verantwortlichkeit
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0381

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Auch das Publikum hat künstlerische Verantwortlichkeit. Wenn es
sich nicht schämt, in den Beifallslärm einzustimmen, obwohl der Dirigent
da eben ein Werk aufgeführt hat, das nur das eine Verdienst hat, von
seinem guten Freunde T. komponiert oder ein Paradestückchen sür die
Ausführenden zu sein, wenn es weiter duldet, datz die Firma sv und
so seine künstlerischen Wünsche ignoriert und ihm einfach vorsetzt, was
sie aus kaufmännischen Rücksichten gerade los werden und besonders
„poussieren" will, dann vergißt es, datz es doch eine immense Kraft in
sich hat, die sich nur zu zeigen brauchte, um Gehorsam zu ertrotzen.
Freilich, eine grotze Menge wird immer wieder zu den Komödianten
laufen und sich belustigen. Aber man schätze die Zahl der höher Ge-
sinnten nicht zu gering ein. Jn diesen gilt es eben das Pflichtgefühl
zu wecken, von dem wir hier gesprochen haben. Wir müssen uns alle
gegenseitig dazu erziehen und einander helfen gegen eine Uebermacht, die
durch ihre Masse und ihre Mittel unüberwindlich scheint. Es mutz das
Bewutztsein wach werden, datz unser öffentliches Musikleben ein so wich-
tigcr Kulturfaktor ist, datz jede Art von Nachsicht und Gleichgültigkeit,
jeder Mangel an künstlerischer Gewissenhaftigkeit sich bitter an unserer
gesamten künstlerischen Entwicklung rächt. Es gibt viel Widerstand zu
überwinden; mögcn alle die zusammenhalten, die dieses Gefühles künst-
lerischer Verantwortlichkeit fähig sind! GeorgGöhler.

Lose klätter.

Hus frlectrlck UsuniLnns Sckrlkten.

Vorbemerkung. Eine der schwersten Schädigungen erwächst auch
unsrer künstlerischen Kultur aus der Thatsache, daß wir den politischcn
Haß und Hader in Dinge hineinspielen lassen, mit denen er nichts zu thun
haben sollte. Wir sollten cs lernen, das Bedeutende auch im Gegner nicht nur
zu respektieren, sondern uns dieses Bedeutenden zu freuen, zu freuen, selbst
wenn es sich gegen uns wendet und wenn wir's in seinen Absichten bekämpfen
müssen. Alles Bedeutende ist gesunde Krast, und daß die in der Nation wachse,
das ist doch immer das erste. Das ist so einfach und selbstverständlich, daß
einem weh werden könnte, wenn man sich danach umschaut, wie's mit der
Verwirklichung dieser Forderung nach innerlich freien Beurteilern aus-
sicht. Wer überhaupt weiß, was ästhetische Werte sind, wie kann er sich
den klärenden und erziehenden Hochgenuß entgehn lassen, den die menschliche
Persönlichkeit cines Bismarck bictet! Aber wie viele unsrer Klerikalen
und Sozialdemokraten sind frei genug, die Loslösung vom Politischen zu voll-
ziehen, die das voraussetzt? Und wie viele wiederum der Konservativen oder
Liberalen sind sähig, das Große zu sehn, wenn es sich bei „Schwarzen" oder
„Roten" zeigt? Auch das ist eine Aufgabe dieser ästhetischen Kultur, die wir
alle erstreben, daß sie lehrt, die verschiedenen Maßstäbe auseinander zu halten.
Können denn Meinungsverschiedenheiten, und seien sie noch so schroff, jemals
Wertmesser für Mcnschenpersönlichkeiten sein? Und wie sollen wir vom Gegner
lernen, wenn wir vor dem Besten in ihm die Augen zumachen?

Auch Friedrich Naumann, der nationalsoziale Herausgeber der »Hilfe",
ist einer, mit dem sich die politischen Gcgner sehr zu ihrem Schaden auch als
Menschen nicht beschäfligen. Sind wir denn alle so reich, daß wir die An-

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