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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

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Heft 15 (1. Maiheft)
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B., M.: Kultur und Zivilisation: einige Gedanken zu diesem Thema
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https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0101

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Linige Gedanken zu diesem Theina.

Mit dem Worte „Kultur" wird in unserer Zeit ein arger Miß-
brauch getrieben. Ueber manchem Worte edler Abkunft waltet dieses
traurige Schicksal, daß es im Munde dcr Vielen verdorben wird. Sc>
wird Goethes „Bildung", die eine starke und schöne Entfaltung der
Persönlichkeit, eine stille Harmonisicrung aller Kräfte und eine vornehme
Einheit des Stils in allen Lebensäußerungen eines Menschen bedeutet,
heute nur allzuoft als cine bunte Anhäufung von unorganischen, gedanken-
los zusammengelesenen Kenntnissen verstanden. So wird auch das Wort
„Kultur" gegenwärtig nicht selten seines stolzen und gebieterischen Sinnes
beraubt und zu einem Sammelnamen für die sogenannten „Errungen-
schasten der Neuzeit" herabgedrückt. Zeitungen, Konversationslexika,
Straßenbahnen und Musikautomaten gelten als Zeichen und Triumphe
der modernen Kultur. Die große Menge der Zeitgenossen, die eine
gcwisse Abneigung gegen Reinheit des Denkens und klare Umgrenzung
der Begriffe hat, pslegt Kultur und Zivilisation, diese beiden von Grund
aus verschiedenen Hauptformen der Menschheitsentwickelung — Gegen-
sätze, deren einstige Versöhnung die Besten unserer Zeit erst erhoffen
können — nicht wesentlich von einander zu unterscheiden. Es darf
daher wohl noch einmal darauf hingewiesen werden, daß Kultur etwas
durchaus Eigenartiges, von eigenen Gesetzen Beherrschtes ist. Er-
haltung und Erleichterung des Lebens sind die letzten Absichten
der Zivilisation; aber an der Erhöhung und Veredlung des
Lebens schafft die Kultur. Die Zivilisation arbeitet am Nützlichen und
nach dem Gesetze des kleinsten Kraftaufwandes, das heitzt: sie will
möglichst weite Pläne mit möglichst geringen Mitteln verwirklichen; aber
die Werke der Kultur werden nicht nach ihrem Nutzen, sondern nach
ihrer Schönheit geschätzt, und Schönheit ist immer der Ausdruck eines
Ueberschusses. Kultur ist gebändigte Fülle, Seelen-Ueberfluß, der Form
wird. Sie verschwendet, während Zivilisation sparen muß. Die Arbeiter

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