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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

DOI Heft:
Heft 21 (1. Augustheft 1901)
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Bonus, Arthur: Friedrich Naumann und die Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0371

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frieckrick Daurnann uncl clie Runsl.

Friedrich Naumann ist nicht nur ein interessanter Politiker, sondern
— was uns hier allein beschäftigt — ein ästhetisch sehr erquicklicher
Schriftsteller. Er tritt mit einem künstlerischen Auge vor die Dinge.
Alles was er anschaut, wandelt sich, weicht in Schatten zurück, tritt in
Lichtern hervor, organisiert sich in Flächen und Massen, wird plastisch.

Nicht zum wenigsten dadurch wirkt er stark künstlerisch, daß das
alles geschieht, ohne daß eine eigentliche Kunstabsicht sich fühlbar macht.
Es ist mit den Tendenzschriftstellern, wenn sie schön schreiben wollen,
wie mit den Wissenschaftlern, wenn sie populär sein wollen. Sie binden
Papierblumen in ihre Darstellung, sie lassen alles ein bißchen anschwellen,
sie bringen veranschaulichende Bilder und schöne Zitate. Und manchmal
machen sie Witze. Man lacht ja. Mitunter herzlos, wie wenn ein müder
Arbeitsgaul einen Hupf macht; mitunter lcutselig. Jn beiden Fällen
ist es peinlich.

Bei Naumann ist es, als sprächen die Dinge selbst. Und das ist
die eigentliche Kunst: den Dingen Sprache geben, das heißt Ab-
sichten, das heißt Tempcrament.

Nicht mehr als man hat! Handwerker, Bauern, Gelehrte, die ein-
fach von ihrer Sache sprechen, wirken häßlich. Wenn die Leute „fach-
simpcln^, siud sie fast immer interessant. Außer wenn sie zu wenig
Selbständigkeit gegen ihre Thätigkeit haben, wenn sie sich ihr nicht gegen-
überstellen, sie uicht als Ganzes, als organisch eigenen Gesetzen folgendes
Dasein sehen können.

Starkes Jntcresse für die Dinge, starke Liebe zu ihnen, Leidenschaft
in ihnen und dann doch wieder Selbstlosigkeit, eine gewisse ehrcrbietige
Scheu, uicht sich selbst in ihnen zu wollen, sondern sie selbst in sich —
dies sind die sittlichen Vorbedingungen der Künstlerschaft. Jn ihrcr
Spannung wird künstlerisch erlebt.

Bci Naumann ist diese Spannung ganz besonders stark. Seine
stürmische Anteilnahmc hat ihn aus seinem ursprünglichen Beruf gcworfcn
und zeichnet alle seine Schritte. Die Ehrfurcht dann wieder oor der
Wirklichkeit und den in ihr waltenden Gesetzen hat ihn zu denjenigen
Schritten geführt, die scine ehemaligen Freunde am meisten befremdet
hahcn: die Politik hat eigene Gesetze, die unmeßbar sind gegcn die sittlichen
Vorstellungen, wclche im Verkehr von Mensch zu Mensch entstehen und
herrschen. Dies spiegelt sich nun in der Art, wie er die Dinge an-
schaut. Man merkt es ihm an, sei es, daß er die Gewerbeausstellung
in Berlin besucht oder das Mittelineer und das hcilige Land oder Paris
im Jahre dcr Weltausstellung. Er greift die Dinge an, gewaltsam,
leidenschaftlich, aber während man noch fürchtet, daß er sie vergewaltigen
werde, ist er bereits tief im aufmerksamsten Zuhören begriffen — und
die Dinge reden. Sie reden laut und eifrig. denn sie sind heftig gefragt.

Dazu kommt ein andres. Naumann ist ehemaliger Theologe. Wenn
cin Theologe frci wird — wozu die Niederlcgung des Amtes nicht immer
genügt, allerdings auch nicht immer nötig ist — so pflegt er wie mit
Kinderaugen um sich zu sehen, mit jenen Kinderaugen, die aus einer
großen Tiefe, aus einer weiten Ferne zu blicken schcinen. Jn der That,
seine Seele ist so lange in fremden Ländern gewandert, hat nicht selten

1. Auguscheft t9»t
 
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