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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

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Heft 14 (2. Aprilheft 1901)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0086

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Kramer (oersormen in dcn Anblick des Toten und in die Lichter). Die
Äichter! Die Lichter! Wie seltsam das ist! Jch habe schon manches Licht
verbrannt! Schon manches Lichtes Flamme gesehn, Lachmann- Aber hörn
Se: Das ist ein andres Lichtü — Mach ich Sie etwa ängstlich, Lachmann?

Lachmann. Nein. Wovor sollt' ich denn ängstlich sein?

Kramer (sich erhebend). Es gibt ja Leute, die ängstlich sind. Jch bin
aber doch der Meinung, Lachmann, man soll sich nicht ängsten in der Welt.
Die Liebe, sagt man, ist stark wie der Tod. Aber kehren Se getrost den Satz
mal um: Der Tod ist auch mild wie die Liebe, Lachmann. Hörn Se, der Tod
ist verleumdet worden, das ist dcr ärgste Betrug in der Weltl! Der Tod ist
die mildeste Form des Lebcns: der ewigen Liebe Meisterstück. (Er Lffnet das
großc Atelierfenster, leise Abendglocken. Frostgeschüttelt.) Das grotze Leben

sind Fieberschauer, bald kalt, bald heiß. Bald heitz, bald kalt! —-Jhr

thatet dasselbe dem Gottessohn! Jhr thut es ihm heut wie dazumal! So wie
damals, wird er auch heut nicht sterbenl Die Glocken sprechen, hörcn Sie
nicht? Sie erzählen's hinunter in die Stratzen: Die Geschichte von mir und
meinem Sohn. Und datz keiner von uns ein Verlorener ist! — Ganz deutlich
versteht man's, Wort für Wort. Heut ist es geschehen, heut ist der Tagl —
Die Glocke ist mehr als die Kirche, Lachmannl Der Ruf zum Tische ist mehr
wie das Brot! — (Die Beethoven-Maske sällt ihm in die Augen, cr nimmt
sie herab. Jndem er sie betrachtet, fährt er fort): Wo sollen wir landen, wo
treiben wir hin? Warum jauchzen wir manchmal ins Ungewisse. Wir Kleinen,
im Ungeheuren vcrlassen? Als wenn wir wüßten, wohin es geht. So hast
du gejauchzt! — Und was hast du gewutzt? — Von irdischen Festen ist es
nichts! — Der Himmel der Pfaffen ist es nicht I Das ist es nicht und jen's
ist es nicht, aber was . . . (Mit gen Himmel erhobenen Händen) was wird
es wohl sein am Ende???

kunäscbau.

LiterLtur.

' Gustav Theodor Fechner
-(geb. ly. April >8o0.

Unsere Gebildeten glauben an
den hundertjährigen Kalender noch
fester als die weniger Gescheiten unter
unsern Bauern an ihn glauben. Da-
raus folgt:

i. Das Allgemeinere, datz der
hundertjährige Kalender für das geistige
Wetter, das wir Mode nennen, noch
etwas mehr Berechtigung hat, als für
das phpsische. Ein vor hundert Jahren
Geborener hat in seinem fünfzigsten
Jahre ungefähr das ausgesprochen,
was zur Zeit seiner Geburt geistiges
Wetter war und so in ihn eindrang.
Es ist, durch seine Jndividualität und
sein Temperament gcgangen, auf
hüherer Stufe neugeboren worden, als
Aunstwart

er es, reif geworden, aussprach, und
mutz nun möglicherweise gerade neue
fünfzig Jahre wirken, um wieder —
Wetter werden zu könncn. Es folgt
aber aus dem so begründetcn Glauben
unsrer Gebildetcn

2. das Besondre, datz wenn auf
diese Weise der Glückswind so manche
Kleine und Kleinste — letzthin sogar
den Friedrich I — herbeiweht, wir
am allerwenigsten Grund haben, gegen
ihn zu blasen, wenn einmal ein wirk-
lich Grotzer wie Fechner auf ihm ge-
fahren kommt.

Leider müssen wir, um für diesen
Zweck noch zur Zeit zu kommen, uns
damit begnügen, eine Auseinander-
sotzung mit diesem Geist nicht so
wohl zu gcben, als viclmehr anzu-
kündigen.
 
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